Türchen 9

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HARPER

Als wir aus dem Auto stiegen und zum Restaurant spazierten, schneite es wieder. New York hatte zu dieser Jahreszeit eine magische Ausstrahlung. Eine, die Damian anscheinend auch zu schätzen wusste. Denn er hatte uns einen Tisch am Fenster im The View reserviert. Ein Rooftop Restaurant auf dem Marriott Marquis Hotel am Times Square, von dem aus man die Aussicht auf New York von allen Seiten bewundern konnte. Das schien aber nicht das Einzige zu sein, das seine Augen heute auf sich zog. Sein Blick haftete immer wieder an meinem tiefen Ausschnitt. Ich hoffte, ich hatte es mit meinem Dekolleté nicht übertrieben.
   »Du bist also Buchhalter?« 
   »Finanzbuchhalter.« Er nahm einen Schluck Wein.
   »Und du bist Finanzbuchhalter geworden, weil ...«, ich hörte mitten im Satz auf und wartete, bis er ihn vervollständigte.
   »Aus Leidenschaft«, scherzte er. Ich lachte auf. Er war witzig.
   »Nein. Nur wegen des Geldes.«
   »Verstehe. Habe ich jetzt irgendwelche Vorteile, weil ich dich kenne?«, fragte ich in Gedanken an meine Steuererklärung.
   »Naja, ich bin gut im Bett.« Wir lachten gemeinsam. Das war nicht, was ich gemeint hatte, aber gut im Bett war er sicherlich. Zumindest sah er so aus. Und was ich letzten Freitag mit ihm erlebt hatte, stimmte definitiv dafür.
   »Ich bin Buchhalter geworden, weil ich gerne alleine arbeite.« In seinen jetzt ernsten und ehrlichen Augen lag Nüchternheit. Eine gewisse Kälte. Ich fragte mich, ob es auch Schmerz war, den ich erspürte.
   Wir unterhielten uns noch eine gewisse Zeit über Gott und die Welt, bevor wir uns am Buffet den ersten Gang holten. Es war ein netter Abend, das Essen war köstlich und die Aussicht in jedem Sinne ein absoluter Traum. Ich hätte mir kein perfekteres Date vorstellen können.
   Damian bestand darauf, dass wir noch einen Cocktail tranken. Um mich zu ärgern schlug er eine erneute Überraschung vor.
   »Folgendes Spiel. Ich fahre mit dem Finger die Karte ab und du sagst stopp. Was auch immer rauskommt, bestellen wir.«
   Völlig idiotisch. Bei diesen Preisen wäre mir so etwas nie eingefallen. Aber da es irgendwie witzig war und er mich einlud ...
   »Okay.« Herausfordernd sah ich ihn an.
   Er strich mit dem Finger über die Getränkekarte.
   »Stopp.«
   »Black Russian«, sagte Damian und klappte die Karte wieder zu.
   Ausgerechnet eine der Cocktails mit dem meisten Alkohol. Die Bedienung brachte uns die Getränke in Short Drink Gläsern. Wir stießen an. Damians Iriden wurden für eine Sekunde um hundert Nuancen dunkler. Sie nahmen fast die Farbe des Drinks an, der braunschwarz schimmerte. Dass er mit den Gedanken offensichtlich schon beim nächsten Kapitel dieses Abends war, konnte ich seinem sonst so undurchsichtigen Ausdruck ausnahmsweise ansehen. Aber ich war mir noch nicht sicher, ob ich seiner Idee vom Ende dieses Dates nachgeben würde. Es war schwer, seinen verführerischen Blicken zu entgehen und dabei nicht daran zu denken, was er alles mit mir anstellen würde. Ich ahnte, dass er dazu fähig war, mir den Himmel auf Erden zu erschaffen, wenn ich ihn ließ. Zumindest im körperlichen Sinne. Allein der Gedanke daran ließ hunderte Schmetterlinge frei, die in meiner Magengegend mit dem Essen konkurrierten. Aber ich wollte zu gerne sehen, wie er damit umging nicht sofort ans Ziel zu gelangen.
   Ich nahm nun auch einen Schluck des Cocktails. Der Wodka verstärkte den Geschmack des Kaffeelikörs und brannte meine Kehle hinab. »Wow«, krächzte ich. Damian hatte wieder dieses siegessichere Lächeln im Gesicht. Dieser Drink würde mich definitiv vernichten.

Eine halbe Stunde später, liefen wir zurück zum Auto und ich musste mich bei Damian einhaken. Der Alkohol hatte meine Knie ganz weich gemacht. Mir war nicht ansatzweise kalt. Meine Wangen glühten.
   »Also, welche Überraschung erwartet mich als nächstes?«, fragte ich und kicherte.

Merry dark Christmas, my Love!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt