Kapitel 1.3

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~Seth

Erwartungsgemäß hielt ich es nicht lange in der Wohnung aus. Mein Weg führte mich in den Rosebery Park, ein Ort, an den ich häufig kam, wenn mir die Decke auf den Kopf fiel. Es war Freitag Nachmittag, um die Uhrzeit waren einige Leute im Park unterwegs. Die Anlage war aber groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen.

Als ich am Entensee ankam, blieb ich kurz stehen und starrte auf das Wasser. Eine Gruppe von Enten schwamm ganz in meiner Nähe gemächlich über den See, bis sich eine von ihnen löste und auf das Ufer zuschwamm. Sie lief aus dem Wasser und watschelte anschließend auf mich zu. Ich wusste nicht weshalb, aber diese Ente folgte mir schon, seit ich das erste Mal hier gewesen war. Ich hatte sie John genannt und wusste ihre Gesellschaft an manchen Tagen durchaus zu schätzen. Als ich auf eine Bank zusteuerte, trippelte John mir hinterher, als hätte ihn jemand darauf dressiert, genau das zu tun. Ich setzte mich auf die Bank, John machte es sich vor meinen Füßen bequem. Zählte eine Ente als Sozialkontakt? Falls ja, machte ich hier schnelle Fortschritte.
Ich griff in meine Jackentasche und nahm die Tüte mit Obststücken heraus, die ich aus der Küche geklaut hatte. Während ich John mit den Obststückchen fütterte, kreisten meine Gedanken um das Gespräch von vorhin. Die ganze Zeit hatte ich schlicht und einfach nicht die Möglichkeit gehabt mir eine Schule zu suchen, weil zu viele Akten gefehlt hatten. Jetzt aber hatte ich die Chance, endlich diesen verdammten Abschluss zu machen - und ich fühlte mich nicht bereit dazu. Aus irgendeinem Grund fühlte es sich endgültig an, wieder in den Unterricht zu gehen. Als hätte ich mich damit abgefunden, dass das hier nun mein Leben sein würde.

Ich hob den Kopf und sah, dass eine Frau Anstalten machte, sich ebenfalls auf die Bank zu setzen. Daraufhin sprang John kurzerhand neben mich auf die Bank und fauchte die Frau an, die daraufhin das Weite suchte. Das entlockte mir ein kurzes Grinsen. John quakte mich stolz an.

Ich richtete den Blick wieder nach vorne und ließ nachdenklich meine Fingerknochen knacken. Also gut. Eine Schule in London. Eine Schule für Menschen, die zu viel Geld besaßen. Bei den Göttern, ich hatte meine Schulzeit längst abgeschlossen. Frustriert atmete ich aus. Ich war zu alt für diesen Scheiß.
Und trotzdem musste ich irgendwann diesen Schritt machen. Es wurde nicht besser, je länger ich es vor mir herschob.
Ich stand auf und machte mich langsam auf den Weg zum Ausgang des Parks. John watschelte noch immer hinter mir her, als wäre er ein Küken und ich seine Entenmutter. Schule. Trugen die hier nicht sogar Uniformen? Passte eine Uniform überhaupt zu meinem Nasenring? Ich seufzte. Das waren die wichtigen Probleme. Eigentlich war diese Entscheidung vollkommen hinfällig, weil ich nicht wirklich eine Wahl hatte. Ich brauchte einen Schulabschluss, ich konnte mich nicht ewig hinter einem Job verstecken, mit dem ich mich gewissermaßen selbst geißelte. Ich hasste es, vor anderen Leuten zu singen. Bei den Göttern, ich hasste dieses Leben.

Meine Muskeln spannte sich an, als sich der Ausgang des Parks in mein Sichtfeld schob. Ich wusste, dass ich Mum eine Antwort geben musste, vielleicht schon, wenn ich nach Hause kam. Ich wollte nicht, dass sie mir eine Privatschule finanzierte, aber es war die einzige Möglichkeit, eine Schule zu besuchen, solange die Behörden das mit meinen Papieren nicht auf die Reihe bekamen. Dieses Gefühl, fremder Hilfe ausgeliefert zu sein, gefiel mir ganz und gar nicht.
Bevor ich durch das Tor des Parks ging, beugte ich mich zu John herunter und nickte ihm zu. ,,Mach's gut. Wir sehen uns."
Das brachte mir befremdliche Blicke von einem Pärchen ein, das gerade an mir vorbeilief. Die Ente hingegen quakte mich erfreut an und fuchtelte mit den Flügeln herum, ehe sie sich schließlich umdrehte und zurück in Richtung Entensee watschelte.
Ich hingegen straffte die Schultern, drückte die Wirbelsäule durch und trat den kurzen Heimweg an.

Im Flur kam mir meine Mutter entgegen, die gerade dabei gewesen war, die Wohnung zu verlassen. Sie nickte mir kurz zu. ,,In der Küche steht noch ein Rest Essen, falls du das möchtest. Ich muss nochmal weg."

Ich erwiderte das knappe Nicken. ,,Danke."

Beinahe erleichtert sah ich dabei zu, wie sie durch die Tür ging und sie hinter sich ins Schloss fallen ließ. Wenn sie nicht hier war, konnte sie mich auch nicht nach meiner Entscheidung fragen. Probleme vertagen war etwas Wunderbares.

Ich hatte tatsächlich Hunger, deshalb ging ich in die Küche und schaltete die vordere Platte des Gasherds an. Ich wollte nach dem Topf auf der hinteren Herdplatte greifen und ihn nach vorne stellen, überlegte es mir aber anders und beugte mich stattdessen über den Topf, um zuerst dessen Inhalt zu beäugen. In diesem Moment spürte ich, wie mein Pferdeschwanz über die Schulter fiel und mit einem Volltreffer direkt in der Gasflamme landete. Fuck.

Fluchend wollte ich mich aufrichten, erst dann fiel mir auf, dass es nicht nach verbranntem Haar roch. Ich rührte mich nicht und schielte irritiert auf die vordere Herdplatte. Keine Stichflamme. Nicht einmal die Haarspitzen wurden angekokelt, stattdessen erstickten sie die Flamme an den Stellen, an denen sie herabhingen. Beinahe, als wären sie... feuerresistent? Mein Herz schlug schneller, eine eigenartige Wärme breitete sich in mir aus. Hieß das...?

Feuer faszinierte mich noch immer. Der Gedanke, dass mich die Flamme, mit der ich meine Zigaretten anzündete oder mein Essen kochte, verletzten konnte, war noch immer absurd. Trotzdem hatte ich bisher nicht gewagt, es zu testen - ob mich etwas, was früher durch meine Adern geflossen war, wirklich verletzen konnte. Die Hoffnung durchflutete mich wie eine Droge. War wenigstens das zurück geblieben? Meine Resistenz gegen Feuer?
Ich biss mir auf die Lippe, um dieses warme Gefühl irgendwie zu verdrängen und den Hoffnungsfunken in mir zu ersticken. Haare waren tote Zellen, gewachsen als ich noch mehr als... als ein Mensch gewesen war. Das machte Sinn. So funktionierte Biologie. Und trotzdem...
Ich beugte mich weiter herab und patschte mit den Haaren fasziniert in der Flamme herum. Nichts geschah.

Ich richtete mich wieder auf und bewegte die Hand über die Gasflamme. Es juckte mich in den Fingern, das Feuer auf der Haut zu spüren, zu testen, ob ich wirklich Schmerz empfinden konnte, wenn ich es berührte. Und in diesem Moment setzte mein Gehirn einfach aus. Ich senkte meine Hand und hielt sie in die Flamme.

Inferno - Todessohn IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt