Vierte Iteration

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Ein kühler Windhauch, mit einem wohligem Geschmack nach feuchter Erde und Tannenharz. Sil stand am Ufer eines dunklen, blauen Sees, umgeben von tiefgrünen Tannen. Am andern Ufer, am Horizont, erhoben sich dicht bewaldete Hügelketten hoch in den Himmel. Der Tag war kalt und Morgendunst lag noch über dem Wasser.
Ein leichter Nieselregen färbte die Kieselsteine am Ufer in glänzenden Farben. Einige wenige Enten waren bereits auf den Beinen, schwammen am Ufer entlang, die Köpfe suchend in den See gesteckt. Auf nackten Sohlen schritt Sil vorsichtig über den mit weichen Tannennadeln bedeckten Erdboden, vorbei durch Schilf und Farn, das Ufer entlang. 

Denn sie spürte jemanden auf sie warten. Die Waldluft erfüllt von klarer Frische und dem Gesang zahlreicher Vögel, doch fröstelte Sil angesichts ihres feinen, weißen Kleides und des leichten Regens. Sie schritt um eine Kiefer und erspähte ein kleines Häuschen, am Ufer gelegen. Ein einfaches Blockhaus aus grob behauenen Stämmen und einem Dach aus dunklen Holzschindeln.
Davor eine hölzerne Veranda, die als Steg in den See hinaus reichte. An diesem Steg befestigt, ein kleines hölzernes Ruderboot. Aus dem Häuschen schien ein warmgoldener Schein, aus dem steinernden Kamin stieg Rauch auf. Mochte das Haus auch klein und einfach sein, so strahlte es doch eine wohlige Wärme aus, eine tiefe Gemütlichkeit.
Als Sil sich näherte, öffnete sich die Tür und heraus trat ein junger Mann mit grünrotem Norwegerpullover und brauner Hose, die Füße in kuschligen Hausschuhen und in der Hand eine heiß dampfende Tasse Kakao. Min lächelte, und ein Windhauch spielte mit einer Haarsträhne. Es brauchte keine Worte, als sie sich begegneten, nichts als eine tiefe Umarmung, die vielleicht Sekunden, vielleich eine Ewigkeit hielt. Als Min sie hereinwinkte, erhaschte sie noch einen letzten Blick auf den See. Ein weites Blaugrau, den Himmel spiegelnd. Kräuselnd sich dem Regen drums. Umrandet von tiefer, wilder Natur, im Regen wie neu zum Leben erwacht.

"Du bist ja ganz nass" stelle er bestürzt fest und stellte seinen noch dampfenden Becher weg.
"Du jetzt auch" grinste sie und umarmte ihn nochmal stürmisch. Er schüttelte in gespieltem Missmut den Kopf und holte zwei große rote Wolldecken aus einem Schrank in der Ecke, der vermutlich nie zuvor existiert hatte.
"Wir sollten aus den nassen Sachen, sonst erkälten wir uns noch. Wenn das für dich in Ordnung ist -" fügte er noch hastig hinzu, doch Sil hatte bereits ihr nasses Kleid über den Kopf gestreift und hängte es über eine Stuhllehne. Schwungvoll drehte sie sich zu ihm um, bemerkte, dass er mitten in der Bewegung inne gehalten hatte.
"Ist irgendwas?" fragte sie bestürzt, doch er schüttelte nur denn Kopf.
"Nein nein, überhaupt nicht. Ich... ich habe nur noch nie zuvor etwas so schönes gesehen..."
Sil errötete und wandte rasch den Blick ab, um es ihn nicht sehen zu lassen. Schritt auf ihn zu und hob seinen Pullover an.

"Los komm schon, lass mich hier nicht allein so stehen. Du erkältest dich doch noch" murmelte sie leise, noch immer mit hochrotem Kopf.
So saßen sie beisammen auf dem Sofa vor dem Kamin, in die dicken roten Wolldecken gekuschelt und sich aneinander schmiegend.
"Wie gefällt dir eigentlich das Haus?" fragte Min nach einer Weile.
"Es ist nichts großes oder besonderes. Als ich noch klein war, hat mir jemand einmal eine Geschichte erzählt, eine Geschichte von einem kleinen Haus an einem See, tief, tief in den Wäldern. Und auch wenn ich noch nie selbst einen Wald gesehen habe, hab ich mir es immer so vorgestellt. Aus Aufnahmen von der alten Erde, Erinnerungen. Es war nur eine Idee, ich kann dir jederzeit etwas anderes schaffen."
Sil kuschelte sich noch enger an ihn.
"Ich könnte mir nichts schöneres vorstellen".


Sil & Min [WIP] [GER]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt