Kapitel 15: Mondversammlung

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Leer war der Blick, der dem Schauspiel folgte. Leer fühlte sich die Brust an, in welcher das Herz unaufhörlich Schlug. Da waren keine Gefühle, nichts was er empfinden konnte. Keine Freude, keine Genugtuung, als er zusah wie sich die Traue der Menschen schloss. Seinen Blick von der alten Gebrechlichen Gestalt abschirmte, die ihm alles genommen hatte. Keine Zufriedenheit durchströmte ihn, als er das Blut sah, welches in Frischen Rinnsalen zu den Füßen des wütenden Mobs floss, während die Schreie die Luft zerrissen. Grauenvolle Schreie, die jeden Mann gestandenen Mann die Nackenhaare zu Berge stehen lassen würde. Er verspürte keine Zufriedenheit, als die Schreie in die gurgelnden, röchelnden Laute eines Sterbenden übergingen. Da war .... Nichts. Nicht einmal die Wut war zurückgeblieben. Das brennende Gefühl, was ihn all die Jahre angetrieben hatte, war verschwunden. Ein weiteres Mal, zog er die Luft tief in seine Lungen. Schmeckte das Blut in der Luft, während die Geräusche um ihn immer dumpfer wurden. Verklangen und die Stille ihn umschloss, als er die Augen schloss.

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Ein eisiger Windhauch, strich über seine Haut. Streichelte ihn. Erinnerte ihn an eine sanfte, aber zögerliche Berührung. Erinnerte ihn, an den Tag als alles begann. Denn Tag an welchen er starb und auf der Lichtung wieder zu sich kam. Bebend floss der Atem über seine Lippen, ehe er die Lungen mit neuem Atem füllte. Einer Luft, die sich so eiskalt anfühlte, wie der Windhauch auf seiner Haut.
Mach die Augen auf, Kleiner. Lyrax Stimme erklang nahe an seinem Ohr, gepaart mit einem warmen Atemhauch. Sie war nicht in seinem Kopf. Sie war, echt. Wie gesteuert, öffneten sich seine Augen. Sahen sich dem Mächtigen, schwarzen Wolfskopf gegenüber. Stechend glühten die roten Seelenspiegel des Tieres, bohrten sich in seine eigenen dunklen Irden. In ihnen konnte er sein eigenes Spiegelbild sehen. Die schwarze, dichte Mähne die sein Gesicht umhüllte. Wild gelocktes Haar, dass trotz des Mondlichts wie Pech schimmerte. Ein verfilzter, dichter Bart, der ebenso ungepflegt erschien wie sein Haar. Trotzdem wirkte er um keinen Tag gealtert. Da war keine Falte, keine graue Strähne.
Unnatürlich hell, waren die weißen Wölken die sich bei jedem Atemzug des Tieres in die Luft erhoben und um die dunkle, schwarze Nase tanzten, die sich kräuselte, während der Wolf zufrieden die Zähne bleckte. „Lyrax...sind wir..?" erhob er schließlich krächzend die Stimme. Seine Kehle fühlte sich rau an, als hätte er ein halbes Äon nicht gesprochen. Trocken, als hätte er seit Tagen nichts getrunken. Was im Teufelsnamen war...
Tod? Unterbrach Lyrax seinen Gedanken, noch ehe er ihn zu Ende führen konnte. Nein, Kleiner Mensch, sind wir nicht. Versicherte das Tier weiter und Markus hörte ein leises säuseln, ein Rauschen, dass die Luft erfüllte. Sah wie der große Kopf sich von seinem Gesicht zurückzog und den Blick auf sein Umfeld frei gab. Spürte wie er selbst die Augen aufriss. Wir sind nicht Tod, wir sind aber zurück...
Sie waren zurück, da hatte Lyrax Recht. Zurück auf der Lichtung. Jener Lichtung, wo alles ihren Anfang genommen hatte. Zurück an dem Ort, an dem er und der Wolf vor gefühlten Herzschlägen noch mit einander gesprochen hatten, als die Wahrheit sich offenbarte. Doch der Ort hatte sich verändert. Der Wald wirkte weniger bedrohlich. Da waren keine Äster die gierig ihre Zweige nach ihnen ausstreckten. Stattdessen war der Waldrand durchdrungen von zarten Mondlicht, welches zwischen den dichten Zweigen hindurch schimmerte und den Boden in silbernes Licht hüllte. Den Blick frei gab, auf unzählige Gestalten, die zwischen den mächtigen Stämmen sich aufreihten. Ein Dutzend, Zwei, vielleicht sogar drei? Er wusste es nicht. Wölfe, deren Fell selbst im silbernem Mondlicht in unzähligen verschiedenen Farben schimmerten. Von einem dunklem grau, einem dreckigen Braun, bis hin zu strahlend reinem weiß. An ihrer Seite stand jeweils ein Mensch. Die Hand in das Fell des Tieres an ihrer Seite gelegt. Markus kannte diese Gesichter. Es waren die Gesichter der Dorfbewohner. Jene, die er - oder besser Lyrax - gewandelt hatte. Sie alle waren um sie herum versammelt. All ihre Blicke waren auf sie gerichtet.
Den eigenen Lyrax wieder zuwendend, bemerkte Markus, dass der Wolf sich ebenfalls neben ihn auf den silbern schimmernden Boden gesetzt hatte. Auch sein Blick war auf die Versammlung unter den Kronen gerichtet.
„Was hat das zu bedeuten?", hörte er sich selbst leise murmeln, während er selbst langsam die Hand ausstreckte. Es war ein Instinkt, den er nicht verstand. Ein Instinkt, der ihn dazu brachte, die Hand ebenfalls in das dichte, schwarze Fell zwischen den breiten Schultern des Wolfes zu legen. Dem Wolf, wie ihm erst jetzt auffiel, der um einiges Größer war, als der Rest der versammelten. Nicht nur Größer, seine gesamte Gestalt an seiner Seite, schien - Anders. Seine Pfoten, sein Haupt waren breiter, kräftiger. Das Fell schien dichter. Die Gestalt weniger ausgezerrt, als die der anderen Raubtiere.
Ich weiß es nicht, hörte er Lyrax, der den Blick nicht von dem Wald abwandte. Spürte seine Worte, in seinen eigenen Knochen vibrieren, sowie den Körper des Wolfes unter seiner Hand. Aber ich spüre, dass uns keine Gefahr droht. Wieso sollte uns auch. Sie sind unser Rudel. Sie sind wie wir.

Chronik der Lykaner - Der Sohn des MondesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt