𝕳atten einst harmonische Züge das junge Gesicht des Mannes vor mir gezeichnet, trug es nun einen Ausdruck tiefgründiger Gedanken, die ihm eine Reife verliehen, welche weit über sein jugendliches Alter hinausging. In weniger als zwei Monaten war Alajos zu einem Mann geworden, dessen Präsenz seinem Gegenüber sowohl Ehrfurcht als auch Vertrauen einflößte. Aufrecht und stolz präsentierte er sich vor der Burgherrin, die noch immer starr dort verblieb, wo ihre Welt zum Schwanken gekommen war. Als sich unsere Augen trafen, spürte ich, wie sich mein Herz schmerzlich zusammenzog.
»Was führt Euch zu mir, Herrn Mihály? Seid Ihr gekommen, um Euch nach Eurem Vater zu erkundigen?«, fragte die grófnő, nachdem sie Alajos prüfend gemustert hatte.
»Ehrenwerte Báthori grófnő, ich stehe heute nicht als der Sohn meines Vaters vor Euch, sondern komme im Namen der Familie Husár, um nach dem Wohlbefinden ihrer Tochter Viktória zu schauen.«
Die plötzliche Stille, die mit jedem verstreichenden Moment erdrückender wurde, schien sich wie ein unsichtbares Band ums uns zu legen, das einem die Kehle zuzuschnüren versuchte. Die grófnő ließ sich kaum den Schreck anmerken, der ihr doch eigentlich solch eine direkte Konfrontation einjagen sollte. Und weil sie merkte, dass er sich so deutlich auf meinem Gesicht abgebildet hatte, wandte sie sich an mich und sprach: »Evièka, unser Gespräch ist vorerst beendet. Ziehe dich zurück zum Ostturm und warte dort, bis ich nach dir schicken lasse.«
Der Gedanke, wieder in diesen dunklen Turm geschickt zu werden, legte sich wie ein kalter Schatten um meinen Körper und es war, als würde eine mir nicht sichtbare Hand immer fester meine Brust zerdrücken. Als sich Alajos' und meine Augen ein weiteres Mal trafen, war es, als hätte ich in ihrem entschlossenen Glanz einen kleinen Hauch von Unruhe erspäht. Wie gern hätte ich ihm gesagt, dass diese Sorge allein mein verwundetes Herz zu trösten vermochte und dies ausreichte, mich wieder daran zu erinnern, dass nach dem stärksten Regen der Himmel wieder aufklaren würde. Und als ich mich an die Fürsorge seiner Mutter erinnerte, die sich an den kältesten Tagen wie eine warme Decke um meinen Körper gelegt hatte, formten meine Lippen ein Lächeln, das ihm zeigen sollte, dass der Lichtstrahl der Hoffnung noch immer nicht erloschen war.
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Eingehüllt in das Gewebe des Bettes, das jene Narben zeugte, die sich in meiner Seele gebildet hatten, fand ich mich in einer seltsamen Stille wieder. Zierten jene Laken noch das Blut und die getrockneten Tränen, die ich an Heiligabend unter der mir angewandten Gewalt vergossen hatte, so fand ich unter dieser Decke nun jenen Schutz, der mich vor der Dunkelheit dieses Turmes bewahrte. Und während ich in diesem Bett voller schlechter Erinnerungen lag, fand ich eine Ruhe, die mich erneut an eine verdrängte Wahrheit erinnerte. Jene Erinnerungen, gleichwie schmerzhaft sie waren, waren nun ein wichtiger Teil von mir geworden. Genauso wie die Fäden, die in diese Bettdecke gewoben waren, waren auch sie in das Gewebe meines Seins gewoben worden. Sie als meine zu akzeptieren, bedeutete freilich nicht, dass ich mich ihnen unterwarf. Ich hatte nur entschieden, in dieser Dunkelheit mein Licht wiederzufinden und dieses Bett, das sowohl Zeuge meiner tiefsten Verzweiflung als auch größten Erkenntnisse geworden war, zu meinem stillen Hafen der Sicherheit zu machen.
Plötzlich nahm ich einen kleinen Lichtstrahl durch mein Laken wahr. Klare Schritte begleiteten jenen, der die Tür zu meinem Turm geöffnet hatte und ich spürte, wie sich jemand neben mich niederließ und die Hand zu meiner Decke führte. Ehe der Fremde sie mir abnehmen konnte, erhob ich mich und blickte in Alajos' überraschte Augen.
»Verzeih, ich wollte dir keine Angst machen«, sprach er und führte die Hand wieder zurück zu seinem Schoß. Still saß er neben mir mit diesem ernsten Blick, der mich bereits in der Kammer der grófnő in seinen Bann gezogen hatte. Erst jetzt war mir aufgefallen, dass sein Haar, das stets in dunklen, lockigen Wirbeln um sein Gesicht tanzte, erste silberne Strähnen hervorgebracht hatte.
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Angst
Narrativa StoricaIm Ungarn des frühen 17. Jahrhunderts häufen sich die grausamen Funde von Leichen junger Mädchen in der Nähe von Burg Csejte. Die Gerüchte über die Beteiligung der Gräfin aus dem einflussreichen Haus Báthori von Ecsed an diesen Serienmorden sind wei...