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Annalena

„Du willst zu einem Konzert mit Orchester?", hakte ich nach.
„Ja. Was ist so seltsam daran?"
„Nichts. Also gut, wenn dich das glücklich macht, gerne."
„Aber ich will nicht, dass du dich da hin quälst", erwiderte er.
„Schatz, beruhige dich. Natürlich habe ich Lust dazu, sonst würde ich ganz einfach ‚nein' sagen."
„Versprochen?", versicherte er sich.
„Versprochen."
„Okay, dann gehen wir da heute Abend hin."
Damit war es beschlossene Sache und wir erkundeten weiter die Stadt. Es machte wirklich Spaß, vor allem weil Wincent zum ersten Mal so richtig entspannt war. Hier wurde er nicht ständig erkannt, sondern wir waren einfach nur Anna und Wincent. Niemand störte uns und so genoss ich die Stunden mit ihm noch mehr als sonst. Allerdings nur solange, bis er mich in ein Geschäft schleppte. Er meinte, wir müssten uns für das Konzert etwas schicker anziehen und damit verbunden war eine meiner absoluten Hassbeschäftigungen.
„Wince, ich hasse shoppen", widersprach ich.
„Ich auch, aber wir schaffen das schon. Komm."
Um mich nicht mit ihm streiten zu müssen gab ich nach und ließ mir von Wincent und einer, für meinen Geschmack sehr übermotivierten, Verkäuferin Kleider aussuchen.
„Hast du schon dein Outfit?", fragte ich meinen Freund, als die Verkäuferin endlich mal weg war.
„Nein. Ich wollte das dann am Ende auf dein Kleid abstimmen", antwortete er.
„Und wieso machen wir das nicht andersherum?"
„Wenn du das willst, können wir das auch so machen."
„Vor allem will ich dieser, sorry, Nervensäge wenigstens kurz entfliehen", gab ich zu.
„Kann ich verstehen", erwiderte er grinsend. „Dann komm mit. Wir müssen eine Etage nach oben."
Wincent nahm meine Hand und führte mich zur Treppe. Wir schafften es zum Glück unbemerkt nach oben. Auf eine Diskussion mit der Verkäuferin hatte ich einfach keine Lust. Hier war es auf jeden Fall ruhiger als unten, wo ständig die Tür auf-und zuging. Fritz durfte dank seinem Ausweis sogar mit und ich hoffte sehr, dass er keinen Blödsinn machte. Allerdings schien Wincent ihn ganz gut im Griff zu haben.
„Schatz, blau, grau oder schwarz?"
„Probier doch von jeder Farbe mal einen an und dann schaust du, welcher sich am besten anfühlt", schlug ich vor.
„Machst du das auch so?", wollte er wissen.
„Immer", antwortete ich. „Auf die Meinung von Lara ist definitiv nicht immer Verlass. Die Erfahrung hab ich einmal gemacht und daraus viel gelernt."
„Zum Beispiel?"
„Dass man sich eher auf sein Gefühl verlassen soll. Und vor allem solltest du niemals deinen besten Freunden trauen, wenn sie nicht mehr ganz nüchtern sind." Bei der Erinnerung an den Geburtstag musste ich grinsen.
„Na ja, aber so schlimm kann es ja nicht gewesen sein, wenn du noch lächeln kannst", konterte er vollkommen zurecht.
„Sagen wir so, es war ganz unterhaltsam. Wenn auch auf meine Kosten, aber ich finde, ab und an geht das."
„An der Stelle bin ich vermutlich abgehärteter als du."
„Woran du nicht ganz unschuldig bist, oder?", hakte ich nach.
„Vielleicht." Er grinste. „Also, dann fangen wir mal an. Kannst du mir beim Aussuchen helfen?"
„Klar. Auch wenn ich nicht weiß, ob meine Hilfe so wirklich zielführend ist."
„Natürlich ist sie das. Wer kennt sich denn bitte besser mit Gefühl aus, als du?"
Er zog mich mit sich und erklärte mir dann, wo welche Anzugfarbe hing. Wir entschieden uns für jeweils einen und die probierte er dann nacheinander schnell an.
„Und?", fragte ich anschließend.
„Keine Ahnung. Hast du eine Präferenz?"
„So funktioniert das Spiel nicht", widersprach ich direkt.
„Welches Spiel? Komm schon, Schatz. Ich brauche echt deine Hilfe, sonst wird das nie etwas", jammerte er.

Wincent

Gemeinsam mit Anna entschied ich mich am Ende für einen dunkelblauen Anzug. Passend dazu fanden wir auch ein Kleid und das zum Glück auch ohne die lästige Verkäuferin. Ich behielt sie immer wieder im Blick, damit sie ja nicht auf die Idee kam, uns zu nahe zu kommen. Irgendwie gefiel mir ihre aufdringliche Art so gar nicht, auch wenn ich nicht genau sagen konnte, warum. Sie gab mir ein ungutes Gefühl und wenn ich mich auf eins verlassen konnte, dann darauf. So war es bei der Musik bis heute und da hatte ich mich bisher nie vertan.
Als wir endlich draußen auf der Straße standen, atmeten wir beide erst einmal durch. Fast, als hätten wir gerade etwas Verbotenes getan. Dieser Gedanke war so absurd, dass ich
einfach lachen musste.
„Was ist denn jetzt los? Hab ich etwas verpasst?", wollte Anna verwirrt wissen.
„Alles gut", sagte ich.
„Komm schon. Was war so lustig?", bettelte sie weiter.
„Mir ging nur durch den Kopf, dass es sich anfühlt, als wären wir knapp nicht bei etwas Verbotenem erwischt worden."
„Du meinst beim shoppen?", hakte ich grinsend nach.
„Genau."
Wir brachten die Sachen ins Auto und anschließend zogen wir einfach so durch die Stadt. Abends gingen wir in einem schicken Restaurant essen, wo ich für uns beide ein veganes Menü bestellte. Sonst würde Anna mich gewiss wieder darauf hinweisen, dass ich heute doch gesund essen wollte. Wieder zurück im Haus kuschelten wir uns zusammen aufs Sofa und schauten uns einen Film an. Beziehungsweise ich sah ihn an und Anna hörte ihn logischerweise.
Am nächsten Morgen schliefen wir lange und frühstücken ganz in Ruhe. Es tat so gut, wirklich keinen Termindruck zu haben und einfach nur das zu tun, worauf man Lust hatte. Wir machten einen ausgiebigen Spaziergang mit Fritz. Ich tat das viel zu selten, wurde mir mal wieder bewusst. Also einfach raus an die frische Luft und den Kopf freibekommen. Anna fand, dass wir der Gerechtigkeit wegen mal tun würden, worauf sie Lust hatte. Das hatte zur Folge, dass ich nach zehn Runden Memorie auch noch einen Kochkurs bekam. Beides waren nicht gerade meine Stärken, aber es machte irgendwie doch ein wenig Spaß.
„Schatz?", rief ich irgendwann.
„Was?"
„Wir müssten uns langsam umziehen und los. Das Konzert
fängt in einer halben Stunde an", erklärte ich.
„In einer halben Stunde? Und das sagst du erst jetzt?", fragte sie ungläubig.
„Ähm ja. Hab es auch gerade erst gesehen", gab ich zu.
„Du bist unglaublich", sagte sie und ließ mich dann alleine im Wohnzimmer zurück.
„Anna?", fragte ich verwirrt.
„Willst du so gehen?", rief sie mir nur zu und da machte es in meinem Kopf dann auch mal endlich Klick.

Bin ich für sie blind? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt