Eine schreckliche Erkenntnis

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Aurelia

Weiße Laken und ein steriler Geruch waren das erste, was ich wahrnahm, als ich meine Augen öffnete. Ich war im Krankenhaus, stellte ich verwundert fest. Meine Lider waren schwer und nur mit Mühe konnte ich sie aufhalten. Ein Gefühl von Schlappheit und Müdigkeit überkam mich. Obwohl ich gerade erst meine Augen geöffnet hatte, wollte ich schon wieder einschlafen. Ich nahm all meine Kraft zusammen und drehte meinen Kopf zur Seite und entdeckte eine Uhr. Jedoch war mir vor Augen noch ziemlich vernebelt und musste mehrmals blinzeln, um klar zu sehen. Mein Schädel brummte und da es erst kurz nach zwei war, beschloss ich nochmal meine Augen zu schließen.

 Ein leises Surren von medizinischen Geräten nahm ich wahr, als ich nach meinem Dornröschen Schlaf aufwachte. Dazu eine tiefe und bekannte Stimme. „Du bist wach" stellte Timothy fest. Ich sah in seine eisgrauen Augen. 

Die Erinnerung war nicht verschwommen oder dunkel. Ich wusste genau, wie gewalttätig er mich in den Gang gezogen hatte und mich dann angeschrien hatte. Seine wütende Stimme hallte immer noch in meinen Ohren. „Was ist passiert?", fragte ich ihn, obwohl ich eigentlich noch genau wusste, was passiert war. Wir hatten uns gestritten, ein Unbekannter hatte versucht mich dumm anzumachen und ich hatte ihn schlussendlich gerettet. Na gut vorher hatte er mich aber hinter das Auto gezogen, obwohl er einfach hätte einsteigen und wegfahren können. Aber das hatte er nicht getan. 

Seine Augen hatte ich immer noch vor meinen eigenen. Sein linkes war tiefblau und sein Rechtes war dunkelgrün gewesen. Das war mir sofort aufgefallen als er mich zum ersten Mal angesehen hatte und in meinem Dornröschen Schlaf, hatte ich von ihm geträumt. Verdammt. Ich hatte von nem Typen geträumt?! Nein von seinen Augen. Da ich sowas noch nie zuvor gesehen hatte, versuchte ich mir selbst einzureden ich hätte nur deswegen von ihm geträumt. Insgeheim wusste ich aber genau, dass ich von ihm geträumt hatte und nicht nur von seinen Augen.

 „Du hattest wohl einen Zusammenbruch und bist ohnmächtig geworden" riss Timothy mich aus meinen Gedanken. Dabei lehnte er sich über mich und sah tief in die Augen. Einen Zusammenbruch? Wie ein Blitz durchzuckte mich die Erinnerung an das, was ich gesehen hatte. Als ich die mit Blut verströmte Powerbank in der Hand gehalten hatte. Schnell schloss ich wieder meine Augen. Aus Angst davor das Gleiche zu sehen wie auf dem Parkplatz. Die Vision von dem schlimmsten Tag meines Lebens. Ich wusste nicht genau, wieso mich der Moment so getriggert hatte. Vermutlich konnte mein Gehirn das Bild von dem bewusstlosen Mann nicht verarbeiten und hatte sich deswegen einfach ausgeschaltet. Der Fakt, das Timothy mir kurz zuvor noch vorgehalten hatte, dass er der einzige war, den ich hatte, trug wahrscheinlich auch noch dazu bei. 

Schwer schluckte ich. „Und was ist mit den Typen passiert?" Ich setzte mich aufrecht hin, sodass ich auf einer Augenhöhe mit Timothy war. Er atmete tief ein und aus und fing dann an zu sprechen: „Es gab wohl ne Schießerei zwischen den drei. Einer ist dabei umgekommen." Er räusperte sich. Wie bitte? Umgekommen? Hatte ich einen Menschen auf dem Gewissen? Drei? Wer war mit den anderen beiden gemeint? Ich verstand die Welt nicht mehr und das las Timothy anscheinend in meinem Blick. „Er wurde durch ne Schusswunde in den Kopf getötet. Der andere hat wohl ne Platzwunde am Kopf." Das bedeutete da wurde jemand umgebracht? Und wären wir nicht zu dem Auto gegangen...Das wollte ich mir gar nicht vorstellen, was dann passiert wäre. 

Mein Kopf wurde von immer mehr Fragen überflutet. Doch die wichtigste stellte ich zuerst. „Was ist mit dem dritten passiert?" In Timothys Augen machte sich ein Schatten breit. „Der wurde verhört, weil er einen der Typen von hinten niedergeschlagen hat. Hoffe, er wird dafür sitzen müssen" sagte er schnippisch. „Was? Nein. Er war das nicht. Der Typ hat ihn bedroht und daraufhin hab ich ihn niedergeschlagen." Plötzlich packte Timothy mich und hielt mir den Mund zu. „Psst nicht so laut." 

Verwundert blickte ich ihn an. Langsam entfernte er seine Hand von meinem Mund. „Du weißt nicht, wer das war, oder?" Timothy schluckte und ließ sich auf die Bettkante sinken. Leicht schüttelte ich den Kopf. Irgendein High-Society-Typ den ich nicht kannte?

 „Der Typ, dem du das Leben gerettet hast, ist Jaden Davis. Der Bruder, des Mörders deiner Schwester." Ich starrte Timothy an, unfähig auch nur ein Wort herauszubringen. Mein Puls beschleunigte sich schlagartig, meine Lunge schnürte sich zusammen und kurz dachte ich, ich würde ersticken. Trotz der Situation hatte ich ihn so freundlich wahrgenommen und das war er auch gewesen. Ich erinnerte mich an seine Hände, die meinem Kopf vor dem Aufprall schützten und an seine Stimme, die sich um mich sorgte. Hilfesuchend sah ich Timothy an. „Du sagst gar nichts. Der Polizei erzählst du, dass du nur Blut gesehen hast und deswegen ohnmächtig geworden bist" wies er mir mit einem befehlenden Ton an. In meinem Bauch machte sich ein mulmiges Gefühl breit. War das wirklich die richtige Entscheidung? Die Polizei anlügen und vielleicht eine unschuldige Person in den Knast wandern zu lassen?

 „Timothy ich weiß nicht, ob das die richtige Entscheidung ist", äußerte ich meine Bedenken. „Dieser Scheißkerl Thomas wurde nie dafür bestraft, was er Christine angetan hat und wenn ich die Chance habe seinen Bruder leiden zu lassen, dann ergreife ich sie. Du wirst mir da nicht dazwischenfunken!" fauchte er mich wütend an. 

Mein Herz raste und mir war einfach nur zum Weinen zu mute. Wenn es um Chrissy ging, tat er alles, um sie zu rächen. Einmal war er zum Haus von Thomas Eltern gegangen und hatte in Großbuchstaben „Sünder" an die Tür geschrieben. Bis heute machte er Thomas Davis, dafür verantwortlich, was passiert war. Klar, er war derjenige gewesen, der am Steuer gesessen hatte, aber dafür konnte seine Familie nichts. Er hatte zu viel getrunken und war dann mit dem Auto die Brücke hinuntergestürzt. So hatte es jedenfalls die Polizei behauptet. Eindeutige Beweise gab es bis heute immer noch nicht. Der Tod oder besser gesagt das Verschwinden meiner Schwester war für mich genauso schwierig gewesen. Jedoch hatte ich niemals die Sehnsucht nach Rache gehabt, was bei Timothy anders war.

 „Tut mir leid, dass ich laut geworden bin" entschuldigte er sich und ergriff meine Hand. Tief blickte ich ihm in die Augen. „Timothy ich weiß, wie wichtig es dir ist, Chrissy zu rächen, aber wir können keinen Unschuldigen in den Knast wandern lassen." Meine Stimme war leiser und schwächer als erwartet, weswegen ich mich einmal räusperte. Für eine gefühlte Ewigkeit schwieg Timothy und sah mir nur in die Augen. "Bitte Aurelia. Dieser Davis-Typ hat es verdient, zu büßen für das, was sein Bruder getan hat" sagte Timothy mit einem furchtsamen Unterton in seiner Stimme. Ich spürte den Druck, der auf mir lastete, und meine Gedanken schienen wie wild umherzuschwirren. Sollte ich meinem Gewissen folgen oder Timothy unterstützen? Noch einmal sah ich ihm tief in die Augen. Er wollte lieber seine Ex rächen, als auf meine Gefühle Rücksicht zu nehmen. 

In diesem Moment wurde mir klar, dass seine Obsession mit der Rache für Christine möglicherweise tiefer verwurzelt, war als nur der Wunsch nach Gerechtigkeit. Vielleicht spielten hier auch seine eigenen ungelösten Gefühle eine Rolle. Ein verletzender Gedanke schlich sich in mein Bewusstsein – einer, den ich schon länger gehegt hatte. Der Gedanke daran, dass Timothy immer noch in Christine verliebt war und mich nur als eine Art Ersatz für sie sah, da ich ihre kleine Schwester war. Nein, das konnte nicht sein. Er hatte mit Christine abgeschlossen und wenn er jetzt noch seine Rache bekam, konnte er sich endgültig loslassen und ich somit auch. „Gut du hast recht Timothy. Lass uns dieses Arschloch in den Knast befördern." Ob es die richtige Entscheidung war gegen mein Gewissen zu entscheiden? Sicher nicht, aber für Timothy hätte ich alles getan. 

PS: Würde mich über einen Vote oder Kommi, wie ihr Timothy findet sehr freuen💕


Das Blut der weißen RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt