7. Rätselhafte Verletzungen

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Marc's Sicht

Fassungslos halte ich den erschlafften Körper meines Kollegen gegen mich gepresst und verstehe nicht, warum er plötzlich solch eine Panik bekommen hat.

"Hat er irgendwelche Allergien, Unverträglichkeiten oder Alkohol getrunken?", will Oli wissen und kontrolliert nebenher Atmung und Puls. "Ja, er hat vorhin gesagt, dass er getrunken hat. Darum war er auch zu Fuß unterwegs!" "Wieviel?" "Keine Ahnung!", mit Hilfe von Oli lege ich Lennox richtig auf die Liege, worauf der Arzt ein paar Mal gegen dessen Wange klopft.

Da das nichts bringt, setzt er einen Schmerzreiz, um unseren Kollegen wieder aus seinem schwarzen Loch zu holen. Ich bin wirklich erleichtert, als Lennox sofort aufmurrt und seine Augenlider zu flackern beginnen. Oli kontrolliert die Pupillenreaktion und besorgt sich im Anschluss eine Kleiderschere: "Ich muss schnell nachschauen, ob er schwerwiegende Verletzungen hat! Was ist denn genau passiert? Diese Panikattacke war ja wirklich vom Allerfeinsten!" Während der Arzt den Pullover zerlegt, erzähle ich ihm die zuvor stattgefundene Situation und lasse nebenher meinen Blick über den entblößten Oberkörper schweifen.

Auf der rechten Rippenseite ist eine faustgroße rot-bläuliche Schwellung zu erkennen. "Das ist ordentlich", murmelt Oli vor sich hin und sucht nach weiteren Verletzungen. "Er ist vorhin gehumpelt! Ich weiß nicht, ob er an den Beinen auch irgendetwas abbekommen hat", wirft Paul ein, worauf unser Herr Dreier das nickend zur Kenntnis nimmt.

"Macht euer Kollege irgendwelchen Kampfsport? Wisst ihr da was?" "Er ist noch nicht so lange bei uns, daher kann ich dir leider gar nicht viel sagen. Warum fragst du?", erst als ich meinen Blick von Lennox' Gesicht abwende und seinen Oberkörper genauer betrachte, erschließt sich mir Olis Frage von selbst. "Schau mal... Hier sind lauter blaue Flecken... Die sind schon stark verblasst, aber wenn man danach sucht, findet man sie auch!" Oli fährt mit seinen Fingern über die rechte Körperhälfte und deutet auf verschiedene Stellen..Mit besorgter Mine widmet er sich nun den Hosenbeinen, die er ebenfalls mit der Schere etwas luftiger gestaltet. "Heftiger Bluterguss am Schienbein. Kein Wunder, dass er gehumpelt hat!", da ansonsten nichts an den Beinen zu finden ist, macht sich der Arzt wieder am Oberkörper zu schaffen.

Lennox ist mittlerweile wieder etwas mehr bei Sinnen und beobachtet, was an seinem Körper gemacht wird. Da Oli sich jetzt die linke Oberkörperseite etwas genauer anschauen will, greift er nach Lennox' Arm und möchte diesen in die Höhe halten, doch unser Kollege zuckt sofort zusammen und kneift die Augen zu. Nachdem der Ärmel des Kleidungsstücks zerschnitten ist, präsentiert sich auch hier ein farbenfroh leuchtender Bluterguss.

"Sag mal, hast du eine Katze?", will Oli jetzt von seinem Patient wissen, doch dieser schüttelt etwas irritiert mit dem Kopf. "Woher kommen die vielen verblassten Kratzspuren an deinem Oberarm?" Herr Dreier sieht immer unbegeisterter aus, da sich immer mehr Verletzungen, auch einige etwas älterer Abstammung, an Lennox' Körper finden lassen. Die Augen meines Kollegen weiten sich einen Moment lang, bevor er seinen Arm aus Oli's Griff zieht und ein leises "Keine Ahnung" vor sich hin nuschelt. Ich sehe dem Arzt an, dass ihm irgendetwas auf der Zunge liegt, jedoch lässt er nur verlauten, dass die Rippenregion und der Kopf geröntgt werden müssen.

Die Zeit, in der wir auf die Schwester warten, verbringen wir schweigend, damit unser Kollege sich wieder etwas sammeln kann.

Kaum hat Schwester Annika unseren Lennox aus dem Behandlungsraum herausgeschoben, wird Oli ziemlich ernst: "Hört mal, ihr beiden. Mir gefällt diese Sache nicht so ganz. Auf dem gesamten Körper sind verblasste Spuren von Gewaltanwendung zu finden. Ich kann mich auch irren und es gibt für alles eine annähernd normale Erklärung, aber... Diese Panikattacke, nachdem ich ihn gebeten habe, die Klamotten auszuziehen... Wie sind denn seine Lebensumstände?" Mir ist es fast schon wieder peinlich zu sagen, dass wir kaum etwas von ihm wissen. Dass er nicht gerne über sein Privatleben redet, ist uns allen schon aufgefallen, aber es gibt eben auch Menschen, die berufliches und privates strikt trennen. Das haben wir natürlich alles respektiert.

Hinter verschlossenen Türen; Die verborgene RealitätWo Geschichten leben. Entdecke jetzt