1. Hände sind dafür da, gehalten zu werden
Julians Lieblingsmomente sind die, bei denen er ganz alleine mit Kai ist. Momente wie diese, in denen sie draußen auf dem Balkon sitzen, den Sommerabend genießen und einfach nur reden. Wenn sich leicht angenehmer Wind, der ihnen entgegenkommt, anfühlt wie Sommerromantik. Momente, die einen Leichtigkeit fühlen lassen. Kichern im Einklang, weil man etwas Albernes gesagt hat und sich nicht mehr einkriegt. Aber auch Momente, in denen man ernst bleiben kann, so wie jetzt. Kai schüttet gerade sein Herz aus, darüber, wie gestresst er ist und dass ihm der Druck im Fußball zu Kopf steht. Man könnte behaupten, er weiß gar nicht, wohin mit sich. So verloren klingt er. Julian sitzt ihm gegenüber und hört zu. Versucht ihm Mut zuzusprechen, er wäre nicht alleine. Macht ihm auch nochmal deutlich, er habe Menschen um sich, denen er viel bedeutet, die immer für ihn da sind. Während des ganzen Gesprächs spürt er immer mal wieder ein Kribbeln im Bauch. Hat schon länger das Bedürfnis, Kai näher zu sein. Würde gerne Kais Hand halten. Traut sich nicht richtig, zögert. Er schaut Kai in die Augen, dann wieder auf das Sofa. Immer wieder aufs Neue. Nimmt seinen ganzen Mut zusammen. Sein Herz rast regelrecht. Zögerlich und bedacht, nimmt er langsam Kais Hand in seine, drückt sie leicht. Lässt seine Finger mit denen von Kai verschmelzen. Kai stoppt seinen Redefluss, hält inne, schaut Jule nur an, sagt nichts. Jule überdenkt in diesem Bruchteil einer Sekunde, ob er das Richtige getan hat. Hat Angst.
„Ich weiß es doch auch nicht", beendet Kai schließlich deprimiert seinen Satz. „Es ist einfach unfassbar frustrierend." Mitleidig schaut Jule ihn an. Er weiß gar nicht, was er sagen soll, fühlt sich irgendwie sprachlos. Findet keinen Anfang für seine Worte, steichelt mit seinem Daumen bloß Kais Hand. Hofft, ihn beruhigen zu können. Verdeutlicht damit ein stummes "Ich bin da für dich" und lächelt ihn schüchtern an. Manchmal sind Taten doch wertvoller als Worte.*
2. Hände sind zum spielen da
Nichts ist wichtiger als einen Ausgleich zum Fußball zu haben. Etwas, was einen ablenkt von dem, was sonst jeden freien Gedanken einnimmt. Die einen suchen sich eine andere Sportart wie das Golfen, die anderen lenken sich mit ihrer Familie ab. Für Kai gab es das Klavier. Und die Esel. Aber vor allem das Klavier. Nichts machte ihm so viel Spaß und brachte gleichzeitig Ruhe in ihm auf. Momentan befindet er sich mit der Nationalmannschaft in Frankfurt. Gestern spielten sie gegen die Österreicher, verloren dies mit einem 2:0. Kai gibt es ungern zu, aber solche Niederlagen nehmen ihn dann doch mehr mit, als ihm lieb ist. Vor allem, wenn sich unnötige Fehler durch das Spiel ziehen. Sie hätten gegen Österreich gewinnen müssen. Das weiß er, das wissen die anderen. Sie sind eigentlich die bessere Mannschaft. Er ist niemand, der seine Emotionen in Taten zeigt. Viel zu oft ärgert er sich stumm in sich hinein, dass er den Ball hätte ins Tor schießen müssen. Dass er sich mehr anstrengen hätte müssen. Zu oft zieht er sich selber mit den Gedanken runter, braucht dann seine Zeit für sich. Redet ungern sofort mit anderen. Kai hat seit gestern Abend mit niemandem mehr gesprochen, ist nach Ankunft schnell in sein Zimmer geflüchtet. Auch im heutigen Training sprach er nur das Nötigste. Begrüßte seine Mitspieler am Morgen, kommunizierte während der Übungen mit dem Gegenüber, wenn nötig. Brachte sich nicht in Gespräche ein. Kickte die Zeit von der Uhr runter. Zwischen dem ersten Trainingsende und der zweiten Einheit des Tages haben die Jungs zwei Stunden Freizeit. Sie können sich auf dem Gelände jegliche Aktivität aussuchen. Die meisten von ihnen gehen aber aufs Zimmer, schlafen eine Runde oder telefonieren mit ihren Engsten. Er hingegen geht die Treppen neben dem Speisesaal runter. Im Keller befinden sich verschiedene Aufenthaltsräume wie der Billardraum oder der Tischkickerraum. Am Ende des Ganges befand sich auf der linken ein Raum mit der Beschriftung "Musiksaal". Kai drückte die Türklinke runter und schaute sich um. Direkt gegenüber von ihm befand sich ein Klavier, auf das er direkt zuging. Er setzte sich auf den Hocker und drückte erstmal willkürlich einige Tasten. Fing an zu spielen. Erst ganz simple „River flows in you", ging dann über in „Idea 10". Vor allem Idea 10 spiele er öfters hintereinander. Mochte das Lied besonders. Er fand, es hatte was Beruhigendes. Das Klavierspielen ließ ihn ablenken. In seine eigene Welt verfallen. Am liebsten malt er sich zu den Stücken immer eigene kleine Geschichten aus. Das würde er aber niemals zugeben, wäre ihm zu peinlich, wenn jemals jemandem diese Tagträumereien auffallen würden. So gedankenversunken wie er war, erschrak er sich, als plötzlich einer „du könntest der neue Mozart werden" sein Spiel kommentierte. Kai drehte sich um und sah Jule vor sich stehen.
„Nein ehrlich, das war krass." „Ich stand vorher locker 10 Minuten vor deiner Zimmertür und hab gehofft, dass du da drinnen bist. Sag doch was."
"Ich wollte ein wenig Zeit für mich", gibt Kai schulterzuckend zu. „Die Niederlage gestern echt nicht nötig."
Julian wusste nicht ganz was er sagen sollte, kratze sich am Hinterkopf. „Dürfte ich mich denn dazusetzen?"
"Klar, wenn dich nicht stört, dass ich weiterspiele." Zögerlich wirft er auch noch ein „Ich kann dir auch was vorspielen." hinterher.
Kai drehte sich wieder zum Klavier, konzentrierte sich und fing an, die Pianoversion von „See you again" aus Fast and Forious zu spielen.
Jules Herz machte innerlich einen kleinen Hüpfer und hörte ihm mit einem verschmolzenen Lächeln zu.*
3. Hände sind dafür da, andere zu beschützen
Eine Routine, die sich in der Leverkusener-Zeit zwischen Kai und Jule etabliert hat, waren regelmäßige Zimmerbesuche am Abend in deren Trainingslagern. Anfangs waren es etliche Spieleabende und Gesprächsrunden zu zweit, bis hin zu gelegentlichen Übernachtungen im Zimmer des jeweils anderen und das Teilen eines Bettes. Ergeben hat sich das Ganze durch die stundenlangen Gespräche, sodass man sich nicht mehr um zwei Uhr nachts zurückschleichen wollte. Die Nähe der beiden hatte nie jemand hinterfragt, es wurde einfach so dahin genommen. Nach Julians Wechsel zu den schwarz-gelben und Kais Umschwung in Richtung London verloren sich die Zwei ein wenig. Es wurde mal hier, mal da geschrieben. Man hat sich zu den wichtigen Ereignissen gratuliert und wenns mal richtig gut lief bei den beiden gab es ab und an Phase, in denen sie gelegentlich telefoniert haben. Die verschiedenen Ligen und Spielpläne erschwerten es ihnen, sich mal wieder privat zu treffen. Auch Jules Abschnitt mit der Nicht-Nominierung vom DFB für die Nationalmannschaft erschwerte es den Jungs. Julian musste hart an sich arbeiten, um seinen Platz in der Natio zurück zu erkämpfen. Schaffte es letztendlich. Seine Freude war riesig. Endlich wieder seine Freunde und alte Teamkollegen treffen. Der Stützpunkt fand diesmal in Wolfsburg statt. Es lief auch erstaunlich gut. Julian hatte viel Spaß und seine Motivation ging gefühlt ins Unendliche. „So übermotiviert kenne ich dich gar nicht" merkte Kai lachend nach Trainingsende an. „Was man nicht alles tut, um dich wiederzusehen" grinste Jule leicht ironisch, aber eigentlich ernst gemeint zurück. Wäre Kai nicht vom Schwitzen und anstrengenden Training schon rot im Gesicht, würde er spätestens jetzt auffliegen, wie sehr ihn diese Worte berühren. Da die Trainingseinheit am Abend war, merkte man sofort eine Änderung der Temperatur. Die Mannschaft ging schnell ins Warme rein und unter die Dusche. Nach dem Essen gab es noch eine heiße Partie Fußball-Tischtennis mit allen gemeinsam, die Julian sogar zweimal für sich entscheiden konnte. Mit diesem Sieg verabschiedete sich der Blonde auch von der Truppe und ging zurück in sein Zimmer, da es schon recht spät war. Als er zurückkam, öffnete er noch sein Fenster, um einmal durchzulüften und bemerkte, dass es draußen stärker anfing zu regnen. Nachdem er seine Zähne geputzt und fertig fürs Bett war, schloss er das Fenster. Es schien so, als würde gleich ein richtig fieses Gewitter beginnen. Er legte sich ins Bett, scrollte noch ein wenig durch Instagram, bevor er mit einer Podcastfolge, die parallel lief, einschlief.
Auch Kai schlief eigentlich schon fest in seinem Zimmer, hatte bei dem Regen keine Bedenken. Hatte sich wohl getäuscht, als er vor Schreck aus seinem Schlaf gerissen wurde. Es blitze und donnerte. Extremst laut. Kai hasste Gewittern seitdem er ein kleines Kind war, konnte damit noch nie gut umgehen. Ängstlich und ohne viel Hintergedanke nahm er direkt seine Decke in die Hand und schlich auf Zehnspitzen zum Zimmer 137. Klopfte ein paar mal, bis ihm ein müder Julian die Tür öffnete. Haare ins Gesicht liegend, Augen halb offen. Eine Routine aus der gemeinsamen Zeit in Leverkusen. Wortlos ließ er Kai herein, fragt dann doch knapp „Das Gewitter?"
Unsicher bestätigt Kai seine Frage mit einem kurzen Nicken und einem ängstlichen Blick Richtung Fenster als es erneuert donnerte.
„Darf ich?" und zeigte auf die rechte Seite des Bettes.
„Klar, komm her."
Stumm legten sich die beiden Männer zurück ins Bett. Jule nahm Kai direkt in die Arme, kuschelte ihn ganz eng um seinen Körper. Kai bettet seinen Kopf auf Jules Brust, umklammert seine Hüfte. Beide sprachen dabei kein Wort. Ein wenig entspannte sich Kais Körper. Leise flüstert er ein „Danke" in die Stille. Als Antwort steichelt Julian langsam mit seinen Händen den Rücken von Kai und malte immer wieder kleine Kreise, um ihn zu beruhigen.