Kapitel 2.4

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~Seth

Als ich wieder zuhause war, widmete ich mich dem Blätterhaufen, den Mrs Churchill mir so bereitwillig überlassen hatte.

Je länger ich auf die Liste mit den Kursen starrte, desto mehr hatte ich das Bedürfnis, meinen Kopf gegen die Wand zu schlagen. Die in Gelb gekennzeichneten Kurse sind Pflicht. Das in Gelb gekennzeichnete Wort ,,Religion", schien mich auf dem Zettel leise auszulachen. Das musste doch ein schlechter Scherz sein.

Stöhnend schob ich die Liste zur Seite und vergrub meine Finger in meinen Haaren. Ich hätte einfach... Ja, was hätte ich tun sollen? Dawson töten. Den Rat auslöschen. Nicht versagen. Dann würde ich jetzt nicht jeden Tag aufs Neue in meiner ganz persönlichen Hölle erwachen. Das Rebellentattoo an meinem Hals begann zu kribbeln, als hätte ich mir einen Nerv eingeklemmt. Leandros' Blut in der Tinte machte sich häufiger bemerkbar, seit ich kein Gott mehr war. Es zwickte wie dutzende kurze Stromschläge, vor allem dann, wenn ich aufgewühlt war.

Offensichtlich fand ich den Gedanken an Religionsunterricht ziemlich aufwühlend. Ich ließ die Hände sinken und nahm die Liste zögerlich wieder in die Hand. Neben Religion waren nur Mathe und Englisch als weitere Pflichtfächer markiert, das war in Ordnung. Auch wenn die Briten eigenartiges Englisch sprachen.

Viele Kurse waren bereits als 'belegt' markiert, frei waren vor allem die Nerdfächer, was ich nicht weiter schlimm fand. Ich trug mich für Physik, Informatik und Chemie ein, nach kurzem Überlegen kreuzte ich auch noch Kunst an. In der Oberstufe würde man in Kunst hoffentlich nicht mehr mit Wachsmalstiften malen. Ein Fach fehlte mir noch, deshalb trug ich mich kurzerhand für Sport ein. Ich las mir die angekreuzten Fächer auf dem Zettel nochmal durch und zuckte dann mit den Schultern. Besser würde es nicht mehr werden.

Ich schob den Zettel zur Seite und klappte meinen Laptop auf. Die Internetseite von Inferno prangte noch immer auf dem Bildschirm. Kurz starrte ich auf das rot-feurige Design, dann schloss ich die Website, lehnte mich nach vorne und griff nach der Visitenkarte, die ich kurzerhand in den Müll warf. Nachdem ich kurz sehnsüchtig auf die nun geöffnete Startseite von Call of Duty geschielt hatte, schloss ich den Laptop mit einem Seufzen wieder und griff stattdessen nach dem Blätterstapel, den ich von Mrs Churchill erhalten hatte. Ihre geliebte Schul- und Hausordnung.

Die ersten Zeilen überflog ich nur. Pünktlichkeit, Uniformpflicht auch in der Oberstufe, keine Kaugummis unter die Tische kleben- bisher nichts anderes, als ich erwartet hatte. Beim nächsten Punkt wurde es interessant. Auf dem gesamten Schulgelände herrscht Rauchverbot. Und der darauffolgende: Das Verlassen des Schulgeländes in den Pausen ist nicht gestattet.

Ich kniff die Augen zusammen. War das ihr Ernst? ,,Vollidioten", murmelte ich.

Das Tragen von politisch motivierten Symbolen in Form von Schmuck, Tätowierungen oder Ähnlichem ist ausdrücklich untersagt.

Ich kratzte über das kribbelnde Rebellentattoo auf meinem Hals. Praktisch, dass hier eine Rebellion gegen die Götter nicht als politische Vereinigung gesehen wurde. Ich warf den Blätterstapel ans andere Ende des Schreibtisches und lehnte mich zurück. Die restlichen zwei Drittel würden wohl für immer ungelesen bleiben. Mein Blick wanderte durch den Raum und blieb schließlich an dem überquellenden Mülleimer hängen, auf dem die mit Feuer bedruckte Visitenkarte unbeschadet lag. Ich hätte das doofe Ding zerreißen sollen, denn bevor ich genauer darüber nachdenken konnte, hatte ich bereits den Arm ausgestreckt und nach der Karte gegriffen. Eigentlich war es ganz einfach - ich brauchte Geld, weil ich nicht wollte, dass Mum mir das Schulgeld bezahlte. Und das war genau das, was mir dieser Phil geboten hatte.

Natürlich könnte ich mir einen anderen Job suchen, sobald ich als Person in dieser Gesellschaft wieder existierte, aber... hatte ich wirklich verdient, mir das herauszusuchen? Wohl kaum. Ich biss die Zähne aufeinander, bis mein Kiefer schmerzte, dann aber griff ich nach meinem Handy und tippte die Nummer ein, die auf der Karte stand. Stumm betete ich zu niemand bestimmten, dass Phil sich verschrieben hatte und die Nummer nicht stimmte. Oder dass er einfach nicht abnahm.

Doch das Telefon klingelte kaum zwei Mal, als der Anruf auch schon entgegen genommen wurde und sich eine mir vage bekannte Stimme meldete. ,,Philipp Graham?"

Ich öffnete den Mund und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich schwieg einen Moment, bis die Stimme nachhakte. ,,Hallo?"

Erst dann löste ich mich aus meiner Starre und räusperte mich. ,,Hier ist Seth", erwiderte ich schließlich. Angespannt ballte ich die freie Hand zur Faust. Was tat ich hier eigentlich?

,,Ach. Hi Seth", vernahm ich Phils erfreute Stimme durch den Lautsprecher. ,,Ich wusste doch, du würdest dich noch melden."

Hatte er gewusst? Ich war mir bis vor etwa zwei Minuten noch sicher gewesen, das niemals freiwillig zu tun. Eigentlich war es auch nicht freiwillig. Bei den Göttern.

,,Du hast über mein Angebot nachgedacht?", erkundigte er sich, weil ich schon wieder nichts sagte.

,,Ja", erwiderte ich. In den zwei Sekunden, in denen ich deine Nummer gewählt habe. ,,Ich... hab sowas noch nie gemacht, aber... ich würd's ausprobieren." Ich öffnete meine verkrampfte Hand.

,,Sehr cool, das freut mich", kam es von der anderen Seite. ,,Weißt du was? Komm doch einfach heute Abend vorbei, da haben wir sowieso Bandprobe. Die anderen werden sich freuen, wenn sie erfahren, dass ich dich bequatschen konnte."

Ich ballte die Hand wieder zur Faust. ,,Heute Abend schon?", krächzte ich.

,,Klar", erwiderte Phil fröhlich. ,,Oder hast du schon etwas anderes vor?"

Im Selbstmitleid versinken und dabei Ente John mit Obststückchen füttern. Aber das sagte ich nicht. Ich atmete tief ein und stieß leise die Luft aus. ,,Nein, heute Abend passt", antwortete ich schließlich.

,,Super, ich schick dir gleich die Adresse rüber", kam es von Phil. ,,Dir wird es bei uns gefallen - lass dich einfach darauf ein."

Das hielt ich für ein Gerücht. Aber ich drückte die Wirbelsäule durch und riss mich zusammen. ,,Dann sehen wir uns später", erwiderte ich.

,,Das tun wir. Bis später, Seth."

Dann legte er auf. Ich ließ mich in den Schreibtischstuhl zurückfallen und starrte an die Decke. Was bei allen Göttern hatte ich mir da schon wieder eingebrockt? 

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Lange ist es her, dass das letzte Mal ein Kapitel kam - Klausurenphase und Unkreativität sei Dank 🫣
Das wird jetzt hoffentlich wieder besser. Vielleicht liest hier ja trotzdem noch jemand mit :)

Inferno - Todessohn IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt