s i e b e n

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Gages Elternhaus wirkt weniger spektakulär als ich es mir bei dem Verhalten und Auftreten seines Vaters vorgestellt habe.

Es liegt am Standrand und reiht sich an eine Handvoll Einfamilienhäuser mit kleinem Garten an. Umgeben wird das Grundstück von einem halbhohen Zaun und kleineren Sträuchern, die in Anbetracht der Tatsache, dass Winter ist, einen traurigen Anblick bieten.

Die Wiese ist von dünnem Schnee bedeckt, ebenso wie der Kiesweg, der mich zur Veranda und dem Haus führt. Am Geländer hat man eine Lichterkette angebracht und die beiden Fenster jeweils rechts und links von der Tür ziert eine Kette mit Mistelzweigen und kleinen, roten Weihnachtskugeln.

Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare, ziehe meine Tasche wieder zurück auf die Schulter und widerstehe dem Drang, durch die Fenster einen ersten Blick in das Innere zu werfen.

Bei meiner Ankunft habe ich gleich einen Blick auf die parkenden Autos geworfen. Auf diesem Grundstück war keines zu sehen, doch die Garage, in die zwei Autos passen würden, lässt mich vorsichtig werden. Ich weiß nicht, ob seine Eltern zuhause sind, möchte aber vermeiden, beim Starren ins Innere erwischt zu werden und dabei zuzusehen, wie sie es sich auf der Couch gemütlich machen.

Eine leichte Röte legt sich allein bei dem Gedanken an diese unangenehme Begegnung auf meine Wangen, noch während ich die Hand ausstrecke und die Klingel betätige. Eilig mache ich einen Schritt nach hinten, lasse den Blick für einen Moment über meinen Körper schweifen und richte ihn dann geradeaus.

Nachdem ich die To-Dos, die ich mir für den Vormittag und Mittag aufgeschrieben hatte, abgearbeitet habe, habe ich mich von Corinn verabschiedet und Anouk zu Anastasia gebracht.

Meinem Zuhause habe ich aus zeitlichen Gründen keinen Besuch mehr abgestattet, bevor ich mich auf den Weg zu Gage gemacht habe – wenn ich eines mehr hasse als Langeweile, dann ist das definitiv Verspätung.

Deswegen steckt mein Körper nach wie vor in dem dicken, bordeauxroten Pullover und der einfachen Jeans. Einen weißen Schal und den dunkeln Mantel habe ich mir eng um den Körper geschlungen, doch allein der Weg vom Auto zum Haus hat dafür gesorgt, dass mir die Kälte in die Glieder kriecht und meine Finger zittern wie Espenlaub.

»Hey.« Gage öffnet die Tür und schickt einen Hauch von Wärme in den kühlen Nachmittag. Er trägt ein zurückhaltendes Lächeln auf den Lippen, die Haare, als hätten sie den gesamten Tag noch keine Bürste gesehen und ein gemütliches, aber nicht zu lässiges Outfit.

Vorsichtig erwidere ich sein Lächeln, hebe zusätzlich die Hand zum Gruß, was ich eilig zu bereuen beginne. Ich muss wie ein Kind wirken.

Ich widerstehe dem Drang, mir auf die Unterlippe zu beißen und die Hand wieder in meine Jackentasche zu stecken. Stattdessen werfe ich einen kurzen Blick an ihm vorbei in den Flur: »Kann ich... reinkommen?«, frage ich unsicher. Ich möchte mich nicht aufdrängen. Aber zum einen hat er den Vorschlag gemacht, sich bei ihm zu treffen und zum anderen würde ich momentan ziemlich viel dafür tun, dem eisigen Wind zu entkommen.

»Sicher, natürlich.« Er macht einen Schritt zur Seite und bedeutet mir mit einer simplen Handbewegung, einzutreten. Ich komme der Aufforderung nach, trete über die Schwelle und stelle erleichtert fest, dass es um einiges Wärmer als draußen ist.

Die wohlige Wärme umschließt mich sofort, sodass ich vermute, dass sie irgendwo einen Ofen haben müssen. Gepaart mit dem Geruch nach Orangen und Zimt fühle ich mich fast wie zuhause.

Der Flur wirkt im Vergleich zum äußeren Erscheinungsbild klein und beherbergt wohl deswegen nichts weiter als eine Kommode und eine Leiste, an der sich drei Winterjacken aneinanderreihen.

Kardamomherzen ₂₀₂₃ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt