Türchen 18

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DAMIAN

Ich betrat das Großraumbüro, in dem Harper und ich vor fast zwei Wochen noch vögeln wollten. Die Augen der Anwesenden verfolgten mich auf dem Weg zu Mr. Gellers Arbeitsplatz. Nur Harper und ihre Kollegin, an deren Schreibtische ich auf direktem Weg vorbeiging, starrten verkrampft in den Bildschirm. Harper würdigte mich keines Blickes.
   »Evans, in mein Büro. In 5 Minuten«, sagte ich und verschwand in meinen neuen vier Wänden aus milchigem Glas. Bevor ich die Tür schloss, nahm ich das Schild ab, das Mr. Gellers Namen zeigte. 
   Ich suchte eine Kiste oder Ähnliches und fand einen Karton. Dort hinein legte ich die persönlichen Gegenstände von Mr. Geller, die im Büro herumstanden. Ein Bilderrahmen mit einem Foto von sich und seiner Familie, eine Tablettenbox sowie persönliche Notizen. An der Wand hing ein großes Foto eines Seehotels. Ich hing es ab und stellte es mit der Kiste beiseite. Am liebsten wollte ich an der gleichen Stelle ein großes Foto von Harper aufhängen. Nackt oder in dem roten Kleid, das sie an der Weihnachtsfeier getragen hatte, aber das würde ziemlich sicher gegen die Firmenrichtlinien verstoßen.
   Dann platzierte ich meinen Hintern auf den Schreibtischstuhl und legte die Füße auf den Tisch. Ein ganz normaler Job. Und ich genoss es jetzt schon, Harper Ansagen zu machen.
   Als sie die Türklinke herunterdrückte, stellte ich die Füße wieder auf dem Boden ab.
   »Setz dich.« Ich deutete auf den Stuhl, der meinem Schreibtisch gegenüber stand.
   »Nein, danke. Ich stehe lieber.« Sie verschränkte die Arme.
   Ich brauchte einen Moment, um zu sehen, dass sich hinter ihrem Trotz noch etwas anderes verbarg. Unsicherheit? Angst?
   »Die Überraschung gefällt dir also nicht«, sagte ich und lächelte ironisch. Es war klar, dass sie eine Weile brauchen würde, bis sie sich an die neue Situation gewöhnt hatte.
   »Ach du hast erwartet, dass ich begeistert bin, wenn du mich die ganze Zeit belügst, meine Fotos löscht, ein Vorstandsmitglied und meinen Chef killst und dann ein paar Tage später mein Boss wirst?«
   Das waren viele Anschuldigungen. Und mindestens eine davon war Schwachsinn. »Ich habe die Fotos gelöscht und es tut mir leid. Aber es war nicht alles gelogen. Im Gegenteil.«
    »Ach ja? Und was soll dann dieses Weihnachtsgeld?«
   »Was hast du gegen Weihnachtsgeld?« Jetzt verlor sie sich im Detail. Offensichtlich war sie völlig durcheinander.
   »Das ist doch auch nur ein Bestechungsversuch, weil du genau weißt, dass dein Verhalten völlig unangebracht ist«, schimpfte sie. »Weißt du was? Du bist zurecht ein Einzelgänger. Du hast keine Ahnung, wie man mit anderen Menschen umgeht und wirst es auch nie.«
   Autsch. Ihr letzter Satz durchstach mich, wie meine Klinge Mr. Browns Kehle. Meine Brust wurde eng, ich schluckte. Was war das für ein seltsames Gefühl? Es tat weh. Aber nicht körperlich. Sie hatte recht. Ich hatte keine Ahnung. Aber ich wollte es lernen. Für sie. Mit ihr.
   »Du sagtest, du bist ein Auftragsmörder, Damian. Was tust du also hier?« Sie deutete um sich herum.
   »Ich baue mir ein normales Leben auf«, erklärte ich und spürte die Wut, die in mir hochkroch und mein Herz auf Eis legte.
   Sie lachte, als könnte sie es nicht glauben. »Normale Menschen nehmen sich nicht einfach so, was sie wollen und legen dafür irgendwelche Leute um. Man erarbeitet sich das Vertrauen der anderen.«
Und genau das, versuchte ich doch.
»Ach ja, so wie du?«, brachte ich mit eiskaltem Ton hervor und sah in ihren irritierten Gesichtsausdruck.
»Was meinst du?«, fragte sie, da sie offenbar nicht damit gerechnet hatte, dass ich den Spies umdrehen würde. Ich stand auf und ging auf sie zu. Sie wich zurück und stieß gegen das Bücherregal neben dem Schreibtisch, auf das ich sie zu drang. Ich stellte meinen Arm an das schwarze Holz und versperrte ihr den Fluchtweg. Dann beugte ich mich zu ihr vor, um die Panik in ihren Augen von allen Seiten zu betrachten. Es war mir egal, ob sie in diesem Moment Angst vor mir bekam. Ich spürte mich nicht mehr. Genau wie bei meinen Aufträgen.
   »Du bist fleißig, naiv, regelkonform und perfektionistisch. Du hast mehr Überstunden, als jeder andere hier. Und was hat es dir gebracht? Die Gehaltserhöhung, die du verdient hättest, hat dieser Idiot Connor bekommen. Offensichtlich hat dich der Vorstand nicht ernst genommen, sonst hätten sie dir diesen blöden Umschlag auf den Tisch gelegt, anstatt ihn diesem perversen Spanner zuzuschieben. Also erklär mir nicht, wie man sich das Vertrauen anderer erarbeitet.«
   Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie weckten einen Teil meines Gewissens, aber ich schüttete die aufkeimende Flamme sofort wieder zu. »Warum weinst du?«, fragte ich mit unerbitterlichem Ton, obwohl ich wusste, dass es meine Worte waren, die getötet hatten, was sie noch für mich übrig gehabt hatte. Wenn dort noch etwas gewesen war, dann war es jetzt weg.
   »Darf ich jetzt gehen?«, fragte sie zurück und wischte sich die Nässe aus dem Gesicht. Sie gab sich Mühe genauso kühl zu klingen, wie ich. Dabei konnte ich ihr den Grad der Zerstörung, wie jede andere Emotion, genau ansehen.
   Ich nickte, zog meinen Arm zurück und beobachtete, wie sie aus meinem Büro flüchtete.
Fuck! Was hast du gedacht? Dass sie sich dir an den Hals schmeißt, nachdem sie die Wahrheit über dich weiß? Sie hat Angst vor dir und fühlt sich betrogen. Offensichtlich völlig zurecht. Was gerade passiert war, war nur der Beweis, dass sie recht hatte.
   
Ich wusste, es würde nicht einfach werden. Und auch wenn die Schuldgefühle, die sie in mir auslöste, mich weich klopften, musste ich einfach weiter dranbleiben.

Merry dark Christmas, my Love!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt