Kapitel 2 - Venus

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Es fiel Adrian schwer, nicht immer wieder zu dem Fahrstuhl zu schauen, in dem Csilla Bethlen mit ihrem Vater und Jean verschwunden war. Klar hatte Louis recht: Sie war unerreichbar für ihn. Trotzdem ging sie ihm nicht aus dem Kopf. Rastlos tigerte er zwischen den Wäschebergen hin und her, ehe er sich einen leeren Wäschewagen schnappte, um die letzte Fuhre aus dem Wellness zu holen. Dabei starrte er grimmig vor sich hin und erschrak, als er jemanden hörte.

»Adrian? A-dri-an!«

Léon stand vor ihm und schaute ihn belustigt an.

»Und vom wem träumst du?«

Adrians Wangen wurden heiß, Léon grinste breit.

»Na, wie heißt sie?«

Adrian verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Er hatte es satt, dass alle ihn dauernd aufzogen.

»Schon gut, Kleiner. Du musst es mir nicht verraten. Ich wollte nur wissen, ob du gleich zum Kampf kommst?«

»Das lasse ich mir nicht entgehen! Ich habe Jean eben gesehen«, sprudelte es aus ihm heraus.

 Léons Miene verfinsterte sich.

»Ich weiß, er ist der Champion und gibt dem Boss und seiner Tochter eine exklusive Führung. Der Boss war ja auch ne Weile nicht hier«, Léon legte den Kopf schief, schaute Adrian an und grinste. 

»Hat Csilla Bethlen dieses Leuchten auf dein Gesicht gezaubert?«, er schnüffelte in Adrians Richtung, »Rieche ich da Pheromone? Junge, es wird Zeit, dass du deinen Frieden mit deinem Wolf machst.«

Adrian verdrehte die Augen und zwängte sich an seinem Freund vorbei, der mit seiner breiten Brust den engen Weg blockierte. Léon kicherte und zwinkerte ihm zu.

»Wenn ich der nächste Champion bin, stelle ich sie dir vor.«

Léon wandte sich grinsend in Richtung Fahrstuhl. Er hatte es leicht, er war der Sunnyboy und Frauenliebling unter Bethlens Kämpfern: Durchtrainiert, hellblond, braun gebrannt. Er war gutaussehend, groß und selbstbewusst und strahlte Souveränität und Kraft aus – das Gegenteil von Adrian. 

Er war klein, blass, schmächtig und seine Körperhaltung provozierte Louis und Léon regelmäßig zu dem Satz »Junge, mach dich mal gerade.« 

Sein Wolf war nicht besser: Er war dürr, struppig und der Verwandlungsprozess fand, wenn überhaupt, unter Beschwerden wie Krämpfen und Erbrechen, statt. 

Meist versteckte er sich in den Wolfsnächten im Keller einer alten Turnhalle. Er konnte die Verwandlung nicht selbst steuern wie Léon, sondern war den Launen des Vollmonds ausgeliefert. Für alle anderen war der Wolf ein selbstverständlicher Teil ihres Lebens. Nur er war ratlos und hoffnungslos verunsichert, wenn es um sein wölfisches Ich ging, und er traute sich nicht, Léon oder Louis zu fragen. 

Adrian sah seinem Freund hinterher, bis dieser im Fahrstuhl verschwunden war, ehe er sich auf den Weg nach oben machte, vorbei an Bernd, der immer in sein Sportmagazin vertieft war. Madonna sang »Like a virgin«, ein Song, der bei Adrian gemischte Gefühle hervorrief. 

»Viel schmutzige Wäsche heute«, bemerkte Bernd.

»Sonst wäre ich ja arbeitslos«, erwiderte er und beeilte sich, vorbei an dem Treppenhaus bis hin zum Wellnessbereich zu kommen. 

Er fragte sich, ob David und seine Jungs da oben gerade alle ausräumten, oder ob sie schon verschwunden waren. Ihm wurde heiß, und er beschleunigte seinen Schritt. 

~~~

Léon beschrieb Chantal gern als eine Mischung aus Jane Fonda und Cindy Crawford – von beiden hingen Bikini-Poster in seiner Umkleide. Adrian fand den Vergleich gut getroffen. Chantal sah tatsächlich so aus, als hätte sie in ihrem Leben nichts anderes getan, als Aerobic-Videos nachzuturnen. Sie leitete den Wellness- und Fitnessbereich und war die Trainerin der Werwölfe. Von denen arbeiteten einige für Bethlen. Man munkelte, dass er sie als eine Art Elitekampfeinheit angestellt hatte. Ob das stimmte, wusste Adrian nicht.

Nach allem, was er über Chantal gehört hatte, hatte sie den unzivilisierten Haufen gut im Griff. Léon bekam feuchte Augen, wenn er von ihr erzählte. Eigentlich sollte auch Adrian trainieren, aber er drückte sich davor. Er war irgendwie kein richtiger Werwolf, fand er.

Sie trug eine pinke Gymnastikhose und ein bauchfreies Top unter einer Sweatjacke. Ihre haselnussbraunen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, und ein leichter Schweißfilm lag auf ihrer Haut. Ihr Duft schwebte zu ihm herüber, ein köstliches Aroma aus Rosen und Zedernholz. Adrians Hände wurden feucht. Sie winkte ihn herein.

»Na, du Armer musst noch so spät arbeiten. Siehst du dir denn den Kampf an?«

Er nickte und räusperte sich.

»Äh, ja. Nach dieser Ladung hab ich frei.«

»Na dann halte ich dich mal nicht auf. Ich will auch nur noch unter die Dusche und schaue mir den Kampf an. Bin schon gespannt, ob Léon umsetzen kann, was ich ihm gezeigt habe.«

Sie hielt ihm die Tür zum Ladies-Bereich auf und kam mit herein. Auf dem Boden lag ein Haufen benutzter Handtücher und Bademäntel. Chantal ging weiter nach hinten durch und blieb einen Moment in der Tür zur Dusche stehen, um ihn zu mustern. Adrian wurde heiß bei der Vorstellung, dass sie nebenan duschen würde. Nackt. Er wandte schnell den Blick ab und gab sich schwer beschäftigt.

»Adrian?«

»Ja?«

Er blinzelte in ihre Richtung. 

»Ich hab mich nur gefragt, warum du nicht auch hier trainierst. Dein Name steht auf meiner Liste, die ich von dem Boss bekommen habe, aber du bist noch nie gekommen.«

»Ich hab glaub ich nicht so den Bedarf«, sagte er und packte einen Haufen Handtücher in den Wagen.

»Weißt du, vielleicht überlegst du es dir auch mal anders. Ich könnte mir vorstellen, dass es dir gefallen würde. Abends bin ich hier oft allein. Vielleicht kommst du dann mal, und ich zeige dir einfach mal die Geräte.«

Adrians Ohren glühten. Er fragte sich, was für ein Angebot das war, aber in ihrem Gesicht lag nur Freundlichkeit, nichts, was ihn verlegen machen müsste. Er nickte und räusperte sich. 

»Vielleicht nächste Woche«, sagte er.

»Ok, dann nächste Woche! Ich freu mich auf dich!«

Sie verschwand im Duschraum und ließ Adrian allein. Er atmete den angehaltenen Atem aus und beeilte sich, die letzten Tücher und Bademäntel in den Wagen zu werfen. Dabei stieg ihm ein Duft in die Nase. Moschus und Jasmin. Csilla! Er vergrub sein Gesicht in das Handtuch, an dem ihr Geruch sich verfangen hatte, und inhalierte tief. Sein Herz schlug wie wild gegen den Käfig seiner Rippen und er knurrte so laut, dass er sich vor sich selbst erschrak. 

Er platzierte den Stoff so auf seinem Wagen, dass er unterwegs daran schnuppern konnte, und verließ die Damenumkleide. Der Wellnessbereich lag im Dunkeln, es war niemand mehr da. Adrian seufzte. Das war immer die beste Zeit in diesem Hotel, das ihm oft genug wie ein Bienenstock vorkam, wenn es abends still wurde.

Er nahm das Handtuch und ging ein paar Schritte ohne den Wagen weiter. Der Duft berauschte ihn und er versenkte sein Gesicht darin. Eigentlich sollte er sich beeilen. Der erste Vorkampf begann in diesen Minuten, aber aus irgendeinem Grund zog es ihn gar nicht mehr so sehr in die Arena im Keller des Hotels.

Er schnupperte erneut an dem Stoff. Sie war da unten, in der Loge neben ihrem Vater, fiel ihm ein. Er lief entschlossen zurück zu seinem Wagen und schob ihn in die Wäscherei, wo er die Wäsche in die Waschmaschine warf. Csillas Handtuch legte er liebevoll zur Seite, als er eine Bewegung unter dem Wäscheberg ausmachte und erschrak. 

Er stolperte rückwärts und starrte auf die Bewegung: Csilla Bethlen tauchte aus der Wäsche auf. Sie schenkte ihm das schönste Lächeln der Welt und erhob sich aus dem Wäschewagen. Vor Adrians geistiges Auge drängte sich das Bild von Botticelli, das im Büro des Gefängnisdirektors hing: Venus, die dem Meerschaum entstieg.

»Danke. Adrian, richtig?«

Er nickte wortlos. Sie stützte sich auf seine Schulter, um hinauszuspringen und um sich ihre glitzernden Pumps anzuziehen. Dabei zwinkerte sie ihm zu, was eine Woge von Wärme durch seine Brust wallen ließ.

»Kannst du mir vielleicht verraten, wie ich zu dem Kampf unten komme?«, fragte sie.

Adrian versuchte, sich daran zu erinnern, wie man sprach. Er runzelte die Stirn und sah von ihr zum Wäschewagen und zurück. Sie lächelte, hakte sich bei ihm ein und zog ihn in Richtung Fahrstuhl.

Der Kuss des Mondes - Darkadier-Chroniken: Bethlen-Wölfe 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt