𝐌𝐀𝐍𝐇𝐀𝐓𝐓𝐀𝐍, 𝟏𝟗𝟗𝟑
An jenem lauen Frühsommerabend, als die tiefstehende Sonne das Esszimmer in ein sanftes goldenes Licht tauchte, schien alles so perfekt, wie eine Szene aus einem Film.
Bis zu dem Moment, in dem ich bemerkte, dass ich auf einmal Schwierigkeiten hatte, die richtigen Worte zu finden.
Ich war damals erst fünf Jahre alt, aber dieses Gefühl... diese Schwere, die meine Gedanken und meine Zunge lähmte, hat sich tief in meine Erinnerung eingebrannt.
„Die... das... da!", stotterte ich, versuchte verzweifelt, den Satz zu beenden. Aber meine Lippen bewegten sich nicht synchron zu meinen Gedanken.
Stattdessen kamen nur seltsame, unverständliche Laute heraus, wie bei einem kaputten Spielzeug. Also zeigte ich einfach mit dem Finger auf das rote Gemüse, das plötzlich nicht mehr benennen konnte.
"Missy, warum redest du nicht mehr?", fragte meine Mutter, während sie mir die Tomate auf den Teller legte, um die ich so schwerfällig gebeten hatte.
Die Worte. Ich wusste, sie waren da.
Doch jedes Mal, wenn ich versuchte, sie auszusprechen, schienen sie sich mir zu entziehen. Sie gehorchten nicht, sondern flüchteten, stolperten und wurden zu einem wirren Durcheinander.
Mein Onkel Mark, stets der Spaßvogel,
versuchte die Spannung mit einem seiner typischen Witze aufzulockern."Vielleicht überlegt sie gerade, neben welchem ihrer unzähligen Verehrer sie morgen im Kindergarten im Stuhlkreis sitzen möchte."
Ich versuchte zu lachen, wollte ihm sagen,
dass er albern ist. Aber alles, was ich fühlte,
war diese beklemmende Taubheit, die sich von meiner Zunge bis in meine Fingerspitzen erstreckte.Ich saß da, umgeben von den Menschen, die ich liebte, und doch fühlte es sich an, als wären wir Welten voneinander entfernt. Mein Herz raste, Panik stieg in mir auf.
Es machte mir Angst.
"Süße, bist du müde?", fragte Oma liebevoll, ihre Stirn in leichter Besorgnis gerunzelt. Als ob sie spüren konnte, dass meine Welt gerade dabei war, ins wanken zu geraten.
"Ach, sie ist erst fünf. Vermutlich nur ein wenig überwältigt von all der Aufmerksamkeit.", warf Onkel Mark ein, während er ein Stück von seinem Steak abschnitt.
Er hatte schon immer die Art, Dinge etwas lockerer zu sehen und es gab wenig, dass ihn aus der Ruhe brachte oder Stress bereitete.
Meine Mutter, Addison, nickte zustimmend.
"Vielleicht sollten wir sie bald ins Bett bringen", seufzte sie und fuhr mir durch die Haare.
Ich erinnere mich an das kühle Gefühl des Glases in meiner Hand und den süßen Duft des Traubensafts, der in der Luft lag.
Die Abendsonne glitzerte in dem tiefvioletten Getränk und ich fühlte mich so groß, wenn ich bei den Erwachsenen saß.
Doch in diesem Moment, als ich das Glas an meine Lippen hob, schien eine unsichtbare Kraft dazwischen zu funken. Die Flüssigkeit schien meinem Mund zu entkommen und tropfte auf mein Kleid, meine Beine und den Boden darunter.
Es war Tante Nancy, welche als Erste auf mein Ungeschick reagierte.
"Typisch Missy," sagte sie in einem Tonfall, den man nur zu gut kennt, wenn man in einer Familie groß wird, die von starken Frauen geprägt ist. "Jeremy hätte in deinem Alter nie mit Essen gespielt. Er war immer so ein ordentlicher Junge."
Mama, die immer versucht hatte, vor Dereks Schwestern einen guten Eindruck zu machen, bedacht darauf, dass alles perfekt aussah und niemand einen Grund hatte, über uns zu reden, riss mir das Glas aus der Hand und schimpfte.
"Missy! Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du vorsichtig sein sollst, wenn du trinkst?
Schau dir das mal an! Das war ein neues Kleid!"Ich spürte wie meine Wangen heiß wurden.
Es tat mir leid. So furchtbar leid. Wenn ich ihr doch nur hätte sagen können, dass ich es wirklich nicht mit Absicht getan hatte.
"Addison, es ist schon okay."
Dad, der sanftmütige Friedensstifter, legte seine Hand auf Mamas Arm. "Es ist nur ein Kleid. Und sie ist nur ein Kind."
Dann blickte er mich liebevoll und tröstend an und fragte: "Hast du noch Durst, Prinzessin?"
Ich sah zu meiner Mutter, die mir einen warnenden Blick zuwarf, und nickte dann zögerlich. Er nahm das Glas, das Addison mir weggenommen hatte, und reichte es mir erneut, seine andere Hand hielt er unter mein Kinn, bereit, jeden Tropfen aufzufangen, der daneben gehen könnte.
Und als die rote Flüssigkeit erneut langsam aus meinem Mundwinkel rann, hörte ich Mamas Enttäuschung in einem frustrierten Aufseufzen.
Es war kein Vorwurf, eher das Gefühl einer Mutter, die denkt, sie hätte in irgendeiner Weise versagt.
Dad, mit einer unglaublichen Reaktionsgeschwindigkeit, fing den Saft mit seiner Hand auf und zog das Glas weg.
Dann tauschten er und Tante Amelia Blicke, in denen sich eine stille Angst widerspiegelte. Eine Angst, die mich jetzt, Jahre später, immer noch erzittern lässt.
Es war mehr als nur ein kleiner Unfall mit einem Glas Saft. Es war ein Anzeichen dafür, dass in meiner kleinen Welt etwas nicht mehr so war, wie es sein sollte.
DU LIEST GERADE
𝐒𝐭𝐚𝐫𝐠𝐢𝐫𝐥 | ᵍʳᵉʸˢ ᵃⁿᵃᵗᵒᵐʸ
Fanfic─── 𝐒𝐓𝐀𝐑𝐆𝐈𝐑𝐋 | ⁽ ᵍᵉʳᵐᵃⁿ ᵛᵉʳˢⁱᵒⁿ ⁾ ┌ 𝗠𝗘𝗟𝗜𝗦𝗦𝗔 𝗚𝗥𝗔𝗖𝗘 Das Mädchen mit dem 𝗛𝗲𝗿𝘇, 𝗦𝗛𝗘𝗣𝗛𝗘𝗥𝗗 das zu schnell schlug. ...