Stay

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Ian

Der traumlose Schlaf, aus dem ich aufwachte war friedlich. Ich hatte eine pelzige Zunge und meine Ohren rauschten. Ich konnte nichts fühlen. Ich konnte nichts sehen. Ich konnte nur hören. Ich konnte riechen. Ich konnte diesen Duft riechen. Diesen Duft, der mir so vertraut war. Dieser Duft, den ich so liebte und der mir in den letzten Wochen so geholfen hatte, aus diesem schwarz zu kommen. Ich hörte leise stimmen und ein lautes, gleichmäßiges Piepen. Die Stimmen konnte ich kaum zuordnen. Sie wurden von dem Rauschen betäubt. So wie der Rest meines Körpers. Alles war betäubt. Ich konnte nichts fühlen. Meine Hände, meine Beine, meine Augenlieder. Alles war taub und pelzig. Als würde man unter einer nassen Decke liegen. Es kam vom Antidepressiva Es macht taub. So taub, dass ich nichts fühlen konnte. 

Die Stimmen wurden langsam deutlicher. Ich erkannte Fiona und Mickey. Jetzt übertönte das Piepsen das Gespräch. Ich wollte wissen was sie sagten. Sprachen sie mit mir? Angestrengt versuchte ich zuzuhören „Nein Mickey, es ist nicht deine Schuld" „Aber wenn ich auf dich gehört hätte und ihn nach Hause geschickt hätte" „Dann wäre es auch passiert. Wie damals mit Monica. Und keiner hätte ihn so schnell gefunden, weil keiner gemerkt hätte dass er aufgestanden ist" Ich hörte Mickey weinen. Weinte er wegen mir? Warum? Ich wollte doch nur... Ich wollte ihn erlösen. Ich wollte ihn erlösen von der Last auf mich aufzupassen. Ich wollte, dass er frei ist. Ich wollte nicht dass er traurig ist. Ich wusste, dass er nur von mir weg käme, wenn ich es auf diese weise beendete. Ich wusste, dass er, hätte ich mich von ihm getrennt, mich nicht hätte vergessen können. Dass wir immer wieder zusammen gekommen wären und uns immer wieder weh getan hätten und ich ihn immer wieder enttäuscht hätte. So wie ich es schon so oft getan habe. Und jetzt? Weinte er wegen mir. Ich wollte nicht dass er weinte. Ich hatte ihn schon wieder verletzt.

Ich spürte, wie jemand meine Hand nahm. Raue Finger. Mickeys Finger. Ich konnte hören, dass er nun näher war. Ich hörte, wie er direkt zu mir sprach. „Ian" sagte er in leisem Ton. Ich hörte, wie jemand die Tür öffnete und wieder schloss. Ich spürte warme Lippen auf meiner kalten Wange. Mickeys Lippen. Piep Piep. Ich konnte seinen Duft nun deutlicher wahrnehmen. Ich spürte einen Finger. Meinen Finger. Ich versuchte ihn zu bewegen. Ich weiß nicht ob es funktionierte. Ich konnte einen zweiten Finger spüren. „Ian?" das war eine Frage. Es funktionierte. Ich versuchte meine Hand zuzudrücken. Ich spürte, wie Mickey ebenfalls leicht zudrückte. „Schatz, kannst du mich hören?" Ich drückte. Innerlich grinste ich, weil ich diesen Kosenamen liebte. Er sagte es nur in besonderen Situationen und nur zu mir. Ich spürte, wie es mir besser ging. Mit jeder Minute, die er bei mir war, ging es mir besser. Zwar konnte ich nur meine Hand spüren, aber innerlich... Es war weniger Dump. Weniger Taub. Trotzdem noch schwarz. Immer noch.

„Ian, es tut mir so leid. Ich weiß nicht, wieso... Ich weiß nur, dass ich nicht ohne dich leben kann verdammt." Ich hörte, wie er wieder begann zu weinen. Ich spürte, wie er den Kopf auf meinen Arm legte. Plötzlich spürte ich meine Augenlieder. Das taube Gefühl schwand aus meinem Kopf. Langsam. Aber es schwand. Ich spürte meinen Mund, meine Arme, Schmerz, meine Brust, meinen Bauch und schließlich meine Beine. Ganz langsam. Wie in Zeitlupe. Ich versuchte meine Augen zu öffnen. Es war hell und blendete mich. Ich blinzelte und sah an die Decke. Dann neben mich. Mein linker Arm war dick eingebunden und aus meinem Körper kamen hunderte Schläuche. Ich sah zu dem nervigen Piepsen. Ein Monitor. Dann sah ich runter. Rabenschwarze Haare lagen auf meinem Arm. Es hatte scheinbar doch länger gedauert, als ich dachte, denn ich konnte Mickey leise schnarchen hören und draußen ging die Sonne auf. Ich sah mich um. Blumen und Kuscheltiere standen auf dem Tisch. Ich spürte meinen Arm pulsieren und schmerzen durchfuhren mich. „Mickey?" flüsterte ich und spürte, wie trocken meine Mund war. Sofort hob er den Kopf und sah mich an. „Ian" sagte er erleichtert. „Wasser" bekam ich heraus. Hektisch drehte er sich um und schenkte ein Glas Wasser ein. Ich trank in kleinen schlucken. Jetzt war es besser. „Ian, ich weiß nicht..." „Schht" sagte ich und legte meine Hand an seine Wange. Ich war schwach. Sehr schwach. Körperlich und mental. Ich hätte nicht die Kraft, mich von ihm zu trennen. Und nun erkannte ich, dass er ebenfalls nie die Kraft hätte. Wie hätten beide nie die Kraft, den anderen los zu lassen. Also was hatten wir für eine andere Option? Nur eine. Den anderen nicht mehr zu verletzen. Alles zu geben, was man konnte.

„Mick, es tut mir leid." „Ian, nein, es muss dir nicht..." „Doch Mickey, lass mich bitte Aussprechen. Es tut mir leid. Ich hätte dich nicht so verletzen dürfen. Ich hätte nicht versuchen dürfen mich umzubringen, damit ich dir keine Last mehr bin. Ich hätte mich nicht so verhalten dürfen. Ich hätte meine Tabletten nehmen müssen. Dann wäre es nicht so weit gekommen. Ich bin krank. Ich habe diese Krankheit. Ich werde mit ihr leben müssen. Ich werde mit ihr umgehen müssen. Ich werde für den Rest meines Lebens Tabletten nehmen müssen. Aber das werde ich. Ich werde ab jetzt meine Tabletten nehmen. Ich will nicht, aber ich werde. Es ist besser, als den Menschen, die mich lieben sowas anzutun." Ich schwieg kurz. Mickey sah mich an. Er wusste ich bin noch nicht fertig mit meinem Monolog. „Es gibt aber etwas, das ich nicht bedacht hab. Etwas, dass in meinem egoistischen Ich nicht berechnet wurde. Nicht nur ich muss mit dieser Krankheit leben und mit ihr umgehen. Auch du. Auch mein Partner muss damit umgehen. Muss mit mir und der Krankheit leben. Mick. Ich danke dir für die Fürsorge der letzten Wochen. Aber ich lasse dir die Wahl. Ich lasse dir die Wahl, ob du mit diesem ganzen scheiß umgehen kannst und willst. Ich habe dich vor vollendete Tatsachen gestellt, ohne zu fragen ob du es könntest. Ich habe dir von der Diagnose erzählt. Ich habe dich nicht gefragt ob du mit mir so zusammen sein willst. Ich war egoistisch, weil ich dich nicht verlieren wollte. Jetzt gebe ich dir die Wahl. Du kannst gehen, wenn du willst. Du musst mir nichts erklären. Du kannst gehen. Oder du bleibst. Deine Wahl. Aber... Mickey, wenn du bleibst, dann... Müssen wir beide unser Bestes geben. Wir müssen beide an uns arbeiten. Wir müssen beide der beste Partner für den anderen sein. Keiner wird den anderen je wieder verletzen... Es ist deine Wahl. Du kannst gehen oder bleiben"

Mickey sah mich mit Tränen in den Augen an. „Fick dich" sagte er und lachte. „Denkst du wirklich ich verlasse dich?" er klang nicht sauer. Er klang... belustigt. „Ian, Schatz. Ich hab mich in den letzten Wochen nicht um dich gekümmert weil ich dachte ich müsste es. Ich habe es getan, weil ich es wollte. Ich wollte mich um dich kümmern, dich Pflegen. Ich wollte es, weil ich dich liebe. Fiona kam an Anfang deiner Depri Phase und fragte ob sie dich mit nach Hause nehmen soll. Ich wollte das nicht. Ich wollte dich bei mir haben. Und ich werde mir mühe geben. Ich werde der beste Partner sein. Ich werde dein Partner sein. Verdammt scheiße, hast du es immer noch nicht kapiert? Ich liebe Dich, verstehst du?" Er lächelte mich an und strich vorsichtig eine Haarsträhne aus meinem Gesicht.

Ich nickte. Ich hatte ihn verstanden. Er liebte mich. Und irgendwo in meinem inneren schwarz wusste ich, dass ich ihn auch liebte. Mickey war dunkelblau. Das fühlte ich. Es war das einzige, was ich fühlte. Das einzige, dass sich durch das dunkle, durch das schwarze durchsetzen konnte und nicht völlig verschluckt wurde. Ich sah in seine roten Augen. Ich wusste nicht, was er erwartete oder was er dachte, wenn er mich ansah. Ich wusste aber, dass er hier bei mir bleiben würde. Egal wie schlimm es werden würde. Und ich würde ihn brauchen. Ich würde sein Dunkelblau brauchen um nicht vom schwarz verschluckt zu werden. Ich sah ihn immer noch an. Ich konnte nichts sagen. Mir liefen Tränen über die Wangen weil ich wusste, ich hatte ihm Kummer und Sorgen bereitet. Ich wusste dass ich ihn verletzt hatte. Ich wollte ihn nicht verletzten. Ich hatte es trotzdem getan. Ich konnte nichts dafür. Das redete ich mir zumindest ein. Jetzt merkte ich selbst, dass meine Gedanken wirr waren. Ich atmete tief ein. Und wieder aus. Ich schloss die Augen. Ich atmete nochmal. Ich öffnete sie wieder. Die Tränen verschwanden aus meinen Augen. Ich sah Mickey wieder an. „Ich bin noch nicht übern Berg, Mick" sagte ich leise und blickte direkt in seine Augen. Sie waren voller Sorge und voller Liebe. Ich brauchte diese Liebe. Sie war mein Dunkelblau in diesem schwarz. „Ich weiß" sagte er vorsichtig. Dann kam mir eine Idee. Ich wollte etwas ausprobieren. Ich sah ihm in die Augen und legte meine Hand langsam an seinen Nacken. Mit dem Daumen fuhr ich seine Wange entlang. Ich zog ihn vorsichtig zu mir ans Bett. Ich schloss die Augen und legte meine Lippen langsam auf seine. Er zögerte. Doch ich wollte es jetzt. Ich öffnete meinen Mund während sich unsere Lippen berührten und legte den Kopf leicht schief. Seine Zunge stahl sich in meinen Mund und berührte meine vorsichtig. Plötzlich spürte ich es. Das Dunkel wurde heller. Das Schwarz verzog sich und das dunkelblau dominierte. Ich zog ihn noch näher an mich heran. Ich wollte ihn noch näher bei mir haben. Ihn noch mehr spüren. Das Dunkelblau verdrängte das Schwarz jetzt komplett. Ich spürte wie Mickey seine Hemmungen und sein Zögern verlor und mich nun auch gierig küsste. Das Dunkelblau wurde heller. Er war meine Droge. Mickey war die Heilung meiner Depression. Ich atmete schwer durch die Nase und küsste ihn wilder. Unsere Zungen kämpften um die Dominanz und ich gewann schließlich. Langsam beendete ich unseren Kuss und auch Mickey atmete schwer als ich mich von ihm löste. Ich ertappte mich dabei, wie ich grinste. Auch er grinste. Und da wusste ich. Ich brauchte ihn. Ich konnte nicht ohne ihn. Wir gehörten zusammen.

Love is a Battlefield... [Gallavich]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt