„Worüber streiten sie sich?"
Fragte ich dann und nickte mit dem Kopf in Richtung der geschlossenen Türen.
Sie zuckte die Schultern.
„Der König hat ein Geschenk angeboten bekommen und nun streiten sie, ob er es annehmen soll. Es geht um irgend eine Elfen-Ehre oder sowas."
Ich nickte.
Dann standen wir schweigend da und sahen einander an. Ich wollte ihr so gerne so vieles sagen. Wollte weinen und meinen Schmerz, meinen Kummer mit ihr teilen. Aber sie wirkte unerreichbar. Dann brach sie die Stille zwischen uns.
„Ich fühle mich nicht mehr so Hilflos und alleine, wenn er bei mir ist, verstehst du? Elowin. Ich habe Monate gebraucht, um mich damit abzufinden, dass unser Leben jetzt hier ist. Und ich wäre fast daran zerbrochen. Aber Elowin hat mir dieses Leben gezeigt...unser Leben. Und das hat mich gerettet."
Ich schwieg und löste mich langsam wieder von ihr. Dann sah ich ihr tief in die altbekannten Augen.
„Alaya, das hier ist nicht dein Leben. Du bist Schwimmerin im besten Schwimmteam der Uni. Du flirtest mit Typen die schon im letzten Jahr sind und du tanzt mit mir im Club zu irgendwelchen Latin-Songs. Das bist du."
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich erinnere mich schon fast nicht mehr an dieses Leben. Es fühlt sich an, als würde es aus meinen Erinnerungen weichen. Und ich fühle mich zwar unglaublich schlecht deswegen, aber ich vermisse es nicht mehr so sehr wie anfangs."
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein. Das meinst du nicht so."
„Doch, tue ich."
„Er hat dir irgendwas verabreicht. Einen Trank oder so, ich bin mir sicher. Elfen sind Magisch. Sie können sowas."
Sie lächelte leicht.
„Ich weiss."
„Du wusstest das?"
Jetzt machte ich einen Schritt weg von meiner Schwester.
„Ja."
„Wieso hast du mir dann nie davon erzählt? Das wäre für unsere Fluchtpläne wichtig zu wissen gewesen, findest du nicht?"
Zischte ich und ich konnte mir nicht anders helfen, als die aufsteigende Wut zu fühlen und in ihr zu versinken.
All die Monate hatte ich für uns gekämpft, kämpfte immer noch und was tat sie? Sie verschwieg mir alles, was sie von ihrer Seite in Erfahrung bringen konnte.
„Zenya, ich denke nicht, dass ich mit dir gehen werde."
Das war wie eine Faust ins Gesicht. Ich taumelte von der Wucht ihrer Worte.
„Was?"
Stiess ich hervor. Ihre Stimme war heiser und voller Schmerz.
„Selbst wenn es einen Plan geben würde. Selbst wenn wir noch heute Abend verschwinden könnten, ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich das wollen würde."
„Du spinnst doch. Natürlich willst du das. Du willst doch nicht hier bleiben?"
Ich deutete auf den leeren Gang hinter mir.
Sie seufzte resigniert.
„Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass ich ein Kind bekomme. Eines, das halb Elf ist. Ich könnte es niemals in unserer Welt grossziehen. Und hier lassen kann ich es auch nicht."
Letzteres war mir schon klar. Ich hatte mich genügend mit Aufklärung auseinandergesetzt.
Ich atmete tief ein.
„Alaya. Ich arbeite daran. Wir werden hier weg gehen. Daran gibt es nichts zu rütteln. Du bist nicht du selbst, gerade."
„Doch!"
Ich erschrak, als ihre feine, sanfte Stimme doch tatsächlich laut wurde. Alaya wurde nie laut.
„Doch Zenya. Ich versuche es dir zu sagen, aber du hörst mich nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich mehr ich bin als jemals zuvor! Ich verstehe es auch nicht, aber es fühlt sich richtig an, hier zu sein. Bei Elowin. In dieser Welt."
Tränen traten mir in die Augen. Ein metallischer Geschmack füllte meinen Rachen.
„Was ist nur mit dir passiert?"
Stiess ich hervor und wischte mir die Tränen aus den Augen. Ich würde nicht weinen. Ich würde nicht fühlen. Ich wollte es nicht.
Also hob ich den Kopf.
„Sag mir eines, Schwester. Wenn ich einen Weg finden werde, dieser Hölle zu entkommen. Und das werde ich. Wirst du imstande sein, mich gehen zu lassen und nie wieder zu sehen?"
Seit 18 Jahren, seit dem ersten Tag an den ich mich erinnern konnte, waren wir nie getrennt gewesen. Sie war der Mensch, der mir im Leben am nächsten war und ich wusste, dass es umgekehrt auch so war.
Aber meine Schwester, die ich so sehr liebte und vermisste, sah mir in die Augen und mir mein Herz brach, als sie schroff antwortete.
„Ja. Vielleicht. Ich denke, ich könnte es."Die kommende Woche lief ich mit verheulten Augen rum und es interessierte mich nicht, wer mich so sah. Ich hatte Alaya stehen gelassen und das, obwohl wir uns versprochen hatten, niemals im Streit auseinander zu gehen. Und sie hatte seit fast sieben Tagen auch nicht versucht, mich zu kontaktieren. Ich fühlte mich alleine, hilflos und schwach. Mit ihren Worten war meine Welt, die nur noch auf schwachen dünnen Stützen der Hoffnung balanciert hatte, zusammengebrochen und hatte mich unter ihren Trümmern begraben. Ich weinte mich jeden Abend in den Schlaf und tagsüber steckte ich alle angestaute Wut in meine Übungen, die ich weiterhin machte, obwohl ich Dorian nicht wie abgemacht im Garten getroffen hatte. Das war alles nicht wichtig. Ich musste nun nicht mehr zwei Menschen raus schaffen. Nur noch einen. Und das würde ich hinkriegen. Oder beim Versuch sterben. Es war mir egal. Ich wollte nur nicht mehr hier sein.
Ich mied Aleeras besorgte Fragen nach meinem Befinden und versuchte, auch sonst jeglichem Leben aus dem Weg zu gehen. Heute putzten wir vor allem schweigend und ich schwelgte in meinen düsteren Gedanken und meinem schmerzenden Herzen, als schwere Schritte ertönten. Die Wesen, die immer eilig durch die Gänge huschten, tag ein, tag aus, bemühten sich, schnellstens weg zu kommen. Der Gang leerte sich innert Sekunden und nur Aleera und ich blieben verwirrt stehen.
„Was passiert hier?"
Flüsterte ich ihr zu, aber ihr Blick hatte sich starr auf die Ansammlung an Elfen gerichtet, die mit entschlossenem Schritt den Gang entlang liefen. Sie sahen aus wie Krieger, wie sie sich in ihrer Formation von 12 Mann bewegten. Aber nicht wie die Wachen, die mir hier im Palast so oft begegneten. Nein, sie sahen irgendwie...anders aus. Rauer. Finsterer. Sie trugen eine lederne, schwarze und eher notdürftige Rüstung, die ihre braun gebrannten und muskulösen Arme und durchtrainierten Bauchmuskeln zu grossen Teilen unbedeckt liessen. Es waren Männer und Frauen. Und sie kamen näher.
„Scheisse. Das sind Elfen vom anderen Kontinent. Schnell, senk den Blick."
Sie trat einige Schritte zurück und blickte auf ihre Füsse, den Mobb fast schon schützend vor sich gehalten. Ich blinzelte verwirrt und eine ungesunde Neugierde in mir wurde geweckt.
Aleera linste zu mir und wirkte alarmiert, als sie meinen noch immer gereckten Kopf bemerkte.
„Schau runter. Du provozierst sie sonst nur. Sie sind nicht so zivilisiert wie wir... glaub mir, du willst dich nicht mit ihnen anlegen."
Zischte sie und ich senkte ebenfalls brav den Kopf. Ich hörte nur ihre Schritte und sah meine Füsse. Ich hatte eigentlich vorgehabt, wie mir gesagt einfach abzuwarten, bis die Krieger vorbeigezogen waren. Mir reichte es bereits, diesen Kontinent zu kennen, jeder weitere war für mich nicht relevant.
Aber irgendetwas schien unermüdlich an meinem Kopf zu zerren, denn ich musste einfach hochsehen.
Mein Blick traf auf den eines der Elfen, die genau in diesem Moment an uns vorbei liefen. Die anderen würdigten uns keines Blickes, aber er...seine grauen, eiskalten Augen hatten mich genauso im Visier wie ich ihn. Er verzog keine Miene und es war eine halbe Sekunde, in der sich unsere Blicke trafen, während er an mir vorbei lief. Aber er war...atemberaubend. Er war das schönste und gleichzeitig unerreichbarste Wesen, das ich je gesehen hatte. Ich konnte mir nur die ungefähren Umrisse seines Gesichts merken. Scharf, markant, volle Lippen, graue Augen und moussiges schwarzes Haar, das er nach hinten gekämmt hatte, sodass dazwischen seine Ohrspitzen hervor standen und ihm nur einige entkommene Haarsträhnen in die Stirn hingen. Wie elektrisiert stand ich da, konnte mich nicht bewegen und nicht denken. Ein unsichtbares Spannungsfeld hatte mich erfasst und ich konnte daraus nicht entkommen. Selbst, als sie bereits weiter gezogen war und der Elf nicht einmal Anstalten gemacht hatte, zurück zu blicken, stand ich noch wie versteinert da.
„Wer war das?"
Fragte ich und meine Freundin schien mich missverstanden zu haben.
„Ein Battalion aus Generälen, Heerführern oder einfach hohen Tieren aus dem Militär, nehme ich an."
Ich nickte nur, während ich der Truppe nachsah und nervös mit meinen Fingern spielte. Was für ein merkwürdiges Gefühl.
„Und was suchen sie hier?"
Aleera hob die Brauen.
„Nun ja, genau weiss ich das nicht. Aber unter den Bediensteten wird gemunkelt, dass diese Treffen hier die letzten Versuche von Friedensverhandlungen sind, zwischen unserem Land und ihrem auf dem anderen Kontinent."
Ich runzelte die Stirn und beobachtete, wie sich der Gang langsam wieder mit Leben füllte.
„Und wofür braucht es Friedensverhandlungen? Die Stadt wirkt nicht, als wäre sie im Krieg."
Aleera nickte und machte sich wieder daran, den ausgewrungenen Wischmopp über den fast wieder trockenen Boden zu fegen.
„Es wird erzählt, dass die Elfen des anderen Kontinents expandieren wollen. Dass die Kriegstreiberei ihre Leidenschaft ist und sie bereits den ihren Kontinent mit blutigen Schlachten gänzlich erobert haben. Und nun wollen sie sich neuen Gefielden zuwenden. Und unser Reich ist dem ihren am Nächsten. Sie werden uns also als Erstes ins Auge fassen. Und diese Meetings sollen dazu dienen, einen Kampf um dieses Land zu verhindern."
Ich stiess die Luft durch die Zähne aus.
„Verdammt, das hört sich nicht gut an."
Sie schüttelte den Kopf.
„Nope."
Ich starrte auf das Dreckswasser im Eimer vor mir und seufzte. Wie ich das Putzen hasste. Tagein Tagaus dasselbe, dieselben Bewegungen, dieselben Gardinen, derselbe Boden.
„Denkst du, ihr würdet den Krieg mit ihnen gewinnen?"
Sie blickte ernst, als sie antwortete.
„Sie würden uns niedertrampeln. Wir sind das reichste Volk auf unserem Kontinent mit der am besten florierenden Wirtschaft. Aber sie...man sagt, ihre Babys wählen gleich nach ihrer Geburt statt einem Spielzeug eine Waffe aus. Sie sind trainierte, tödliche Bestien. Sie sind für den Kampf geboren und werden fürs Töten gedrillt. Wir hätten keine Chance. Deswegen versuchen der König und der Kronprinz Wege zu finden, eine solide Verteidigung aufzubauen."
Ich hob eine Braue.
„Jetzt bereits? Ich dachte, es wird noch um den Frieden gehandelt?"
Sie lachte leise.
„Mag sein, aber das ist Politik. Beide Seiten rüsten bereits auf, da kannst du dir sicher sein. Und in den Meetings lügen sie sich dann gegenseitig meisterhaft an."
„Wer ist bei solch einem Meeting dabei?"
Fragte ich und blickte aus dem Fenster. Die Sonne hatte ihre letzten Strahlen verteilt und wurde nun von der Dunkelheit verschluckt. Unser Arbeitstag würde auch endlich bald enden.
„Der Kronprinzen und der König sowie einige Berater aus dem inneren oder äusseren Kreis."
Ich hob den Kopf.
„Und wieso ist Dorian nicht dabei?"
Fragte ich automatisch.
Sie zuckte die Schultern.
„Es wird erzählt, dass er einmal eine eher schlechte Begegnung mit den Elfen des anderen Kontinents hatte. Und für solche...heiklen Gespräche wird er deswegen wahrscheinlich nicht hinzugezogen. Aber das sind nur Gerüchte."
Ich nickte. Das machte durchaus Sinn. In meiner Welt waren politische Einigungen auch nie das, was man dachte oder sich daraus versprach.
„Du bist Zenya?"
Ich nickte nur, als ein Wesen, das aussah wie ein Koch und auch so roch, auf mich zueilte und sich eilig die Hände an der Schürze abwischte.
„Der Prinz verlangt nach etwas Süssem. Er will, dass du es ihm bringst."
Ich starrte auf die Platte voller mit Honig getränkten Süssigkeiten, auf denen gezuckerte Blüten prangten und die es mir entgegen hielt.
„Prinz Elowin?"
Fragte ich und eine dumme, kleine Hoffnung machte sich in mir breit, dass es vielleicht meine Schwester sein könnte. Da der Prinz sich wie erfahren in einem Meeting befand. Der Koch schüttelte den Kopf und somit auch das riesige Doppelkinn, auf dessen Seite fette Kiemen prangten.
„Prinz Dorian. Du sollst dich beeilen. Na los, beweg dich, Mensch."
Ich blickte zu Aleera und sie zuckte nur die Schultern. „Na los, geh schon. Ich mache hier noch fertig."
Ich lächelte sie dankbar an und tat wie mir geheissen. Ich stapfte mit dem Tablett in der Hand die Treppe hinauf in das zweite Geschoss des Palastes, welches eigens für die Königsfamilie und ihre Personen in favour geschaffen worden war. Natürlich wusste ich genau, wo Dorians Zimmer lag.
Ich brauchte nicht zu klopfen.
Als mich die beiden Wachen vor dem Gemach stehen sahen, genügte ein gieriger Blick auf die Süssigkeiten, die elegant auf der silbernen Platte trappiert waren und sie öffneten die schwere Holztüre.
Ich trat in sein Zimmer und sogleich schlug mir der Duft nach Kirschblüten und Regen entgegen.
„Eure Süssigkeiten, mein Prinz."
Ratterte ich hinunter und machte einige unbeholfene Schritte.
Dorian lungerte auf der Kante des Bettes herum, an welches ich mich nur zu gut erinnern konnte und hatte den Kopf gehoben. Seine dichten und locker fallenden Locken hingen ihm in die Stirn, als wäre er erst gerade aufgestanden. Dabei war es bereits später Abend. Er legte ein Buch zur Seite, dessen Cover ich nicht ausmachen konnte.
„Du kannst sie auf den Tisch dort stellen. Die esse ich später."
Ich nickte und tat wie mir geheissen.
„Mit eurer Erlaubnis", meinte ich dann und wollte mich zum gehen wenden.
„Halt."
Ich erstarrte. Bitte nicht. Ich war nicht in der Verfassung für seine Spielchen. Ich konnte meine Emotionen nicht verbergen. Falls er sie nicht schon längst gerochen hatte.
Ich hörte seine Schritte und dann drehte er mich langsam um. Ich starrte auf den Boden, im angestrengten Versuch, seinen Körper zu ignorieren, der meinem so nahe war.
„Sieh mich an, kleiner Schmetterling."
Seine Stimme war gesenkt aber sanft. Ein Wort, das ich eigentlich nicht mit ihm in Verbindung brachte. Sonst war alles an ihm so...hart.
Ich schüttelte den Kopf. Ich kam mit so erbärmlich vor. Ich wollte nicht, dass er meine Schwäche in meinen Augen sehen konnte. Ich wollte nichts empfinden. Ich wollte es nicht.
Er legte zwei Finger unter mein Kinn und hob meinen Kopf bestimmt an.
Ich war mir sicher, dass meine verquollenen Augen für sich sprachen, also presste ich nur die Lippen zusammen. Dorian musterte mich eine Weile von oben bis unten und dann zuckte ein Muskel an seinem Kiefer.
„Wer?"
Fragte er.
Ich blinzelte verwirrt.
„Was?"
„Wer hat dich zum weinen gebracht?"
Als ich nicht antwortete und nur in die brennenden Augen starrte, meinte ich, ehrlichen Zorn in seinem Gesicht zu erkennen.
„Sprich!"
Ich zuckte zusammen und wich vor ihm zurück. Nicht freiwillig. Nein. Mein Nervensystem war einfach überreizt und ertrug nichts mehr. Und ich wusste nicht, wie damit umgehen. So war es nunmal, Mensch zu sein.
Dorian liess seine Hand sinken und knirschte mit den Zähnen. Er wirkte nun sichtlich verspannt.
„Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken."
Ich hob den Kopf hoch und versuchte, wieder etwas Fassung zu erringen.
„Hast du nicht. Kann ich gehen?"
Als Antwort ging er stumm an mir vorbei und verriegelte die Türe von innen. Ich starrte nur fassungslos auf sein breites Kreuz, auf die Muskeln, die sich unter seinem schwarzen, luftigen Leinen-Shirt spannten. Er trug lockere Pyjama-Hosen, und trotzdem sah er aus wie aus dem Ei gepellt. Wie unfair.
Er drehte sich zu mir und öffnete die Arme. Ich hätte fast laut losgelacht, so absurd sah es aus.
Er runzelte die Stirn.
„Menschen fühlen sich nach einer Umarmung besser. Habe ich gehört."
Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Er meinte es wirklich ernst. Er wirkte konzentriert, als müsste er sich selbst auf die Umarmung gefasst machen.
„Und du denkst...ich würde von allen verdammten Wesen in diesem Schloss ausgerechnet dich umarmen?"
Er zuckte nur die Schultern, hielt die Arme weiterhin ausgestreckt.
„Man sagt auch, dass die Umarmung eines Elfen Schmerzen heilen kann."
Ich kniff die Augen zusammen, so gut das mit meinen geschwollenen Liedern eben ging.
„Lügner."
„Mag sein."
Er offerierte mir ein halbwegs freundliches Lächeln und ich atmete langsam aus. Was solls. Ich überwand dir Lücke zwischen uns und schloss langsam und zögerlich die Arme um seine Hüfte. Dann liess ich auch den letzten rationalen Gedanken fallen und legte meinen Kopf an seine Brust. Er war warm, roch gut und ich sehnte mich nach Nähe, mehr als nach allem anderen. Kurz war sein Körper wie erstarrt, dann, nach einigen Augenblicken entspannte er sich und legte dann langsam seine starken Arme um mich, sodass ich von seinem wohligen Duft umhüllt dastand. Ich schloss die Augen und so standen wir da, schweigend. Keiner bewegte sich und beide schienen wir auf unsere Art in dieser Umarmung gefangen zu sein.
Irgendwann hatte sich mein rasender Herzschlag etwas beruhigt und die Panik in meinem Inneren, die mich seit einer Woche verfolgt hatte, liess etwas nach.
Dorian räusperte sich, als ich ihn losliess.
„Ich habe mich gefragt, wieso du nicht zum Training erschienen bist. Ich nehme an, es hat etwas mit deinen vergossenen Tränen zu tun."
Ich nickte nur. Was brachte es schon, zu lügen. Solange ich die Wahrheit auch nicht sagte.
„Okay. Dann kannst du jetzt gehen."
Meinte Dorian und ich ignorierte den kleinen Funken an Enttäuschung, der bei seinen Worten aufflammte.
Ich wandte mich schon zum gehen, als sich der Raum um mich herum zu drehen begann. Noch ein Fakt über den menschlichen Körper: wenn er sich im Überlebensmodus befand, und er durch irgendetwas, sei es noch etwas so dummes wie eine Umarmung, aus diesem Modus rausgeholt wurde, dann trat meistens Erschöpfung ein. Und ich hatte seit Tagen nicht richtig gegessen und dafür umso härter an den Übungen gearbeitet, die mir Dorian gezeigt hatte. Mein früheres Ich hätte mir wahrscheinlich den Vogel für diese Aussage gezeigt, aber beim Sport war der einzige Moment, bei dem ich abschalten konnte. Bei dem ich mich nur auf das mechanische Wirken meines Körpers konzentrieren konnte.
„Scheisse", murmelte ich und bekam das nächstbeste neben mir zu fassen. Dorians Arm. Sofort legte er eine grosse Hand auf meine Hüfte und gab mir damit den nötigen Halt, um mich wieder auf meinen Beinen zurecht zu finden.
Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gedacht, dass er besorgt wirkte, als er den Kopf etwas senkte, um mir in die Augen sehen zu können.
„Du bist so dünn. Du musst etwas essen."
Ja, mir war auch schon aufgefallen, wie eingefallen meine Wangen wirkten und wie unschön meine Schulterknochen herausstanden. Aber das hatte alles keine Rolle gespielt.
„Ich habe keinen Hunger."
„Setz dich und iss einige der Süssigkeiten."
Ich begegnete seinem Blick und schnaubte.
„Damit du mich anschliessend verführen und einen schwachen Moment ausnutzen kannst?"
Sein Gesichtsausdruck wurde kalt und ich merkte, dass ich ihm Unrecht getan hatte. Er hatte versucht, freundlich zu mir zu sein. Wieso konnte ich nicht mehr wie Alaya sein, herzlich und freundlich zu allem, was sich bewegte. Ich hingegen ging stets vom Schlimmsten im Menschen...oder jetzt im Elfen aus. So erlebte ich keine böse Überraschungen. Aber es kam auch vor, dass ich Personen, die mir vielleicht wichtig waren, so vor den Kopf stiess und sie verlor.
Dorians Kiefer arbeitete, als müsse er sich zusammenreissen.
„Glaub mir, dafür bräuchte ich keine Hilfe. Aber solang du die Blüten oben drauf nicht isst, verspürst du auch keine benebelnde Wirkung. Der Honig wird dich sogar stärken. Er wirkt etwas wie...ein Power Riegel."
Ich runzelte die Stirn.
„Woher kennst du dieses Wort?"
„Ich lese ab und zu."
Er lenkte mich zum Bett, an das ich mich nur zu gut erinnerte und brachte mir dann die Platte mit den Süssigkeiten.
„Na los."
Ich wollte widersprechen, aber sein Blick war hart.
„Zwing mich nicht dazu, deinen Mund aufzuhalten und dir das Essen deinen Hals hinunter zu stopfen."
Er scherzte nicht. Schnell biss ich in das vor Honig triefende Gebäck, darauf bedacht, das Veilchen oben drauf nicht anzurühren.
Verdammt, war das lecker. Ich schloss genüsslich die Augen. Der Honig schmolz in meinem Mund und ich leckte mir mit der Zunge über die süsslich schmeckenden Lippen.
„Das ist wirklich...unglaublich gut."
Ich öffnete die Augen und schluckte den Bissen hinunter. Dorians Blick war dunkel, ein Sonnensturm tobte in seinen Augen und er starrte auf meinen Mund.
„Tu das nochmals."
Knurrte er und ich blinzelte verwirrt. Langsam liess ich die Süssigkeit sinken.
„Was?"
Wisperte ich tonlos, gefangen von seinem auf einmal animalisch wirkenden Blick. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er die Fäuste auf dem Bett neben mir abgestützt hatte und sein Kopf vor meinem schwebte. Er war vollkommen ernst, als er sagte:
„Leck dir über die Lippen als ob es meine wären."
Ich riss die Augen auf und starrte ihn entgeistert an. Ich musste mich verhört haben.
Ich schüttelte den Kopf.
Seine eine Hand fuhr langsam meinen Nacken hinauf und vergrub sich in meinem dichten, ungekämmten Haar. Dann senkte er seine Lippen knapp über meine und leckte mit seiner Zunge den restlichen Honig von meiner Lippe.
Ich befand mich in einem Schockzustand. Ich konnte nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass sich meine Lippen automatisch leicht öffneten. Eine Einladung.
Dorian entwich ein Laut, der mich an ein frustriertes Knurren erinnerte und seine Zunge fuhr leicht, nur ganz leicht meine Unterlippe entlang. Als würde sie auf demselben schmalen Grad der Kontrolle tanzen wie Dorian selbst. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich die Augen geschlossen hatte und einfach nur wartete. Ich genoss die Sensation, die seine Zunge auf meinen Lippen auslöste.
„Fuck."
Murmelte er dann und entfernte sich mühsam wieder von mir. Ich öffnete die Augen und gab einen unzufriedenen Laut von mir. Seine Hand lag noch immer in meinem Nacken und er fuhr mit dem Daumen seiner anderen Hand langsam meine Lippe entlang, als müsste er sich vergewissern, dass es wirklich ich war.
„Wieso hast du aufgehört?"
„Ich küsse keine Menschen."
„Dann mach eine Ausnahme."
„Nein."
„Bitte."
Wie erbärmlich. Dass ich ihn anflehte, mich zu küssen. Aber in diesem Moment war es mir egal.
Dann würde ich eben für diesen einen Moment weiterhin schwach sein. Es machte keinen Unterschied mehr. Und ich wollte es. Ich wollte mich wieder gut fühlen. Und ich wollte wissen, wie es sich anfühlte, einen Elfen zu küssen. Wie es war, ihn zu küssen. Und ich sah an dem Kampf, der in seinen Augen tobte, dass es ihm ebenso ging. Selbst wenn es nur Neugierde war. Nähe war Nähe.
„Hör auf, Zenya", seine Stimme war rau und sein Daumen fuhr weiter mein Kinn hinunter. Als könnte er seine Hände nicht von mir lassen.
„Womit?"
„Mich verrückt zu machen. Verrückt danach, dich zu schmecken, zu wissen wie du dich unter mir anfühlst. Zu wissen, dass du meinen Namen stöhnst, wenn ich all diese Dinge mit dir tue, die ich mir vorstelle..."
Er stellte sich Dinge vor? Mit mir? Mein Unterleib schien zu schmelzen, nichts anderes als eine Pfütze Wasser zu sein. Seinem Blick nach zu urteilen, konnte er auch das riechen.
„Dann tu es."
Hauchte ich und hätte mich am liebsten dafür geohrfeigt, wie sehr ich mich nach mehr Berührungen von ihm sehnte. Nach etwas menschlicher Nähe...nein, einfach nach Nähe. Ich war nicht bei Sinnen. Er musste mich angelogen haben. Mit Sicherheit war der Honig schuld. Dieser Mistkerl.
Sein Kiefer mahlte angestrengt und es musste ihn einen unglaublichen Berg an Selbstbeherrschung kosten, als er sich langsam von mir weg bewegte. Er stand in einer fliessenden Bewegung auf und entfernte sich vom Bett. Als ob diese unaushaltbare Anziehungskraft, die er mit Sicherheit auch gerade gespürt hatte, nachlassen würde, wenn er sich vor mir in Sicherheit brachte.
Sein Gesicht wirkte eiskalt, in seinen Augen war keine Wärme mehr zu erkennen, kein Verlangen. Vielleicht hatte ich es mir auch selbst ausgedacht. Oder sie hatten bloss die Emotionen in meinen eigenen Augen gespielt.
„Du kannst jetzt gehen."
Seine Stimme war gelangweilt und er deutete zur Türe. Fassungslos richtete ich mich auf und erstach ihn mit meinen Blicken.
War das ein Spiel für ihn? Mir solche Dinge zu sagen und kurz darauf das Gefühl zu geben, ich hätte das nur geträumt?
Irma hatte mich einmal darauf hingewiesen, wie gerne die Elfen Spielchen spielten. Aber Dorian hatte nicht so gewirkt als...auch egal.
Beschämt von meiner eigenen Naivität sprang ich auf die Füsse und straffte die Schultern. Das bisschen Würde zusammen kratzend, das mir noch geblieben war, nachdem ich ihn angebettelt hatte, mich zu küssen, rauschte ich zur Türe. Sie sprang ohne eine weitere Berührung von mir auf. Mein Blick ging zu Dorian, aber seine Miene war undurchdringlich. „Ich sehe dich morgen im Training. Falls du wieder nicht auftauchen solltest, dann kannst ich meinen Teil des Deals als erledigt betrachten."
Ich zeigte ihm den Finger und knallte die Türe hinter mir zu.
Die Wachen warfen sich einen vielsagenden Blick zu, aber mir war gerade nicht danach, verurteilt zu werden.
„Was? Gibt es ein Problem?"
Fauchte ich die Männer an, die in Rüstung Spalier standen und mich um mindestens zwei Köpfe überragten. Sie sagten nichts. Und ich stapfte zurück in meine Kammer. Ich boxte und riss so lange an meinem Kissen, bis die Federn flogen. Vorstellen tat ich mir Dorians Kopf.
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Devouring Dreams
FantasyIn einer fremden Welt feststecken, gemeinsam mit ihrer Schwester an ein Königshaus verkauft werden und den magischen Kreaturen dort gnadenlos unterlegen sein, davon kann Zenya ein Lied singen. Und trotzdem beschliesst sie, sich ihren Weg zurück in i...