Veränderung

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An diesem Morgen wäre ich am liebsten Zuhause geblieben. Emilia hatte ich, seit ich diesen verfluchten Schwangerschaftstest gemacht habe, nicht mehr gesehen und ich hatte keine Ahnung, wie ich ihr gegenübertreten sollte. Ich konnte ihr nicht davon erzählen. Das würde alles kapputt machen.
Schon in der ersten Stunde hatte ich mit Emilias Kurs Unterricht. Sie war tatsächlich mal pünktlich.
"Du bist ja schon da", sagte ich grinsend.
"Ich hab dich vermisst", flüsterte sie.
"Du hast dich gestern nicht mehr gemeldet", sagte sie leise.
"Ich hab mich noch mit meiner Schwester getroffen. Das ist irgendwie aus dem Ruder gelaufen", sagte ich.
Emilia zog die Augenbrauen hoch. Sie wollte gerade zum Sprechen ansetzen, als die ersten Schüler eintrafen. Emilia setzte wieder ihr altbekanntes Pokerface auf und ließ sich gelangweilt auf ihren Platz in der letzten Reihe fallen.

Irgendwie brachte ich diese verfluchten 6 Stunden hinter mich. Danach verkroch ich mich ins Lehrerzimmer. Dort blieb ich. Ich wusste, dass ich unzählige Nachrichten von Emilia hatte. Aber wie sollte ich ihr unter die Augen treten?
Also saß ich stattdessen im Lehrerzimmer und starrte vor mich hin. Meine Kollegen hatten sich bereits in den Feierabend verabschiedet. Dann ging plötzlich die Tür auf und Caro kam herein. „Schon wieder, Leyla?", fragte sie mich. Ich antwortete nicht.
Sie setzte sich neben mich auf den Boden. Dann schwiegen wir eine ganze Weile.
„Was ist passiert?", fragte sie.
„Ich bin der größte Vollidiot auf Erden und jetzt bekomme ich die Konsequenzen dafür", murmelte ich.
„Leyla, du sprichst in Rätseln", sagte Caro.
„Ich bekomm die Quittung für meinen Fehltritt", sagte ich.
„Ich dachte, Emilia hätte dir verziehen", sagte Caro.
„Ich bin schwanger", flüsterte ich.
„Verdammte Scheiße", entfuhr es Caro.
Ich konnte mir trotz der beschissenen Situation ein Grinsen nicht verkneifen. Wenigstens eine Person, die mich verstand. Caro wusste, dass ich keine Kinder wollte und das ich die beschissenste Mutter auf der Welt wäre.
„Ich kann das nicht", flüsterte ich.
Caro legte ihren Arm um meine Schulter. „Ich weiß", sagte sie. „Es gibt andere Möglichkeiten als es auszutragen", sagte sie.
„Ich werde abtreiben", flüsterte ich. Ich konnte ihr dabei kaum in die Augen sehen. Ich fühlte mich, wie der schlechteste Mensch auf Erden. Doch Caro nickte. „Es ist für dich die beste Entscheidung", sagte sie.
„Weiß Emilia es?", fragte sie.
„Nein. Ich kann es ihr nicht sagen. Wenn ich ihr es sage, zerstöre ich alles. Sie hat mir gerade erst wieder verziehen. Und wenn ich ihr dann noch sage, was ich vorhabe, wird sie mich nie wieder so ansehen wie jetzt. Sie hält mich für diesen unfehlbaren Menschen. Das wird sie nicht verstehen", sagte ich.
„Sie muss es ja nicht erfahren", sagte Caro.
„Ich sollte mal zum Arzt gehen", sagte ich. Dann stand ich auf.
„Mach das", sagte Caro.
„Danke", sagte ich.
„Dafür sind Freundinnen da", sagte sie.
Ich blieb stehen und sah sie an. „Du weißt, dass ich dich nie so bezeichnen würde?", fragte ich sie.
„Ja, weiß ich. Und trotzdem sind wir befreundet. Leyla, lass endlich mal ein paar Menschen in dein Leben. Du verlierst nicht jeden, der dir wichtig ist", sagte sie.
Dann stand sie auf. „Leyla, es ist egal, was du machst. Du wirst mich nicht los", sagte sie. Dann drückte sie mir ein Küsschen auf die Wange, bevor sie aus dem Lehrerzimmer verschwand. Völlig perplex blieb ich zurück.

Irgendwann rang ich mich dazu durch, meine Sachen zu packen. Als ich die Schule verließ, war mein Auto das Letzte, das noch auf dem Parkplatz stand. Ich erstarrte, als Emilia an meinem Auto lehnte.
"Du hast heute lange gearbeitet", flüstertet sie.
"Ich hab im Moment viel zu tun. Mein Abijahrgang ist sehr anspruchsvoll", sagte ich und zwinkerte ihr zu.
"Treffen wir uns bei dir?", fragte sie mich.
"Ich kann nicht. Ich hab noch einen Termin", sagte ich.
"So spät noch?", fragte sie mich skeptisch.
"Ich muss noch zum Arzt", sagte ich.
"Bist du krank? Hast du wieder Bauchschmerzen?", fragte sie mich. Sofort nahm sie einen besorgten Gesichtsausdruck an.
"Nein. Es ist nur eine Rotineuntersuchung beim Frauenarzt", sagte ich.
"Soll ich mitkommen?", fragte sie.
"Selbst wenn das ginge... das ist völlig unnötig. Ich schaff das alleine", sagte ich.
"Okay. Rufst du mich danach an?", fragte sie mich.
"Versprochen", sagte ich.
"Wenn wir nicht direkt vor der Schule stehen würden, würde ich dich zum Abschied küssen", flüsterte sie.
"Ich dich auch", flüsterte ich.
Dann stieg ich in mein Auto und fuhr mit quietschenden Reifen vom Parkplatz. Im Rückspiegel sah ich, wie Emilia grinste. Nur deswegen tat ich es.

Als ich auf dem Parkplatz vor der Frauenarztpraxis hielt, schlug mein Herz wie verrückt. Mein ganzes Leben konnte sich in den nächsten Minuten ändern. Ich klammerte mich mit all meiner Hoffnung an den letzten Strohhalm, dass dieser Test ein falsches Ergebnis angezeigt hatte.
Eine halbe Stunde später lag ich dann vor meiner Ärztin auf dem Behandlungstisch. Sie grinste mich an und drehte dann den Monitor zu mir. Auch bevor sie ein Wort sagte, wusste ich, was das bedeutete.
"Herzlichen Glückwunsch! Sie sind schwanger!", sagte sie.
Ich wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. Das war der absolute Albtraum.
"Wollen Sie wissen, was es wird?", fragte sie mich.
"Das sieht man schon so früh?", fragte ich.
"Sie sind schon in der 15. Woche", sagte sie.
"Was?", fragte ich geschockt.
"Dann ... dann kann ich gar nicht mehr abtreiben?", fragte ich.
"Nein. Das ist in Deutschland nur bis zur 12. Woche erlaubt", sagte sie. Was sie danach sagte, bekam ich nicht mehr mit. Ich bekam nicht mit, wie sie mir mein Kind auf dem Monitor zeigte oder mir das Geschlecht nannte. Ich bekam auch nur am Rande mit, wie sie mir einen Mutterpass in die Hand drückte. Stattdessen kreisten meine Gedanken um die Tatsache, dass ich schon in der 15. Woche war. Wieso hatte ich das nicht vorher vemerkt? Dann hätte ich mich schon längst um dieses Problem kümmern können. Stattdessen würde ich jetzt immer dicker werden und würde diese Schwangerschaft wohl kaum verheimlichen können. Das war die größte Katastrophe.
Ich verließ die Praxis und sofort liefen mir die Tränen über die Wangen.
Ich setzte mich in mein Auto und wählte Caros Nummer.
"15. Woche", war alles, was ich sagte, als sie abnahm.
"Scheiße", sagte sie.
"Was machst du jetzt?", fragte Caro.
"Ich hab wohl kaum eine Wahl", sagte ich.
"Wenn du was brauchst oder reden willst ...", sagte Caro.
"Ich glaub, ich will jetzt erst einmal allein sein", sagte ich.
Als ich auflegte, sah ich noch eine Weile auf mein Handy. Vielleicht hatte ich Caro unrecht getan. Sie war meine Freundin und wahrscheinlich die Einzige, die ich hatte.
Ich warf mein Handy auf den Beifahrersitz und fuhr nach Hause.

Vor meiner Tür wartete Emilia auf mich. Sie hatte sich mal wieder in einen riesigen Schal gewickelt.
Ich wich ihrem Blick aus, damit sie meine geschwollenen Augen nicht bemerkte.
"Was ist los?", fragte sie mich dennoch. Das hatte wohl nicht funktioniert.
"Nichts. Es ist alles gut", sagte ich, während ich die Tür aufschloss.
"Leyla, du hast geweint", sagte Emilia.
"Ist nicht so schlimm", sagte ich und schloss die Tür hinter uns.
"Ist es beim Arzt nicht so gut gelaufen?", fragte sie.
"Mach dir keine Sorgen. Es ist alles okay", sagte ich.
Emilia nahm mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und hob es an, sodass ich ihr in die Augen sehen musste.
"Leyla, was ist los?", fragte sie erneut.
Sofort schossen mir wieder die Tränen in die Augen.
Ich wusste, dass sie mich hassen wird. Trotzdem führte kein Weg daran vorbei ihr die Wahrheit zu sagen.
"Ich bin schwanger", flüsterte ich.
"Was?", fragte Emilia. Ich sah das Entsetzen in ihren Augen.
Ich schwieg. Sie hatte mich verstanden, das verriet mir ihr Blick.
"Leyla?", fragte sie.
"Der One-Night-Stand", sagte ich.
"Ich muss hier raus", sagte Emilia.
Dann hörte ich nur noch die Tür ins Schloss fallen. In dem Moment wusste ich, dass ich sie verloren hatte.

What happens in Vegas, stays in VegasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt