Ein Ende mit Schrecken?

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Erschrocken wirbelte ich herum. Im Türrahmen stand Frau Behrendt. Mir rutschte das Herz in die Hose. Scheiße, wie viel hatte sie gehört? Völlig entgeistert sah ich sie an.
„Frau Yılmaz, begleiten Sie mich bitte in mein Büro", sagte Frau Behrendt mit Nachdruck.
Mehr als ein Nicken brachte ich nicht zustande. Während ich Frau Behrendt in ihr Büro folgte, begann mein Herz wie wild zu rasen. Hatte sie gehört, worüber Caro und ich geredet hatten? Hatte sie gehört, dass Emilia und ich verheiratet waren? War das gerade mein Gang zur Kündigung? Zur Polizei? Zur Freiheitsstrafe? War mein ganzes Leben vorbei? Bloß, weil ich mich verliebt hatte?
Im Vorbeigehen erhaschte ich Emilias Blick. Sie kaute auf ihrer Unterlippe, während sie uns anstarrte. Sie dachte nach. Ich schüttelte meinen Kopf. Sie musste sich da raushalten. Ich hatte diese Entscheidung getroffen und ich musste mit den Konsequnzen leben.

Dann erreichten wir Frau Behrendts Büro.
„Setzen Sie sich", sagte sie und deutete auf den freien Stuhl gegenüber ihrem Schreibtischstuhl.
Ich setzte mich und wartete auf meinen Dolchstoß.
„Wir müssen uns unterhalten. Sie haben mir etwas verschwiegen. Und zwar keine Kleinigkeit", sagte Frau Bhrendt.
Sie wusste es.
Ich nickte schuldbewusst.
„Sie wissen doch, dass das meldepflichtig ist", sagte sie.
Ich nickte. „Ich weiß. Ich-" Mir fehlte jegliche Rechtfertigung für mein Handeln. Wie sollte ich das nur erklären? Ich konnte es kaum vor mir selber rechtfertigen. Die Liebe würde sicher nicht als Argument ausreichen.
„Sie hätten ihre Schwangerschaft längst melden müssen. Wir müssen Schutzvorkehrungen für Sie treffen", sagte sie. Meine Schwangerschaft? Darum ging es hier? Erleichtert atmete ich aus. Sie wusste nichts von mir und Emilia.
„Es tut mir Leid", stammelte ich. Auch hierfür hatte ich keine plausible Erklärung. Keine Erklärung, die meine Vorgesetzte hören sollte.
„Ich leite das ans Gesundheitsamt weiter. Sie müssen ihren Impfschutz prüfen lassen", sagte Frau Behrendt.
Ich nickte.
„Können Sie mir einen Gefallen tun und das nicht an die große Glocke hängen?", bat ich sie.
„Sie wollen ihre Schwangerschaft vor den Kollegen verbergen?", fragte sie überrasscht.
„Ich werde das Kind aus privaten Gründen nicht behalten und ich möchte das nicht erklären", sagte ich.
Dieses Mal nickte Frau Behrendt. „Das ist natürlich ihre private Entscheidung. Sie können von mir vollste Diskretion erwarten", sagte sie.
„Danke", sagte ich.
Dann verabschiedete ich mich von Frau Behrendt. Vor der Tür wartete Caro auf mich.
„Und?", fragte sie.
„Es ging nur um die Schwangerschaft. Ich hab sie nicht gemeldet", flüsterte ich.
„Weißt du, was ich für eine Angst hatte?", sagte Caro und boxte mir gegen die Schulter.
„He!", sagte ich empört.
„Was hältst du, wenn ich dich auf einen Kaffee einlade?", fragte ich sie.
„Ein Bier wär mir zwar lieber, aber ich sag auch zu einem Kaffee nicht nein", sagte sie.
Ich grinste. Ich kannte niemand, der so ein großes Faible für Bier hatte wie Caro.
„Dann lass uns gehen", sagte ich.
Mit Caro im Schlepptau machte ich mich auf den Weg zum nächsten Café. Da es dort aber nur so vor Schülern wimmelte, suchten wir ein anderes.
„Das ist der Nachteil in einem Kaff zu arbeiten", sagte Caro.
„Wir haben es so gewollt", sagte ich.
„Du schuldest mir noch die Geschichte, wie du Emilia kennengelernt hast", sagte Caro.
Ich grinste. „Die Geschichte behalte ich für mich", sagte ich.
„Dann frag ich Emilia", sagte Caro.
Ich grinste. Ich wusste, dass sie das nicht machen würde.
„Was wird es?", fragte Caro.
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich wollte es nicht wissen", sagte ich.
„Willst du es wirklich nicht behalten?", fragte Caro.
Ich schüttelte meinen Kopf. „Ich kann das nicht. Wir wissen beide, dass das Kind ohne mich besser dran ist", sagte ich.
„Das glaube ich nicht", sagte Caro.
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hab mich schon entschieden", sagte ich.
„Wenn du was brauchst, ich bin für dich da", sagte Caro.

Freitag in der letzten Stunde hatte ich Latein mit Emilias Kurs. Die ganze Stunde saß sie in der letzten Reihe und starrte vor sich her. Sie schenkte dem Unterrichtsgeschehen keinerlei Beachtung. Aber das war nicht untypich für sie. Den Tag, an dem sie einmal aufpasste, würde ich wohl nie erleben. Wie sie es trotzdem immer noch schaffte, den Stoff zu verstehen, war mir ein Rätsel.
Doch heute schien sie besonders tief in ihre Gedanken versunken zu sein. Nicht einmal das Klingeln zum Ende der Stunde nahm sie wahr. Sie blieb einfach sitzen und rührte sich keinen Millimeter.
„Emilia", sagte ich. Doch sie reagierte nicht.
Ich ging zu ihrem Tisch und ging vor ihr in die Knie. „Emilia", flüsterte ich.
Erschrocken sah sie mich an.
„Die Stunde ist um", sagte ich.
„Oh, sorry. Ich hab nicht aufgepasst", sagte sie.
Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. „Das ist ja nichts Neues", sagte ich. Damit entlockte ich auch ihr ein Schmunzeln.
„Alles okay?", fragte ich.
Emilia nickte. „Ich hab bloß nachgedacht", sagte sie.
„Hast du noch kurz Zeit? Ich würde gerne mit dir reden", fragte ich sie.
Emilia kaute eine Weile auf ihrer Lippe. „Aber ich geh, wenn ich keinen Bock mehr habe", sagte sie.
„Ja", sagte ich.
„Es tut mir Leid. Es war nie meine Absicht, dir weh zu tun. Ich werde dich auch nie vergessen, aber ich weiß, dass ich nicht verlangen kann, dass du mir verzeihst. Ich wollte dich eigentlich nur wissen lassen, dass ich in die Scheidung einwilligen werde, wenn es das ist, was du willst", sagte ich.
Emilia sagte eine ganze Weile nichts. Schließlich nickte sie bloß. „Du kannst es immer noch nicht, oder?", fragte sie mich.
„Was?", fragte ich.
„Über deine Gefühle reden? Mir sagen, dass du mich liebst?", fragte sie.
Ich öffnete den Mund. Ich wollte ihr sagen, was sie gerne hören wollte, aber die Worte kamen nicht über meine Lippen. Schließlich schloss ich meinen Mund wieder.
„Ich hab recht", sagte Emilia. Damit stand sie auf und ging einfach.
In dem Moment wünschte ich mir nichts sehentlicher als so zu sein wie alle anderen. Ich wünschte, ich hätte so eine Familie gehabt wie Emilia oder so eine Adoptivfamilie wie Louisa, die ihnen beigebracht hatten, was Liebe war. Ich nahm den Bleistift, der auf dem Tisch lag und schleuderte ihn wutentbrannt gegen die Wand.

What happens in Vegas, stays in VegasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt