Müde ließ sich Ria in der Restaurantküche auf einen Stuhl fallen. Sie hatte während der Mittagszeit sehr viel zu tun gehabt und auch jetzt zur Kaffeezeit war sehr viel los gewesen. Das aber war nicht der wirkliche Grund für ihre Erschöpfung.
Die Wirtin stellte ihr eine Tasse Kaffee vor die Nase und ein Stück Kuchen. Sie sagte nichts, blickte Ria aber sorgenvoll an. Dankend lächelte Ria ihr zu und nippte vorsichtig an ihrer Tasse. Der Kaffee war noch sehr heiß. Ria trank ihren Kaffee normalerweise ohne Milch und Zucker, trotzdem rührte sie gedankenverloren in ihrer Tasse.
Dieser Ken war heute nachmittag wieder da gewesen und diesmal war er nicht allein. Sie fand Ken's sabbernde, schlüpfrige Art einfach nur widerlich. Sein Begleiter, dieser Marius aber machte ihr Angst. Sie glaubte bemerkt zu haben, dass er mit geblähten Nasenflügel tief eingeatmet hatte, als sie sich leicht vorbeugte und den Kaffee und den Kuchen vor ihm hinstellte. Außerdem schien er sie zu beobachten und sie hätte sich nicht gewundert, wenn seine Augen plötzlich gelb geworden wären. Ob er auch ein Werwolf war? Wenn er einer war, würde er ihre Markierung riechen und lesen können, das hatte Doc ihr erklärt. Vielleicht kannte er Alex. Und wenn er ihn kannte, würde er sie verraten? Wenn nein, dann... Wie auch immer. Egal.
Es hatte sie sehr viel Kraft gekostet weiterzumachen, als ob nichts wäre. Sie brachte die Bestellung an einen anderen Tisch, an dem ein junges Paar saß. Er hatte seinen Arm um sie gelegt und sie lehnte mit ihrem Kopf an seiner Schulter. Ria lächelte freundlich, obwohl ihr der Anblick des jungen Glücks einen Stich gab. Sie drehte sich um und begrüßte ein Ehepaar mit zwei Kindern, die lauthals streitend unter einem Baum Platz nahmen. Sie legte der Familie die Speisekarte auf den Tisch und wandte sich den Tisch daneben zu.
Ken und dieser Marius bestellten bereits die dritte Tasse Kaffee. Sie unterhielten sich angeregt und schienen sie dabei nicht aus den Augen zu lassen. Und plötzlich fühlte sich Ria nicht mehr sicher. Sie musste weg, so schnell wie möglich. Aber sie durfte es nicht zeigen. Sie musste freundlich bleiben und ausgeglichen, so als ob alles in bester Ordnung wäre. Und nun war sie müde und erschöpft und wäre am liebsten in ihr Zimmer gegangen, hätte sich ins Bett gelegt und die Decke über den Kopf gezogen.
Vorsichtig blickte sie in den Restaurantgarten hinaus. Mittlerweile waren alle Tische leer. Ihre Kollegin hatte sie bereits abgewischt, die Stühle angeschoben und auch schon die Sicherungsketten angelegt. Von Marius und Ken war jetzt nichts mehr zu sehen. Gut so, oder nicht? Aber vielleicht würden sie heute Abend wiederkommen? Doch dann wollte sie weg sein.
"Ich würde gerne noch in die Stadt gehen. Vielleicht finde ich noch irgendwo eine etwas wärmere Jacke", teilte sie ihrer Wirtin mit.
"Wenn du die Straße nach rechts gehst, etwa zweihundert Meter und dann nach links abbiegst, findest du eine kleine Boutique auf der rechten Seite. Dort gibt es immer tolle Sachen. Und sie sind auch gar nicht so teuer. Du kannst aber auch die Straße nach links gehen bis zur nächsten großen Kreuzung. Dort biegst du wieder nach links ab und die dritte Querstraße dann nach rechts. Dort ist ein Second Hand Laden. Ich kenne die Besitzerin. Sie reinigt vorher alle Sachen, bevor sie sie im Laden anbietet. Du kannst dort also ganz getrost einkaufen." Die Wirtin öffnete eine Kasse hinter der Theke und entnahm ihr zwei Fünfzig-Euro-Scheine.
"Hier", sagte sie und drückte Ria die Scheine in die Hand. "Dafür solltest du eine ordentliche Jacke bekommen."
Ria bedankte sie lächelnd. Sie würde zum Second Hand Laden gehen, sagte sie. Er liegt genau in der Richtung, in der auch der Bahnhof liegt, fügte sie in Gedanken hinzu. Aber das dürfte die Wirtin nicht wissen. Nicht, weil sie ihr nicht vertraute, aber dann musste sie nicht lügen, wenn ihr Vermieter, dieser Marius, sie fragte.
Schnell packte sie ihre wenigen Habseligkeiten in den Rucksack und schulterte ihn, schrieb eine kurze Nachricht an die Wirtin, sie habe ein bekanntes Gesicht entdeckt und habe jetzt Angst, deswegen müsse sie gehen, würde sich aber melden, sobald sie sich sicher fühlte. Bedankte sich nochmal herzlich für ihre Hilfe und ihr Verständnis. Dann verließ sie das Haus.
DU LIEST GERADE
Die Wölfe vom Silmertal - Die Gefährtin des Alphas.
LobisomemAusgerechnet unter den Menschen hatte Alex, der Alpha des Silmertal-Rudels, seine Seelengefährtin gefunden. Seine Auserwählte kannte zwar seine Identität, wollte aber nie etwas mit den Wölfen zu tun haben. Ria war ein freier Mensch, und genau das s...