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~ Sie behandeln mich, als sei ich eine Ausstößige, eine Belastung.
Und genau so fühle ich mich auch. ~

Die Zeit vergeht immer schleppender.

Ich verbringe sie meist auf der Couch oder in meinem Bett.

Ich esse fast nichts.

Das ist der einzige Weg, wie ich tot hier herauskomme.

Sie haben ALLES was auch nur ansatzweise gefährlich sein könnte entfernt. Ich trinke aus Pappbechern und wenn sie mich mal wieder zwingen etwas zu essen besteht der Teller aus Pappe und mein Besteck ist ein Löffel.

Wenn sie ganz gnädig sind darf ich auch mit der Gabel essen, dann sitzt aber immer jemand neben mir und passt auf.

Es sind immer zwei.

Es ist keine Sekunde in der ich unbewacht bin, außer vielleicht im Badezimmer, wo ich aber auch nur eine bestimmte Zeit bleiben darf.

Geht einer von ihnen ins Bad achtet der andere noch mehr auf mich.

Nach draußen gehe ich erst garnicht.

Sie versichern mir ich dürfte es, aber ich weiß, wie das aussehen würde.

***

Nie ändert sich etwas, bis zu einem Tag.

Es ist bereits Anfang des Winters, geschneit hat es noch nicht so richtig, aber es ist kalt, matschig und dunkel.

Mein Tag beginnt wie sonst auch immer: Aufstehen, in die Küche gehen, dem Pfleger der dort wartet sagen, dass ich noch lebe, Tee trinken.

Normalerweise würde jetzt die Pflegerin Nummer zwei hereinkommen mit drei trockenen Brötchen, die Marmelade aus dem sonst leeren Kühlschrank holen und mich zwingen, zu essen damit ich nicht wegklappe.

Aber heute höre ich keinen Schlüssel der sich im Schloss dreht.

Ich höre keine Schritte, die über den kahlen Flurboden schlurfen.

Ich höre kein Schnaufen einer Frau die gerade in den fünften Stock gelaufen ist.

Ich höre nichts von alledem.

Stattdessen bleibt es still.

Langsam linse ich an der Ecke in Richtung Flur vorbei.

Sie kommt nicht.

Vielleicht hat sie sich nur verspätet.

Aber auch nach weiteren zehn Minuten betritt niemand die Wohnung.

Der Pfleger, dessen Namen ich trotz den zwei Wochen die wir nun schon zusammen verbringen nicht kenne, bekommt eine Nachricht. Er liest sie, sein Blick wird dabei immer angespannter.

Dann sieht er auf und grummelt vor sich hin.

Ich verstehe zwar nur die Hälfte, aber der Inhalt ist klar: Sie kommt heut nicht. Irgendein Notfall, was mir jedoch egal ist. Sie kommt heut nicht.

Ich reagiere nicht darauf, stehe von dem unbequemen Küchenstuhl auf und lege mich aufs Sofa. Dann eben kein Frühstück. Eine Zeit lang bleibe ich einfach nur liegen.

Wie immer langweile ich mich, versinke in Gedanken, einer grausamer als der andere, und starre an die Decke.

Es vergeht einige Zeit in der sich nichts regt.

Dann nach einer Gefühlten Ewigkeit höre ich ein Rascheln und sehe, wie der Typ aufsteht, mir einen kurzen mahnenden Blick zuwirft und dann im Bad verschwinde.

Dies ist der Moment, auf den ich gewartet habe.

Ich sehe mich um.

Nach wie vor ist nichts hier, mit dem ich es schaffen könnte.

Ich stehe ruhig auf, nehme einen der Stühle und klemme ihn leise unter die Klinke des Badezimmers.

Dann blicke ich erneut um mich.

Ich brauche ungefähr eine Minute, bis ich etwas entdecke, das Hoffnung auf den Tod in mir weckt. Ein Rucksack.

Es ist der des Pflegers.

Schnell gehe ich neben ihm in die Knie und durchwühle ihn nach etwas hilfreichem.

Ein Buch, ein Apfel, zwei Stifte, eine Trinkflasche.

Eine Trinkflasche aus Glas.

Ich nehme sie, als sei sie ein Schatz, stehe auf und haue sie dann mit so viel Kraft wie möglich auf den Boden. Sie zerspringt in tausend Teile und ich ziehe die schärfste Scherbe heraus und trete ein paar Schritte von der Wasserpfütze weg, die sich gebildet hat.

Endlich!

Ich hocke mich auf den Boden, setze die glänzende Glasscherbe an und presse sie auf meinen Arm.

Auf meine Pulsader.

Ich fühle, wie das Blut durch mich hindurchrauscht.

Ich fühle, wie ich lebe.

Also ziehe ich die Klinge über meinen Arm und direkt quillt Blut hervor.

Das Letzte, was ich spüre ist, wie ich falle.

Das Letzte, was ich höre ist, wie der Pfleger versucht die Tür zu öffnen.

Das Letzte, was ich denke ist, dass es endlich vorbei ist.

HeartbeatWhere stories live. Discover now