44. Rein Theoretisch

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-Ivy-

Donnerstag 6. November

Zaghaft klopfte ich an die Schlafzimmertür meiner Eltern. Ein durch die Wand gedämpftes "Hm?", kam zurück. Ich öffnete die Tür einen Spalt breit, huschte hindurch und zog sie sogleich hinter mir wieder zu. Mum saß auf dem Bett, die Nase in ein Buch vergraben. Sie war ungeschminkt, ihr Haar hatte sie schon den ganzen Tag in einer aufwendigen Flechtfrisur getragen und diese anscheinend noch nicht aufgelöst. Im Hintergrund rauschte Wasser. Dad war wohl anscheinend unter der Dusche. 

Ihr grüner Blick huschte konzentriert über die Seiten und hob sich erst, als die Tür hinter mir einrastete. Ihr Gesichtsausdruck wurde sanfter in dem Moment, als sie mir ins Gesicht sah. Vermutlich war meine Schminke heillos verlaufen und ich glich einem Zombie. 
Fragend legte Mum den Kopf schief.

Ich sagte nichts, tapste nur auf sie zu, ließ mich neben ihr auf das Bett sinken und legte meinen schweren Kopf auf ihrem Oberschenkel ab. Ich liebte meine Mutter dafür, dass sie nicht besorgt und hysterisch wurde, sondern einfach nur akzeptierte, dass ich ihre Nähe und nicht ihre Worte brauchte. 

Ich blinzelte ein paar Mal träge und konnte ihre sanften Finger auf meiner Kopfhaut spüren als sie mir übers Haar strich. Gedankenlos las ich einige Zeilen in ihrem Buch mit...
Mord und Todschlag, wie immer. 

Erst nach einigen schweigsamen Minuten erhob ich das Wort: "Diana hat mich angelogen" "Wie meinst du das, Schatz?"
"Weißt du noch als ich drei und Diana fünf waren?" Ich blickte zu ihr auf. Mum nickte konzentriert. "-und ihr diesen bescheuerten Blutschwur gemacht habt, wir den Notarzt holen mussten weil du beinahe verblutest wärst da ihr Genies euch in den Oberschenkel -anstatt wie normale Menschen in die Handfläche- geschnitten habt und du dir dabei die Beinschlagader angeritzt hast... Klar weiß ich das noch", beendete sie meinen Satz und grinste. Ich verzog das Gesicht. 

"Ja genau das meinte ich", gab ich nach kurzem Herbeiholen dieses Erlebnisses aus meinem Gedächtnis. Gedanklich musterte ich die daumenlange Narbe zentral auf meinem rechten Oberschenkel. Mann, waren wir dumm.

"Was ist mit dem Schwur?", Mum wurde sofort wieder ernst.
Ich schluckte den kalten Brocken in meinem Hals hinunter. "Wir haben uns geschworen, keine großen Geheimnisse voreinander zu haben."

Meine Mutter zog die Augenbrauen zusammen. "Definiere groß"
Ich druckste herum und knibbelte meinen dunkelgrünen Nagellack ab. "Naja, so etwas wie Mord, Streits mit der Familie, Beziehungen... -Sexualitätsfragen?", den letzten Teil des Satzes murmelte ich eher und schaute zu meiner Mutter auf welche nun endgültig ihr Buch weggelegt hatte. "Hat sie etwa jemanden umgebracht?" 

"Äh, N-" "Wer hat wen umgebracht?", beim Klang der mir wohlbekannten, warmen Stimme wandte ich mich um, in Richtung der zweiten Tür im Schlafzimmer meiner Eltern. Mein Dad stand, bekleidet allein mit einer dunkelblauen Jogginghose im Türrahmen des Badezimmers während er sich noch die Haare mit einem Handtuch trockenrieb. 

Bevor ich etwas erwidern konnte, antwortete meine Mutter auf seine Frage: "Angeblich Diana"
"Und das ist inwieweit ein Problem?", die Stimme meines Dads war durch das Handtuch gedämpft. 
"Ihr seid mir echt zu abgehärtet was sowas angeht...", brummte ich. Als ich sah, dass meine Mum Luft holten um wahrscheinlich weitere Spekulationen zu Diana, der Mörderin von sich zu geben, unterbrach ich sie. "Und nein, bei Gott! Hier wurde niemand umgebracht"

"Da hätte ich dir zumindest helfen können, Leichen sind mir persönlich lieber als psychologischer Kram", sagte meine Mum nüchtern und nahm sich ihr Buch wieder. Bevor sie weiterlas, gab sie noch ein "Frag deinen Vater, der kann das besser", von sich.

Ich zog eine Grimasse. Ebengenannter hatte sich inzwischen auf die Bettkante gesetzt, das feuchte Handtuch in seinem Schoß. Ich krabbelte über Mum und setzte mich im Schneidersitz neben ihn. "Was bedrückt dich kleine Pflanze? Vielleicht kann ich dir helfen"

Ich schnaubte aufgrund der Erwähnung dieses Spitznamens kurz amüsiert.
Unsicher kaute ich mir auf der Lippe herum. Ich wollte Diana nicht outen, egal wie sauer ich auf sie war.

"Was würdest du tun wenn -rein theoretisch- dein bester Freund seit mehreren Monaten eine seltsame nicht-Beziehung mit einer Person hat, dich wegen dieser Person die ganze Zeit über versetzt und dich anlügt?" Mein Dad atmete aus. "Naja, dann würde ich -rein theoretisch- meinen besten Freund fragen, was das sollte." Ich schnaufte frustriert. "So einfach ist das nicht!" "Doch. Doch, das ist es" 

Das tiefe blau der Augen meines Vaters bohrten sich in meine moosgrünen und ich verstand. Es war tatsächlich so einfach.
"Ich rede mit ihr... -Morgen, Danke" 
Mein Dad lächelte. "Gerne"

Ich ließ mich nach hinten fallen und Dad tat es mir gleich. Ich landete mit meinem Kopf auf Mums Oberschenkel, Dad auf ihrem Bauch.
Mum stöhnte demonstrativ, das Lächeln konnte man allerdings in ihrer Stimme hören. "Alles geregelt?" Ich nickte und sah im Augenwinkel, wie sie meinem Dad liebevoll durch die noch leicht nassen Haare fuhr. 

"Gut." 
Ich nickte bloß.
"Ein Mord wäre trotzdem einfacher zu händeln gewesen", gab Mum nach wenigen Sekunden trocken von sich. Ich prustete. "Für dich vielleicht"

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Genau 800 Wörter, bin ich krass. 
Sorry für die lange Funkstille...
Und dings, der Spitzname: Ivy, Efeu, Pflanze, klein weil sein Kind yk
Ich bin so schlau bg

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Bye
All the love
AC.xx

29. Dezember 2023

Forever you and meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt