(40) Wirbelwelt

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Hicks

Der Blitz raste direkt in den Krater. Ein zweiter folgte als Spirale, immer neue Sprosse schlüpften aus den Wolken, zwirbelten einen Strang, hell, heller, blendend. Drachen, Jäger, ich, alle rissen den Kopf weg, Hände und Arme vor die Augen, doch das Licht stach durch die winzigsten Lücken, lautes Knistern biss in salznasse Wimpern.

Warum tat es nicht weh?

Nachtblitz' Brüllen zersprengte jeglichen Donner zu Tonfitzelchen, Sturmnahrung. Ihre Stimmbänder müssten zerfetzen, doch sie brüllte und schrie, lauter, immer lauter, brüllte und holte nicht ein einziges Mal Luft. Ihre Kehle bombardierte in die Welt, was der Vulkan verschlungen hatte.

Moira war gefallen, winzige Silhouette vor Gewitterleuchten und dann stürzender Schatten, dünner Bruch im Glühen.
Die zweite Gestalt stand noch, hatte sie vor wenigen Sekunden, stand sie auch bei erneutem Blick, kaum wahrnehmbar, gerade auf der Grenze von Licht und Dunkelheit. Sungird. Floh vor dem Gleißen, trat zurück ins Schattenreich- oder kam es zu ihm? Hüllte sich in den Mantel seiner Herrschaft?

Nachtblitz schrie, steigerte ihre Lautstärke, doch selbst das konnte nicht den kleinsten Bruchteil ihres Schmerzes vertonen. Wie auch?

Moira war gefallen.

Wir waren zu langsam gewesen. Zu weit auf dem Meer. Zu abgelenkt.
Unterlegen.

Nachtblitz schrie, die Blitze explodierten aus ihr heraus, schleuderten ihre Fänge weit, weit über den ursprünglichen Radius hinaus, bis an den Rand der Wolken, in die Hänge des Vulkans, mischten sich in die Säule, ritzten harte Muster in die Luft.

Drachenjäger blinzelten zum Vulkan, grölten auf, erwachten, metzelten weiter, schneller und brutaler als zuvor. Gründlinge und Seidenspanner keilten zurück, Blut rann durch die Planken. Der Sturm peitschte, rote Gischt sprühte, benetzte die Brutstätte des Gewitters. In der Ferne röhrte der Überwilde, die Insel brannte, qualmte, glühte.
Die schwarze Kriegerin war gefallen.
Und über uns löschte der Mond die Sonne.

Sonst siegt die Finsternis mit einer endgültigen Macht, die alles für immer verschlingt.

Sollte es das gewesen sein? Nein. Nein, nicht, solange diese Schlacht noch im Gange war. Solange es in meiner Macht stand, etwas zu ändern. Und danach nicht.

Die Blitzsäule brach zusammen, verpuffte, hinterließ pure Dunkelheit, tiefschwarzes Ebenbild, schmetternden Donner.

„Hicks?", ein Flüstern in den Massen aus Gewalt.

Astrid! Wo-

Bei Odin.

Wie hatte ich den Todsinger vergessen können?

Der Sturm spielte mit den Zacken auf seinem Rücken, jagte Wellen über die bunt gemusterten Flügel, Bernstein klebte an den Rändern. Kräftige Schläge trugen ihn gegen den Wind, die Zähne leuchteten im unregelmäßigen Gleißen eines Blitzes, nur wenig heller als Astrids flatterndes Haar. Die Axt an ihrem Rücken schnitt silbrige Töne in die Böen, ihre Hand umklammerte den Zacken vor ihr.
Die Welt malte das falsche Bild mit den richtigen Farben.

„Ist sie-"

Ihre Stimme verlor sich, der Blick fand den Vulkan, Nachtblitz, Meer und Sturm. Die Welt hatte die Antwort längst aufgenommen, absorbiert, in jedem ihrer Winkel verewigt. Oder- vielleicht war die Antwort zur Welt geworden. Zu unserer Welt, denn sie war alles, was uns blieb.

„Nein", flüsterte- Heidrun?! Doch, plötzlich neben mir. Und Kotz und Würg mit Taffnuss. Und Raff? Wo war Fischbein? Hatte ich Rotzbakke nicht vorhin gesehen?

Sternenfluch - Segen der FinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt