Kapitel 10

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𝕾agt mir, ihr Menschen, die die Wunder des Universums in sich tragen: Welchen Ursprung hat jene Angst, die ihr von Generation zu Generation an eure Nachfahren vererbt? Jene Angst, die einige so vergiftete, dass sie andere mit sich in den Abgrund stürzten, oder andere sie so gut verleugnen ließen, dass sie eine Traumwelt erschufen, der sich immer mehr jene anschlossen, die den ersten nicht zum Opfer gefallen waren.

Sie war ein Geschenk des Universums, um uns die Erfahrung der Liebe ermöglichen zu können. Ohne die Dunkelheit wären wir niemals in der Lage gewesen, uns als das Licht erkennen zu können, das wir sind. Nur haben wir uns zu lange in dieser Dunkelheit aufgehalten und aus der Angst etwas erschaffen, das unsere künftigen Nachkommen vergiftete und uns eine kollektive Ohnmacht erfahren ließ. Wir verlernten die Sprache der Wahrheit und gaben uns den Lügen hin, betrachteten einander als Fremde und erschufen eine Welt, die dem Egoismus dienlich und dem Altruismus misslich war.

Sagt mir, wie viele Jahrtausende müssen noch vergehen, wie viele Tode erfahren und Ängste geschaffen werden, bis wir endlich erwachen?

Doch vielleicht war es nie unsere Bestimmung gewesen, dieser Dunkelheit zu entkommen.

~

Ich spürte, wie sich mein Körper in Schweiß badete und jeder meiner schweren Atemzüge versuchte, mir die bedrückende Last, die auf mir lastete, zu erleichtern. Es war, als würde mein Herz in jedem Moment aus meiner Brust springen.

»Wenn du dich mir hingibst, muss ich dir nicht wehtun«, hörte ich meinen Peiniger sagen, der meinen Rock hochschob und mich mit ungewollten Berührungen quälte. Die Worte schienen mir in der Kehle stecken zu bleiben, die mich in ein Gefängnis fürchterlicher Stille sperrten; mein Körper war erstarrt und einzig meine Seele versuchte, einen Fluchtweg aus dieser unfreiwilligen Intimität zu suchen. Aus den Schatten schaute uns eine Frau zu, deren Lippen sich zu einem boshaften Lächeln geformt hatten, die mich zu verhöhnen schienen.

»Sag mir, Evièka, warum bist du hierher zurückgekommen?«, sprach sie, während ihre tiefen und durchdringenden Augen sich in meinen Leib bohrten und ihn beinah genauso zu entblößten versuchten wie der Mann vor mir, der sich mir aufzwang.

Auch wenn ich in ihren kalten Augen Zurückhaltung und Selbstschutz erkennen konnte, als ob sie aufgrund eigener grausamer Erfahrungen gelernt hätte, ihre Gefühle in einem eisernen Käfig zu sperren, so verstand ich nicht, warum sie mich so zu verachten schien. Plötzlich griff Anna nach einem Messer und hielt es mir an die Kehle.

»Glaubst du, wir wüssten nichts über deine Einmengungen und Fragereien?«, fuhr sie fort und drückte immer fester zu. Ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Körper und ich spürte, wie mir Blut aus ihm entwich. Immer weiter schien mein Herz gegen meinen Brustkorb zu hämmern und jeder Atemzug glich einem Kampf gegen unsichtbare Fesseln, die sich enger und enger um meinen Körper zogen. Warum, um Himmels Willen, konnte ich kein Wort herausbringen?

»Ich erinnere mich genau an dein Gesicht, als ich dir an jenem Tag begegnete«, hauchte sie mir ins Ohr, während sie langsam das Messer hinab zu meiner Brust führte und mein Mieder aufschnitt. Ihr Handlanger tat es ihr gleich und begann meine Bluse aufzureißen. »Du warst so schön und unschuldig... Etwas, das nicht sein durfte. Das ich vernichten wollte. Doch sieh an, selbst den Tod konntest du überlisten.«

Ich fühlte mich einer Ohnmacht nah; mein Geist rief immerzu verzweifelt nach Erlösung, doch die Schatten des Unausweichlichen näherten sich mir erbarmungslos. Und doch spürte ich, wie in mir in dieser lähmenden Todesangst die kleine Flamme des Lebenswillens weiterzukämpfen schien. Ihr kleiner, zerbrechlicher Lichtstrahl war das letzte Funken Hoffnung, an das ich mich in dieser Finsternis festhalten konnte.

AngstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt