11. Zeit zum genesen

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Jetzt, nach achtundvierzig Stunden, darf ich endlich wieder das Krankenhaus verlassen. Natürlich hat auch der behandelnde Arzt versucht herauszubekommen, woher meine Verletzungen stammen, aber ich konnte es ihm einfach nicht sagen, obwohl ich es tief im Inneren meines Kopfes so sehr will. Mein Herz hingegen wehrt sich immer wieder, da es Hoffnung hat, dass alles wieder so wird wie früher.

Zu Fuß und zum Glück ohne Schmerzen, da ich nochmal genug Schmerzmittel bekommen habe, laufe ich zu Stellas und meiner Wohnung. Meine Freundin hat nicht ein einziges Mal versucht, mich auf meinem Handy zu erreichen. Ich selbst habe mich auch nicht gemeldet, da ich sehen wollte, ob es sie kümmert, wenn ich verschwunden bin. Dass mich das ziemlich trifft, versuche ich weitestgehend zu verdrängen, denn ich darf auch nicht zu viel erwarten, schließlich bin ich einfach aus der Wohnung geflüchtet.

Als ich unsere vier Wände betrete, kommt meine Freundin gerade aus dem Badezimmer gerauscht. Wie es scheint, hat sie sich neue Unterwäsche gekauft, denn dieses rote Spitzen Set habe ich bisher noch nie gesehen. "Hi!", gebe ich leise und mit einem unsicheren Lächeln von mir. Stella zieht die Augenbrauen nach oben, nickt mir zu und schlägt den Weg ins Schlafzimmer ein, worauf ein lautes Türenknallen zu hören ist.

Naja, immernoch besser als gleich wieder zu streiten!

Nachdem ich meine Schuhe und die Jacke ausgezogen habe, lasse ich mich auf dem Sofa nieder. Zu viel Anstrengung soll ich meinen Körper nicht aussetzen, hat der Arzt gesagt, darum lege ich mich auch entspannt auf das Polstermöbel und spitze meine Ohren, um hören zu können, was Stella treibt. Wie es sich anhört, telefoniert sie mit irgendjemanden. Bestimmt wieder mit dieser superreichen, neuen Freundin.

Obwohl ich in den letzten zwei Tagen genug geschlafen habe, döse ich schneller als gedacht wieder ein und verschlafe den halben Tag. Erst durch das Klingeln meines Handys werde ich wieder wach und schaue mich nach meiner Freundin um. Von ihr fehlt jede Spur. Dass sie mir in irgendeiner Form eine Nachricht hinterlassen hat, wohin sie geht oder wann sie wieder kommt, glaube ich nicht, nachdem sie mich so "herzlich" empfangen hat. Bis ich meinen Körper in die Gänge bekomme, hat das Gebimmel natürlich schon wieder aufgehört und ich entscheide mich, erst später nachzuschauen, wer da etwas von mir will. Jetzt muss ich mich erst um das flaue Gefühl in meinem Magen kümmern und einen Stop in der Küche einlegen.

Die nächsten paar Tage wird meinem Körper die optimale Heilungsphase gegönnt. Stella ist entweder gar nicht zuhause oder aber nur eine kurze Zeit, in der sie mich erfolgreich ignoriert. Ich weiß nicht, ob sie mich für mein Verhalten strafen will, etwas besseres zu tun hat oder beide Punkte zutreffen, aber meinen Verletzungen kommt das jedenfalls zu Gute.

An meinem ersten Arbeitstag nach meiner Ruhephase habe ich große Bedenken, dass Tom, Marc oder Paul mich wegen meines Alkoholexzesses aufziehen oder ausfragen werden. Jedoch spricht mich keiner auf meinen Totalausfall an. Was mir allerdings auffällt, sind die immer häufiger auftauchenden Fragen nach meinem Wohlbefinden und meinen außerdienstlichen Aktivitäten. Auf den privaten Sektor gehe ich gar nicht weiter ein und die "Wie geht's dir denn?" - Fragen, beantworte ich immer mit einem "Ganz gut!". Der einzige, der etwas schlecht auf mich zu sprechen ist, ist Klaus. Der hat mich nach meinem Erscheinen auf dem Revier sofort in sein Büro bestellt. Ich musste ihm versprechen, mich nicht mehr dermaßen volllaufen zu lassen, da er mir sonst Feuer unter dem Hintern macht. Als Strafe, oder wie Klaus es ausgedrückt hat "als sanfter Wiedereinstieg für den lädierten Burschen" darf ich für mindestens eine Woche den Empfangstresen hüten. Zwar ist das nicht unbedingt meine Lieblingstätigkeit, da mir die Action und die Abwechslung fehlen, jedoch bin ich sehr froh, dass ich jetzt wenigstens keine Berichte schreiben muss. So fürsorglich wie meine Kollegen momentan sind, würden sie mir andauernd am Arsch kleben und ich müsste mich irgendwie durch diese Berichte kämpfen. Ohne meine App würde das viel zu lange brauchen und bestimmt auch den ein oder anderen zu Nachforschungen anregen. Ich hoffe einfach, dass sich diese überaus gesteigerte Motivation meiner Kollegen sich bald wieder in den Normalmodus begibt und ich nicht mehr so sehr im Fokus stehe.

Da heute die Weihnachtsfeier ansteht, erinnert mich Tom noch mindestens fünf Mal daran, dass ich auf alle Fälle um neunzehn Uhr im Hotel Restaurant 'zum Schwanen' erscheinen muss.
Natürlich kann er mir das nicht auf die normale Art sagen, sondern übermittelt mir das immer wieder versteckt in irgendwelchen Botschaften. "Gestern, dieser Ladendiebstahl, hat sich doch um neunzehn Uhr ereignet, oder? Zur selben Uhrzeit, wie auch unsere Weihnachtsfeier heute startet" ist nur ein Beispiel von vielen. Mir macht das nichts aus und ich habe auf alle Fälle vor, dort zu erscheinen, falls mir Stella nicht wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Auf welchem Stand ihre Gemütslage schwebt, kann ich absolut nicht beurteilen, da ich sie das letzte Mal vor zwei Tagen gesehen habe, als sie gerade unsere Wohnung verlassen hat. Ohne "Hallo" oder sonstige Grüße ist sie an mir vorbei gerauscht, in mein Auto eingestiegen und davongebraust.

"Hallo?", als ich unsere Wohnung betrete, ist es wieder mucksmäuschenstill. Ein klein bisschen ärgere ich mich, dass diese Frau sich nicht einmal kurz melden kann und mir Bescheid gibt, wo sie sich aufhält. Mich beschleicht ein mulmiges Gefühl, dass irgendetwas passiert sein könnte, denn schließlich ist sie meine Freundin und ich mache mir doch Sorgen um sie.

Mein erster Weg führt mich ins Badezimmer, in dem ich mich meinen Klamotten entledige und unter die warme Dusche hüpfe. Während ich meinen Körper einseife, frage ich mich selbst, wie es wäre, wenn Stella nie wieder auftauchen würde. Für einen kurzen Moment denke ich mir, dass ich vielleicht gar nicht so traurig darüber wäre, doch kurz darauf schüttle ich über mich selbst den Kopf. Ich kann meine Freundin nicht einfach aufgeben, nur weil wir gerade eine schlechte Phase durchmachen. In ein paar Wochen wird bestimmt wieder alles gut sein und sie sich wieder in die liebevolle, wunderschöne Frau verwandeln, in die ich mich vor zwei Jahren unsterblich verliebt habe. Meine schlechten Erinnerungen werde ich mit der Zeit verdrängen können und irgendwann nur noch als kleinen unbedeutenden Nebel in meinem Hinterkopf wahrnehmen.

Voller neuen Mutes verlasse ich die Dusche, trockne mich ab und hülle meinen Körper in meinen Bademantel ein, der eine dezente Duftnote meiner Freundin beherbergt. Früher hat sie sich gerne darin eingekuschelt und so gemütliche Abende mit mir auf dem Sofa verbracht.

Schreib ihr eine Nachricht, damit sie weiß wo du bist, falls sie nach Hause kommt!

Fest entschlossen laufe ich ins Wohnzimmer und schnappe mir aus der Kommode, neben dem Fernseher, ein Blatt Papier sowie Kugelschreiber. Ich gebe mir außerordentliche Mühe, die kurze Nachricht, die meinen Aufenthaltsort und den Grund meiner Abwesenheit beherbergt, auf das Papier zu bringen. Nach einem Blick auf die Uhr wird mir bewusst, dass ich gar keine Zeit mehr habe, meine geschriebenen Worte zu korrigieren, da die Weihnachtsfeier bald beginnt und ich nicht zu spät kommen möchte. Ich vertraue einfach darauf, dass ich nicht allzu viele Fehler gemacht habe und Stella wird es sicherlich nichts ausmachen, denn schließlich habe ich mir Mühe gegeben und ihr diese Nachricht hinterlassen.

Guten Gewissens werfe ich mir ein paar Klamotten an den Leib und muss mir eingestehen, dass ich mich ein kleines bisschen auf die Weihnachtsfeier freue. Heute werde ich ohne einen vorhergegangenen Streit die Wohnung verlassen können und auch keine neuen Verletzungen verstecken müssen. Der Abend kann also nur gut werden.

Hinter verschlossenen Türen; Die verborgene RealitätWo Geschichten leben. Entdecke jetzt