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Annalena

„Fritz!", hörte ich Wincent neben mir streng sagen. „Sorry", murmelte er dann.
„Kein Problem", sagte ich und musste lächeln.
„Er wollte unbedingt zu dir. Wahrscheinlich ist das seine Art zu sagen, dass du unglaublich warst. Dass ihr unglaublich ward."
Wincent war einfach übertrieben süß.
„Oder aber er war eifersüchtig", erwiderte ich.
„Möglich."
„Achso, Luke. Das ist Fritz, mein Hund. Und das ist Wincent, mein Freund", stellte ich die drei Männer einander vor und griff nach Wincents Hand.
„Freut mich", sagte Luke.
„Mich auch", erwiderte Wincent. „Das sah ziemlich gut aus."
„Danke."
Wir wurden kurz unterbrochen, denn Silke kam und beglückwünschte uns zu diesem „grandiosen Auftritt". Ich mochte Silke, keine Frage, aber ich ahnte, dass sie mit diesem Abend noch etwas anderes bezwecken wollte. Daher war ich ziemlich froh, als sie von jemandem angesprochen wurde und uns in Ruhe ließ.
„Anna, hast du Fritz nicht verraten, dass er nicht eifersüchtig auf mich sein muss?", fragte Luke mich.
„Nein", antwortete ich. „Heißt das...?"
„Ich bin noch Single. Aber du brauchst dir echt keine Gedanken machen. Ich steh nämlich nicht auf Frauen, also bist du auf jeden Fall sicher."
„Und Wincent?", hakte ich neugierig nach.
„Heißer Fang, Anna", antwortete Luke.
Wincent zog hörbar die Luft ein.
„Aber nicht mein Typ", beendete Luke seinen Satz und Wincent entspannte sich wieder.
„Kurz hatte ich Angst", gab er zu.
Luke fing an zu lachen und Wincent und ich stimmten ein. Damit war das Eis dann gebrochen und einem wunderbaren Abend stand nichts mehr im Weg. Meistens blieben wir unter uns, was eigentlich ganz cool war. Was sollten wir denn auch mit irgendwelchen Sponsoren, die fast doppelt so alt waren wie wir? Tatsächlich wurden wir den Abend immer als „die Jugend" von allen bezeichnet, wenn sie uns begegneten. Es war ein gutes Gefühl, dabei zu sein und sich einmal richtig wichtig zu fühlen. Im Laufe des Abends wurde natürlich auch nochmal richtige Tanzmusik aufgelegt und Luke und ich nutzten das natürlich auch aus. Ich eher unfreiwillig, aber Wincent und Luke überredeten mich dazu. Meinen Freund bekam ich nicht auf die Tanzfläche, aber es würde noch der Moment kommen, wo er zeigen musste, dass er das auch konnte. Da war ich mir ganz sicher.
Gegen zwei Uhr, mein Vater war schon eine Stunde Zuhause, verabschiedeten Wincent und ich uns auch endlich von Luke. Außer uns war auch quasi niemand mehr da, doch das störte uns so gar nicht. Komplett müde fielen wir dann ins Bett und waren relativ schnell eingeschlafen.
Am nächsten Morgen ging es dann entspannt zurück nach Berlin. Die ganze Woche verging relativ schnell zwischen Arbeit, zwei Stunden Therapie und Zeit mit Wincent oder Lara.
„Anna?", rief Wincent aus dem Wohnzimmer.
„Ja?" Ich ging zu ihm.
„Shay hat gefragt, ob du Samstag mit zum Konzert kommst. Das wäre am Timmendorfer Strand, quasi meiner Heimat. Myle ist auch wieder dabei."
„Klingt auf jeden Fall gut."
„Also kommst du mit?"
„Klar. Wenn du so fragst, sehr gerne."
„Sehr gut. Dann schreib ich das Shay direkt. Sie wird sich sehr freuen."

Wincent

Tatsächlich war meine kleine Schwester sehr begeistert, als Anna und ich am Tag vor dem Konzert bei meiner Familie am Esstisch saßen.
„Es ist so cool, dass du morgen dabei bist", meinte Shay und legte meiner Freundin einen Arm um die Schulter. „Das ist quasi wie Heimspiel und da du zur Familie gehörst, musst du einfach dabei sein."
„Shay", bat ich meine Schwester. „Setz Anna nicht so unter Druck."
„Schon gut, Wince. Lass sie ruhig." Meine Freundin griff nach meiner Hand und drückte sie.
Ich gab nach und freute mich stattdessen, dass Anna hier so gut aufgenommen und ziemlich gemocht wurde. Das war einfach ein unbeschreibliches Gefühl.
Am nächsten Tag überließ ich Anna guten Gewissens in der Obhut meiner Familie und meines Teams. Zum ersten Mal konnte ich die Zeit auf der Bühne wieder so richtig genießen und sog jeden Moment auf wie ein Schwamm. Besonders als die Fans lauthals und mit strahlenden Gesichtern meine Songtexte sangen. Die brauchten mich eigentlich gar nicht. Warum stand ich eigentlich hier oben?
Überglücklich kam ich von der Bühne und schloss Anna in meine Arme.
„Wie geht's dir?", wollte sie von mir wissen.
„Mehr als gut. Gerade ist es perfekt", antwortete ich ehrlich und gab ihr einen Kuss auf den Kopf.
„Merkt man." Sie lächelte an meiner Brust.
„Hey Wince. Kommst du anstoßen?", rief Myle mir zu. „Immerhin war das unsere letzte gemeinsame Show dieses Jahr."
„Klar. Ich mach mich nur kurz frisch", antwortete ich. „Sorry Schatz."
„Alles gut."
„Kommst du mit duschen?", wollte ich wissen.
„Anna!", rief meine Schwester in genau diesem Moment.
„Ich schätze, ich kann nicht", antwortete sie und gab mir einen kurzen Kuss.
„Also gut. Dann bis gleich", antwortete ich.
„Bis gleich."
Ich sprang schnell unter die Dusche und ging dann in den Backstage-Bereich zurück. Myle wartete schon auf mich und drückte mir ein Bier in die Hand. Dann stießen wir an.
„Danke für all die Chancen diesen Sommer. Es war mega geil", sagte er und strahlte mich ehrlich an.
„Sehr gerne. Es war mir eine Freude, mit dir unterwegs zu sein."
Wir umarmten uns herzlich und ich war unheimlich stolz auf den jungen Mann. Myle hatte sich so sehr weiterentwickelt und all das, was er nun erleben durfte, war mehr als verdient. Er war ein großartiger Künstler und ein ebenso liebenswerter Mensch.
„Winnie?", rief meine kleine Schwester nach mir.
Entschuldigend sah ich Myle an und ging zu ihr.
„Was ist los, Schwesterchen?", fragte ich.
„Hast du Annas Buchstaben dabei?" Ihr flehender Blick sagte ganz eindeutig, dass sie tieftraurig sein würde, wenn ich ‚nein' sage.
„In meinem Rucksack", antwortete ich, denn ausgepackt hatte ich sie nicht wieder.
Sie schienen nämlich nicht nur bei Anna beliebt zu sein. Vielleicht musste ich noch ein Set davon besorgen, damit mein Team eigene hatte. Was hatte meine Freundin nur aus den Jungs hier gemacht? Statt Streichen mit Wasserpistolen tauschten sie neuerdings Buchstaben aus, während jemand Anderes versuchte, ein sinnvolles Wort zu legen. Die waren plötzlich alle so lieb. Ganz besonders, wenn Anna da war. Meine Freundin hatte einfach mein Team verhext.
„Gefunden?", wollte ich von Shay wissen, als sie wieder zurückkam.
„Jap." Stolz hielt sie den Stoffbeutel hoch, in dem die Buchstaben gesammelt wurden.
„Dann viel Spaß euch."
„Sag mal, was hat das mit diesem Flyer auf sich, der in deinem Rucksack steckt?"
„Psst. Das ist Annas Weihnachtsgeschenk."
„Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?"

Bin ich für sie blind? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt