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(🫠)

Am Mittwochnachmittag gehe ich mit einem heftig klopfendem Herzen aus der Vorlesung raus. Ich weiß, dass ich mich vor dem Gespräch mit Prof. Dr. Taghavi nicht einfach so drücken kann. Mir ist die Email zwar jetzt schon wieder unangenehm, aber ich kann nicht einfach so tun, als hätte ich die ganze Sache vergessen. Ich wollte mit ihr über meinen Studiumsabbruch sprechen, mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich gleich kein einziges Wort herausbekommen werde, wenn ich in ihrem Büro sitze. Trotzdem gehe ich mit zitternden Beinen die Treppenstufen zu den Büros der Professoren hinauf. An solch einem offiziellen und dennoch privaten Ort darf ich bestimmt gar nicht sein, denke ich leise.

Ich schlucke schwer und drücke die Türklinke hinunter, um auf den langen, hell erleuchteten Flur zu gelangen, auf dem sich die Büros befinden. Ganz am Ende des Ganges soll das von Prof. Dr. Taghavi sein. Mit immer stärker zitternden Beinen schleiche ich mich den Flur entlang und gehe auf die große, weiße Tür am Ende zu. Dort drinnen, in diesem Raum, sitzt Prof. Dr. Taghavi, meine Professorin. Bei dem Gedanken an sie, daran, dass ich sie seit genau einer Woche nicht mehr gesehen habe und vor allem bei dem Gedanken an unser Gesprächsthema, will ich fast wieder auf der Stelle umdrehen. Aber als meine Hand, wie ganz von alleine, an der Tür klopft, weiß ich, dass es kein Zurück mehr gibt. Nun muss ich mich dem, was ich getan habe, stellen.

-"Herein", höre ich ihre laute, klare Stimme sagen. Meine Finger beginnen, ebenfalls zu zittern und ich fühle mich plötzlich sogar zu schwach, um die Tür zu ihrem Büro zu öffnen.
"Guten Tag", begrüße ich sie leise, als ich in den Raum eintrete. Direkt vor mir sitzt die hochgewachsene schwarzhaarige Frau an ihrem Schreibtisch. Ihre schwarzen Haare sind zu einem strengen Knoten gebunden und nur ein paar kurze Strähnen umrahmen ihr Gesicht. Sie trägt eine schneeweiße Bluse und eine pechschwarze Anzughose. Ihre Beine hat sie übereinandergeschlagen und in ihrer linken Hand hält sie eine kleines Glas mit dampfendem Tee. Sie sieht mich erwartungsvoll an. "Guten Tag, Aimée... Setzen Sie sich bitte", sagt sie und deutet auf den Stuhl ihr gegenüber. Ich bin froh darüber, endlich zu sitzen, denn meine Beine fühlen sich vor lauter Aufregung so weich an, dass ich kurz dachte, sie würden einfach zur Seite knicken und ich würde auf den Boden fallen.

Nervös knacke ich mit meinen Fingergelenken und starre auf den Schreibtisch von meiner Professorin. Alles ist ordentlich sortiert, auf dem Bildschirm des Computers ist das Emailprogramm geöffnet mit meiner Email, die ich an sie geschrieben hatte, in welcher ich sie um ein Gespräch bezüglich meines Studiums im Allgemeinen bat. Ich habe kein einziges Wort darüber verloren, dass ich mein Studium abbrechen möchte, weil ich es sowieso nicht schaffen werde und viel zu dumm und chaotisch dafür bin. Meine Augen fokussieren sich auf das dunkle Material des Tisches. Aber ich spüre, dass die dunkelbraunen Augen von Prof. Dr. Taghavi auf mir liegen. "Aimée", spricht sie mich an und ganz automatisch sehe ich in ihr nahezu perfektes Gesicht. Ich weiß nicht, woher es kommt, dass mein Unterbewusstsein so gehorsam auf ihre Worte reagiert, aber mein Blick bleibt an ihren mysteriösen dunkelbraunen Augen hängen.

-"Sie haben mir geschrieben, dass Sie mit mir über etwas Wichtiges bezüglich Ihres Studienplatzes an dieser Universität sprechen wollen... Sie wissen, dass Sie sich damit eigentlich an die Mitarbeitenden in der Abteilung des Universitätspräsidenten wenden müssen, oder?", meint sie. Ich schlucke einmal schwer und nicke. "A-Aber Ihnen... Ihnen kann ich irgendwie besser vertrauen... I-Ich weiß auch nicht, wieso...", stottere ich und traue es mir plötzlich nicht mehr zu, Prof. Dr. Taghavi anzusehen. "In Ordnung...", meint sie und sieht auf ihre Hände, welche sie auf der Tischfläche gefaltet hat. Ich weiß aus irgendeinem Grund ganz genau, dass gleich noch irgendetwas kommen wird und dass sie ihren Satz noch nicht beendet hat. Sie setzt einmal kurz zum Reden an, aber bricht dann wieder ab, als suche sie nach den richtigen Worten. Dabei habe ich immer gedacht, meine Professorin wäre ein Mensch, der nicht lange nachdenken muss und sofort immer weiß, was zu sagen und zu tun ist. Aber in diesem Fall scheinbar nicht.

-"Aimée... Wie kommen Sie überhaupt auf die Idee, dass Sie das Studium nicht schaffen würden? Ihr allererstes Semester geht gerade einmal zwei Wochen, fast drei... Sie haben noch keine einzige Klausur geschrieben und mit den Grundsätzen der Physik gerade erst angefangen...", sagt sie und die Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme zwingt mich dazu, in ihre dunkelbraunen Augen zu sehen, die in dem kühlen Licht des Büros schimmern. Ich schlucke schwer. Irgendwie ist ihre ohnehin schon kräftige, laute Stimme mit jedem einzelnen Wort härter geworden. Am liebsten würde ich mir die Ohren zuhalten, um das, was jetzt folgen wird, nicht hören zu müssen. "Also dürfen Sie noch gar nicht urteilen, Aimée... Sie scheinen so wenig Selbstvertrauen zu haben, dass es auf mich, wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen, fast so wirkt, als würden Sie sich grundsätzlich gar nichts zutrauen... Warum auch immer". Ich nicke und spüre, wie Tränen in meine Augen treten.

-"Da stellt sich mir natürlich die Frage, ob ich Ihre Überlegungen bezüglich des Studienabbruchs überhaupt ernst nehmen sollte... Oder ob es nur das ist, was sich Ihr Gehirn zusammenreimt... Denn sollte es Letzteres sein, bin ich die falsche Ansprechpartnerin und verschwende dann jetzt gerade meine Zeit mit den Gedanken einer intelligenten aber scheinbar trotzdem sehr verwirrten jungen Frau, die sich selbst mal eine Chance geben und nicht direkt aufgeben sollte". Die Kälte in der Stimme von Prof. Dr. Taghavi ist nicht zu überhören. Ich halte meine Luft an und schaue der älteren Frau in ihre dunklen Augen. Sie weiß, dass sie damit irgendwie Recht hat und trotzdem beginnen meine Tränen, ungehindert über meine Wangen zu rollen und schließlich nach unten auf meinen dunkelblauen Wollpullover zu tropfen. "E-Es ist nur so schwer... Nicht nur das Studium... Das Leben allgemein", flüstere ich leise und hoffe eigentlich, dass meine Professorin es nicht hört.

-"Das Leben ist oft schwer, Aimée und wenn ich jetzt ganz ehrlich wäre, könnte ich auch sagen, dass mich Ihr Leben überhaupt nicht interessiert", sagt sie einfach. Ich starre die schwarzhaarige Frau an und beginne, heftiger zu weinen. "Gehen Sie zu einem Psychologen und wenn die Wartezeit dort Ihnen zu lange dauert, dann texten sie meinetwegen Ihre Freunde mit Ihren Problemen voll, aber nicht mich, verstanden?". Ihre Stimme klingt so unfassbar hart und kühl und durch meinen verschwommenen Blick kann ich gerade noch so sehen, dass Prof. Dr. Taghavi von ihrem Bürostuhl aufsteht und mit ihrer Hand in die Richtung der Tür deutet, als würde sie mich hinauswerfen wollen. "J-Ja... Ich... Ich werde das tun, Prof. Dr. Taghavi", wimmere ich leise und stehe ebenfalls auf.

Mit meinem Ärmel wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und drehe mich zu der älteren Frau, die mich mit einem kalten Gesichtsausdruck ansieht. Ich habe mir von dem Gespräch nicht nur ein wenig mehr erhofft, sondern es hat mich auch siemlich verletzt, noch weiter runtergezogen. Warum ist Prof. Dr. Taghavi nur plötzlich von einem auf den anderen Moment so kalt geworden?

AndromedaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt