37 - Vor dem Ball

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„Bei weitem nicht alles, aber Manches werde ich durchaus vermissen, wenn wir wieder zu Hause sind." Richard kam aus dem Badezimmer, wo er die modernen Freuden einer heißen Dusche in Verbindung mit duftendem Duschgel und vorgewärmten, weichen Handtüchern genossen hatte. Sein noch feuchtes, fast schwarz wirkende Haar stand ihm in alle Richtungen vom Kopf und um die schmalen Hüften hatte er ein Handtuch geschlungen. Ein Rest Feuchtigkeit schimmerte in den feinen Härchen seiner muskulösen Arme und ließ das Narbenmuster, das seinen Oberkörper bedeckte, stärker hervortreten. „Fließend warmes Wasser ist eines davon. Ich habe mich während der ganzen Wäsche gefragt, wie wir das bei uns installieren könnten."

Mit einem zweiten Handtuch, das er in der Hand hielt, fuhr er sich durchs Haar, so dass es noch wilder abstand als zuvor. Dann rieb er sic mit dem Tuch über Arme und Oberkörper.

„Und, bist du zu einer Lösung gekommen?"

„Nicht wirklich, außer man kann sich die Quelle im Wald, die den Teich speist, nutzbar machen. Doch vermutlich fehlt es am Gefälle. Ich verstehe leider zu wenig davon. In meinem nächsten Leben werde ich Ingenieur oder etwas in der Art. Etwas Brauchbares, jedenfalls."

Samantha hob den Kopf und ihr langes, kastanienbraunes Haar fiel ihr dabei ins Gesicht, so dass sie es mit der Hand zurückstreifte. Sie saß am Frisiertisch des Schlafzimmers in Ferywood Manor, in das sie und Richard aus Platzgründen und weil es im Hinblick auf den Ball so viel praktischer war, umgesiedelt waren.

„Das halte ich für sehr vernünftig", fand sie.

Sie trug ihr weißes Untergewand aus indischem Musselin und das Mieder. Ein bestickter Seidenstrumpf lugte unter dem langen Saum des Hemdes hervor. Es waren die Kleidungsstücke, die sie aus der Vergangenheit mitgebracht hatte. Nur das zarte Abendkleid und ihr Unterrock waren nicht mehr zu retten gewesen. So dass sie sich ein Kleid von Lady Velton ausleihen musste, das natürlich zu lang war. Um zu verhindern, dass sie stolperte, hatte sie den Saum in Falten hochgesteckt und festgenäht. Es sah wie eine extravagante Verzierung aus, aber weil sie es in Eile hatte tun müssen, war sie mit dem Ergebnis nicht sehr zufrieden. Nachdem sie Richard ein verständnisvolles Lächeln zugeworfen hatte, wanderte ihr Blick zurück zu dem Kleid, das ausgebreitet auf dem gemachten Bett lag. Sie fragte sich, ob sie noch Zeit hatte, die Draperie nochmals neu zu ordnen und neu anzunähen.

„Wir werden uns verspäten, wenn du das Kleid jetzt nochmal auseinandernimmst", sagte Richard, ihre Gedanken erratend. „Du wirst wunderschön aussehen", versicherte er ihr weiter und beugte sich von hinten zu ihr, um ihr über die Schulter einen Kuss auf die Wange zu geben.

Sie erschauderte bei der Berührung seiner kühlen Haut und neigte den Kopf, um ihm besseren Zugang zu gewähren. Doch Richard zog sich zurück.

„Ich glaube, wir sollten uns anziehen", sagte er mit rauer Stimme, die durchaus Bedauern verriet.

Samantha erhob sich von dem Schemel und trat zu ihm. Mit einer fließenden Bewegung schlang sie die Arme um seinen Hals und stellte sich auf die Zehenspitzen. Ihr war sehr bewusst, wie wenig sie beide anhatten und die Art, mit der sich Richards große Hände automatisch auf ihre Hüften legten und sie ebenso automatisch näher zogen, verriet ihr, dass es auch ihm sehr bewusst war.

„Wir sind nicht die Gastgeber. Wir dürfen uns verspäten so viel wir wollen", flüsterte sie mit einem Beben in der Stimme und so nah an seinen Lippen, dass er gar nicht anders konnte, als sie zu küssen.

Seine Lippen strichen über ihre und schnell wurde der Kuss inniger, gieriger. Richards Hände glitten über den zarten Musselin ihres Hemdes und weil der Stoff so hauchdünn war, fühlte es sich an, als lägen sie direkt auf ihrer Haut. Er drängte sich enger an sie, um sie am ganzen Körper zu spüren und dabei löste sich das Handtuch um seine Hüften und rutschte zu Boden. Er stieß ein tiefes, sehnendes Geräusch aus, das Samantha wollüstige Schauer über die erhitzte Haut jagte. Sein Knie schob sich zwischen ihre Schenkel und sie stolperten rückwärts. Samantha Schenkel stieß an die Kante der Frisierkommode, so dass der Spiegel leise klirrte und die Haarbürste herabrutschte und klappernd aufs Parkett fiel. Sie schenkten dem keine Beachtung, waren vollkommen versunken in den Kuss, in die Berührungen, sanft, gierig, vertraut und aufregend. Alles auf einmal. Samanthas Beine fühlten sich an wie Pudding. Richards Knie und seine Arme hielten sie aufrecht. Sein Atem ging schwer und schnell und ihrer ebenso, während ihr Herz erwartungsvoll hämmerte. Sie hatten hierfür eigentlich keine Zeit. Unten warteten ihre Gastgeber, ein Ball und anschließend die Vergangenheit, aber Zeit war nur ein Wort, ein lästiges Wort, wie überhaupt alle Worte lästig waren, wenn man nur fühlte. Hände, Lippen, warmer Atem, Haut auf Haut. Es war nicht genug. Das war es nie und würde es nie sein.

Die Schatten von FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt