Aliana Duenaz ⌠ Distrikt Zwölf ⌡
Einatmen – ausatmen. Ruhig bleiben, nicht darüber nachdenken. Die Hände langsam zu Fäusten ballen, alle zehn Finger spreizen, wiederholen. Sich auf den Druck konzentrieren, den die Nägel auf der Handfläche hinterlassen.
Viel zu weiche, wund geschmirgelte, klebrige Handflächen.
Aliana blinzelte in die von gigantischen Deckenleuchten erhellte Halle hinein und versuchte angestrengt auf den Boden vor sich zu starren. Grauer Beton, der mit einer dicken, unter den Sohlen knirschenden Staubschicht und ein paar einzelnen Strohresten bedeckt war. Ihr war unfassbar heiß und ihr Schädel dröhnte, das Blut rauschte in ihren Ohren, genauso wie ihr Atem, und der viele Platz um sie herum trug auch nicht gerade dazu bei, dass sie sich wohler fühlte. Wenn man zehn Alianas aufeinanderstapelte, könnte die oberste vielleicht mit ausgestreckten Armen die Decke berühren ... vielleicht mussten es aber auch elf sein.
Zumindest konnte es jetzt eigentlich kaum noch schlimmer werden. Die Hölle im Erneuerungsstudio hatte sie erst einmal hinter sich, und Aliana hoffte wirklich von ganzem Herzen, dass der nächste öffentliche Termin in weiter Ferne lag. Das unnötig grelle Licht, mit dem man ihr ins Gesicht geleuchtet hatte, all die Gerüche, die sich in diesem Raum vermischt hatten, die Fremden, die mit einem Mal so wasserfallartig auf sie eingeredet, sie begrapscht, an ihr gezerrt und gezupft hatten ... Aliana hatte sich gefühlt, als würden alle fünf Sinne sie von innen heraus zu zersetzen versuchen. Jede Berührung hatte einer Explosion geglichen, die ihr die Haut von den Knochen schälte, jedes Wort ein Kanonenschuss direkt neben ihrem Ohr, bis sie gehofft, nein, gebetet hatte, dass diese Tortur endlich ein Ende nehmen würde, und dann ... dann hatten ihre Folterknechte es irgendwann aufgegeben.
Vielleicht hatte sie ja geschrien. Das war gut möglich, so genau konnte Aliana sich nicht mehr daran erinnern. Nachdem ihre Stylistin den Raum betreten hatte, war da in ihrem Gedächtnis nur noch tiefes, unregelmäßig dumpfes Summen, wie ein Bienenschwarm, der irgendwo in der hintersten Ecke ihres Kopfes lauerte. Vermutlich hatte ihr Körper es irgendwann aufgegeben, sich gegen den Überfall wehren zu wollen, und ihre Wahrnehmung als letzte Selbstschutzmaßnahme heruntergefahren. Das würde zumindest erklären, warum sie sich jetzt so erschöpft fühlte ... an der Zugfahrt allein würde das ja wohl kaum liegen.
Aliana hatte das Gefühl, von einer vollbeladenen Eisenlore überfahren worden zu sein. Am liebsten wollte sie gerade einfach nur ihre Ruhe haben, aber das würde wohl erst einmal nichts werden ...
Ihr Haar wucherte wild und ungekämmt in alle Richtungen und war, ebenso wie ihr Gesicht, mit einem geruchslosen, schwarzen Puder bestäubt worden, das vermutlich an Ruß erinnern sollte. Sie ordentlich zu schminken hatte ihr Vorbereitungsteam sich offenbar nicht getraut, nachdem sie sich so heftig dagegen gewehrt hatte, und auch wenn Aliana definitiv ein nacktes Gesicht bevorzugt hätte, war das hier immer noch besser, als mit all diesen übelriechenden Cremes und Farbmischungen eingeschmiert zu werden.
Boris, ihr Distriktpartner, war ganz ähnlich zurechtgemacht worden. Eigentlich sah er jetzt genauso aus wie immer, wenn er ihr bei der Arbeit im Bergwerk über den Weg lief. Aliana wusste nicht, ob sie diesen Look von Anfang an geplant hatten, oder ob er eher eine Notlösung gewesen war, aber ausnahmsweise wollte sie lieber nicht weiter darüber nachdenken.
Auch mit ihrem Paradekostüm könnte sie es deutlich schlimmer getroffen haben. Man hatte sie in einen dicken, dunkelgrauen Ganzkörperanzug aus Wolle gesteckt, aus dem oben lediglich ihr Kopf herausschaute, und der mit ein paar Strickmustern und demselben rußartigen Puder verziert worden war. Selbst ihre Hände und Füße waren darin eingeschlossen. Es war ziemlich warm in diesem Ding, etwas kratzig, und ein bisschen fühlte Aliana sich wie ein überdimensionierter Ofenhandschuh, doch der Stoff gefiel ihr.
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me & the devil ✶ Die 59. Hungerspiele ⌠mmff⌡
AvventuraWir schreiben das Jahr der 59. Hungerspiele. Der Tag der Ernte hängt wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Familien, die in den zwölf Distrikten Panems tagtäglich um ihre Existenz fürchten. Denn wie jedes Jahr müssen auch diesmal vierundzwanzi...