Türchen 23

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DAMIAN

Wie ein Stern in der Nacht leuchtete ihr Arbeitsplatz im Deckenlicht, während der Rest des Büros im Dunkeln lag. Lediglich der dekorative Weihnachtsbaum, der im Gang stand, machte ihr Konkurrenz. 
   »Ich wollte gerade gehen«, gestand sie und sah mich mit einem müden Lächeln an, als sie die wenigen Schritte zu mir gelaufen kam. Und obwohl es nur ein schwacher Verzug ihrer Lippen war, war es seit ich in diesem Unternehmen war, ihre mir gegenüber bisher liebevollste Geste. Und dabei war ich absichtlich so spät zurückgekommen und hatte mir mit dem Abendessen Zeit gelassen, damit ich ihr eine Begegnung mit mir ersparte. 
   »Und du?«, fragte sie zurück.
   »Ich wollte nur meine Sachen holen ...«, verriet ich. Viel war es ja nicht. »... weil ich kündige.« Denn es hatte keinen Zweck. Ich konnte sie nicht zwingen, sich mir zu öffnen. Und eine andere Idee hatte ich nicht mehr. Kurz hatte ich mir ein normales Leben ohne sie vorgestellt, aber es schien grauenhaft, daher war es besser, ich verbuchte das als Beweis, dass alles bereits perfekt war, bevor ich sie auf der Weihnachtsfeier traf.
   Ich hatte das Kündigungsschreiben gestern Abend fertiggestellt. Heute wollte ich es der leitenden Personalerin unterschrieben am Empfang hinterlegen.
Harper sah mich irritiert an und begann nervös auf ihrer Unterlippe zu knabbern. Mein Blick fiel auf ihren Mund. Diese wunderbar süßen Lippen, die ich nur ungern nie wieder küsste. Sie schien etwas sagen zu wollen, aber da sie keinen Ton hervorbrachte, musste ich mich irren.
Daher fügte ich hinzu:
   »Ich wollte dir dein Geschenk eigentlich auf den Schreibtisch legen, aber da wir uns doch noch begegnet sind ...«
   Ich zog den roten Umschlag aus meiner Anzuginnentasche hervor und hielt ihn ihr entgegen. 
Mit großen Augen sah sie zu mir auf. »Ist das ...?«
   »Frohe Weihnachten«, sagte ich und bestätigte ihren Verdacht. Sie hatte ihn mehr als verdient.
Ungeduldig riss sie den Umschlag auf, zog den Brief des Vorstands heraus sowie zwei Karten für einen exklusiven Wellnessaufenthalt.
   »Aber wie hast du ...?«, sie schüttelte verwundert den Kopf und das Strahlen, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, war unbezahlbar schön.
   »Ich hab genau das Gleiche getan, wie Mr. Geller. Dich empfohlen. Connor hat gekündigt. Demnach wurde ein Platz frei, also gab es heute ein kurzes Meeting, in dem wir darüber abgestimmt haben, wer den Umschlag bekommt.«
   »Du hast ihnen aber nicht mit dem Tod gedroht, oder?« Sie zog die Augenbrauen in die Stirn.
   Ich schmunzelte. »Nein, das war nicht nötig.« Sie würde es nie erfahren, aber während sie im Supermarkt Snacks besorgt hatte, hatte ich Connor erpresst, was offensichtlich ausreichend gewesen war. Connor hatte Harper ebenfalls empfohlen, so wie ich es verlangt hatte. Demnach waren weitere Drohungen unnötig. 
Harpers Augen musterten mich und schenkten mir einen sanften Blick. Sie strich sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr, öffnete den Mund und suchte nach Worten. Aber sie musste nichts sagen und sich erst recht nicht bedanken. Dieses Mal hatte ich fast nichts damit zu tun. 
   »Wie hast du es geschafft hier Geschäftsführer zu werden?«, fragte sie nun.
Es irritierte mich, dass sie noch darüber nachdachte, jetzt da sie wusste, dass wir uns nie wieder sahen.
   »Ich hatte ein gefälschtes Empfehlungsscheiben von Mr. Brown und einen stark angepassten Lebenslauf. Das hat der HR-Abteilung allerdings nicht gereicht. Sie wollten, dass ich mich als Vertrauensvorschuss in die Firma einkaufe.« Ich dachte an das Bewerbungsgespräch und wie skeptisch sie gewesen waren, bevor ich sie vollkommen hatte von mir überzeugen können. »Ich habe das Weihnachtsgeld vorgeschlagen. Deshalb die Erhöhung.«
   Harper wurde stutzig. »Moment. Du hast das aus deiner eigenen Tasche gezahlt?«
   Ich nickte. »Nicht komplett, aber teilweise. Ich habe lange allein gelebt und nicht viel mit dem gemacht, was ich als Auftragskiller verdient habe. Und man sollte Geld immer investieren, ansonsten ist es wertlos. Eine alte Buchhalter-Weisheit«, erklärte ich und grinste.
Harper kicherte. Als wir daraufhin schwiegen, konnte ich den Schnee gegen die deckenhohen Scheiben rieseln hören. Sie blickte mir tief in die Augen, bevor sie durchatmete, erst zu Boden und mir dann wieder in die Augen sah. »Kündige nicht«, bat sie mich und durchbrach damit nicht nur die Stille. Auch die Mauer, die zwischen uns stand, fiel in sich zusammen. Hatte sie das eben wirklich gesagt?
   Ich blickte sie ungläubig an und schaute mich um, nur um mich zu vergewissern, dass wir tatsächlich die einzigen in diesem Büro waren, bevor ich tat, wonach ich mich schon seit Tagen sehnte. 

Merry dark Christmas, my Love!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt