Sie hatte nur noch ein paar Tage übrig. Es kam ihr vor, als wären es
nur noch wenige Minuten, vielleicht nur noch Sekunden, verglichen mit
der Zeit, die sie schon erlebt hatte – verglichen mit der Zeit, die
sie nicht wirklich gelebt hatte.
Und doch wollte sie sich nicht beeilen, den letzten Schritt zu tun.
Langsam erhob sie sich aus ihrem alten Lehnstuhl. Mit vorsichtigen Schritten
ging sie zu dem antiken Schrank, der schon seit Ewigkeiten auf der
anderen Seite des Raumes zu stehen schien. Dort angekommen, mit dem
Gefühl eine lange Reise hinter sich zu haben, holte sie die Kiste
aus dem obersten Regal. Sie war mit Staub bedeckt und eigentlich
wusste sie schon seit Langem, was in ihr war. Trotzdem war es ihr
immer zu früh gewesen, um die letzte Hoffnung aufzugeben. Die
schwachen Hände strichen über das kühle Holz. Man konnte beinahe
die Gegensätze aufeinander treffen spüren; wie die Beständigkeit
des festen Holzes die Sterblichkeit eines Menschen berührte.
Zitternd öffnete sie das Schloss mit dem Schlüssel, der ihr an einer dünnen
Kette um den Hals hing. Schon nach dem ersten Blick hinein begannen
die Tränen an ihren Wangen hinunterzulaufen, sie suchten sich Wege
durch die Falten und Furchen in ihrem Gesicht, bis sie an ihrem Kinn
hinabfielen und in dem dicken Teppichboden versanken. In der Kiste
waren alte Briefe, Bilder, die von der Zeit vergilbt waren, und
Andenken. Andenken an eine Zeit davor. Eine Zeit vor dem Krieg, der
wie die Pest erst langsam kam und dann über das ganze Land wütete
und zerstörte, was es zu zerstören gab.
Vor allem aber, waren in der Kiste Erinnerungen an ihn. Ihre große
Liebe. Ihren Mann, der ihr im Krieg entrissen wurde, der als Soldat
eingezogen wurde und von dem sie seit diesem Tag nie wieder etwas
gehört hatte. Sie wusste es schon bevor sie die Todesanzeige sah.
Sie hatte es die ganze Zeit gewusst und trotzdem all die Jahre an der
letzten Hoffnung festgehalten. Denn was hielt länger als die Liebe?
Selbst das massive Holz der Kiste würde eines Tages zu Staub
zerfallen, genauso wie sie es tun würde. Aber ihre Liebe würde in
der Ewigkeit weiterleben.
Bei diesem Gedanken wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass sie loslassen
konnte. Sie konnte endlich zu ihm. Und schon ein paar Minuten später
war sie nicht mehr in ihrem Körper.
Auch wenn sie sich nur kurz in diesem Leben lieben konnten, bevor das
Schicksal sie trennte, auch wenn er in ihrem Kopf scheinbar schon
lange verloren war, in ihrem Herzen waren sie immer zusammen
geblieben, aus ihrem Herzen war er nie verschwunden. Denn egal wie
viel geht, irgendetwas bleibt.
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Short ones
Short Story"Ich will keine Liebe die heute beginnt und morgen endet. Ich will eine, die langsam wächst und erst durch den Tod endet." - Tumblr In dieser "Buch" werde ich immer wieder mal Kurzgeschichten oder One Shots hochladen :) Thanks to Jenna8787 for the c...