Morgenstund hat Gold im Mund

53 0 0
                                    

Ich drehe mich um, da liegt sie, wunderschön, wie immer, irgendwie habe ich mich daran gewöhnt. Leise gehe ich zur Tür, ich will sie nicht wecken, ihr Schlaf ist so friedlich im Vergleich zu ihrem Wachzustand. Ich weiß nicht ob es die Träger meines voll gepackten Rucksacks, oder ihr Anblick ist, der meine Brust zuschnürt, ich schlucke und greife nach der Türklinke. Bevor ich mich überwinden kann aus der Tür zu treten wandert mein Blick durch den Raum hinter mir. Durch die Fenster fallen die ersten Sonnenstrahlen und der Nebel der die Stadt in der Nacht eingehüllt hat hängt in Fetzen über den Bäumen. Wieder bleibt mein Blick an ihr hängen, wie sie verknotet zwischen den Laken liegt und die erste Sonne ihr Haut in ein warmes Kakaobraun taucht. Aus den Winkeln ihrer Augen schaut sie mich an, verschlafen, aber trotzdem bei vollem Beswusstsein haucht sie ein geflüstertes Ich liebe dich in meine Richtung bevor sich ihr Gesicht sich wieder im Kissen vergräbt und ihre Locken zurück auf ihren Rücken fallen. Wieder schlucke ich, sie wirkt wie aus einer andern Welt, viel zu perfekt, viel zu makellos und schnell stehle ich mich aus der Tür, um das Bild nicht zu zerstören das sich gerade fest in mein Hirn brennt.
Als die Tür hinter mir zufällt atme ich aus und streiche mir die Träne aus dem Gesicht die sich aus meinem Augenwinkel gestohlen hatte. Momente wie dieser nahmen mir den Atem, sie zu sehen und zu wissen dass ich gehen musste zeriss mich jedes mal aufs neue. Sie hat das nicht verdient, denke ich, bevor ich in meiner Hosentasche nach der letzten Zigarette krame. Als könnte das raue Filterpapier ihre Lippen auf meinen ersetzen. Mit zitternden Fingern zünde ich sie an und trete in den Tag hinaus. Ich atme tief ein und fülle meine Lungen mit Rauch, der leider übehaupt nicht nach ihr schmeckt. Angeekelt hauche ich meine grauen Wolken in die morgendliche Luft und sehe zu wie sie sich im Sonnenlicht auflösen.
Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof. Meine Haare hängen mir in Wellen ins Gesicht und verkleben mit der Nässe meiner Wimpern. Es ist jedes Mal das gleiche, jedes Mal das gleiche Gefühl, jedes Mal der gleiche Blick und jedes verdammte mal die selben Zigaretten die nach allem schmecken außer Liebe. Mit einer fast alltäglich gewordenen Geste schnippe ich die verbrannte Asche auf die Straßen dieser Stadt und sie passt erstaunlich gut zu dem Grau das alles umgibt. Ich hasse diese Stadt. Sie ist eine weitere matt graue Perle die den Rhein säumt. Nichts besonderes, verschmutzt von Industrieabgasen und so staubig, dass ich jedes Mal den drang verspüre jede einzelne Straße von ihrem Schmutz zu säubern. Aber egal wie dreckig, wie grau diese gottverdammte Stadt auch ist, sie wird schön mit ihr. Wenn sie meine Hand nimmt, erstrahlt das Grau in tausend Farben, und wenn sie sie los lässt erdrückt mich diese einzige monotone Farbe, mit ihrer Einsamkeit zu Boden. Genau das passiert gerade. Angewidert schmeiße ich die halb gerauchte Zigarette auf den ewig gleichen Asphalt. Diese Stadt ist so hässlich ohne sie, alles ist hässlich ohne sie. Als wäre sie der Pinsel der die Farben meines Lebens auf Papier bringt. Ich hasse es sie zu verlassen, das hat jedes Mal etwas endgültiges, etwas von Ende, auch wenn ich wahrscheinlich nächste Woche schon wieder durch die hässlich grauen Straßen schlender. Aber wer sagt mir dass es wieder so bunt wird wir dieses Mal? Wer verspricht mir dass alles so bleibt- dass sie bleibt? Nichts ist sicher. Gar nichts. Ich bücke mich und pflücke das erste Schneeglöckchen, dass seinen zerbrechlichen Hals aus dem Boden reckt. Mein Blick erforscht es bis auf das letzte Detail, es ist wie sie. Es ist so kalt, so zerbrechlich, und trotzdem so mutig um in dieser Schweinekälte den Kopf aus dem Boden zu strecken. Eigentlich ist alles wie sie. Sie ist alles und ich finde mehr von ihr in einem Sonnenstrahl dieses Januars als    in jedem Spiegelbild.

Während meine Finger die kleinen Kurven und Biegungen des Schneeglöckchens erforschen gehen meine Gedanken immer wieder zu ihr. Es scheint, so sehr ich mich auch bemühe nicht an sie zu denken, mein Kopf findet immer wieder Wege mir ihre allgegenwärtige Präsenz unter die Nase zu reiben. Die Fingerspitzen, die gerade noch über das kleine zarte Schneeglöckchen strichen, erinnern sich an jede Faser ihrer Haut, an jede Ecke, jede Kannte. Jede Linie wird lebendig unter meinen Fingerkuppen und die Bilder auf ihrer Haut verschwimmen in meinem Kopf zu einem unscharfen Film.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 03, 2015 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Schnee schmilztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt