47 - Pero...?

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 „Es ist mein Schatz!", fauchte Carlotta, die gehetzt hinter Richards Pferd auftauchte.

Vivs Blick, der an dem Pferd und dessen Reiter, den sie zweihundert Jahre in der Zukunft vermutet hatte, gehaftet hatte, wanderte zu Carlotta, die wutentbrannt zu Richard aufstarrte.

„Du ermüdest mich, Carlotta."

Richards Ruhe und Überlegenheit, die in seiner erhöhten Position auf dem Pferd zur Geltung kam, reizte Carlotta noch mehr. Sie stieß Flüche gegen ihn aus und gestikulierte wild mit den Händen, aber sie blieb auf Abstand, was Viv erstaunte. Dann erst sah sie, dass Richard bewaffnet war. Jetzt glitt er aus dem Sattel und schien kurz zu überlegen, was er mit der Spanierin anfangen sollte. Dann packte er sie grob am Oberarm und schleppte sie, untermalt von spanischen Verwünschungen, zu einer jungen Buche. Dort befahl er ihr, sich zu setzen, was sie erst auf ein leichtes Zucken des Pistolenlaufs vor ihrer Nasenspitze hin tat. Richard zog sich das Halstuch vom Hals, drehte das lange, weiße Stoffstück zwischen den Händen zu einem Strick und fesselte Carlottas Hände hinter dem Stamm zusammen.

„Was fällt dir ein?", fauchte sie und zerrte an den Fesseln, die er, ungeachtet ihrer Gegenwehr, stramm anzog.

„Das Selbe haben deine Schergen mit meiner Frau getan", knurrte er, „also halt den Mund, oder ich muss dich auch noch knebeln. - Nicht, dass dein Gekeife irgendjemand hören oder interessieren würde. Du hast dir hier wahrlich keine Freunde gemacht."

„Was hast du vor?"

„Ich bringe die Miss nach Hause und dann kümmere ich mich um dich. Ein bisschen frische Luft wird dein Temperament schon abkühlen. Kommen Sie, Viv."

Er wandte sich von Carlotta ab und ging zum Pferd. Viv stand noch immer da wie gelähmt, zu fliehen wagte sie nicht, weil Richard eine Pistole hatte und das riesige Pferd ihr den Weg verstellte. Im Gegensatz zu Carlotta verstand sie genau, was er meinte, wenn er sagt, er würde sie nach Hause bringen.

„Das wirst du mir büßen!"

Richard ignorierte Carlottas Ausruf und schwang sich wieder in den Sattel. Sein Pferd machte zwei Schritte zur Seite, dann wendete er es, so dass er direkt zu Viv blickte und hielt ihr die Hand hin. „Sie können auch den ganzen Weg zu den Steinen zu Fuß gehen, aber so geht es schneller.", sagte er nicht unfreundlich als sie zögerte.

Das große Pferd machte ihr sichtlich Angst und sie war sich alles andere als sicher, ob sie Richard vertrauen konnte, aber letztendlich legte sie ihre Hand in seine. Er zog sie zu sich hoch aufs Pferd. Erebos tänzelte leicht zur Seite und protestierte mit einem Kopfschütteln, das das Zaumzeug rasseln ließ, gegen das zusätzliche Gewicht. Richard klopfte ihm den Hals und murmelte einige beruhigende Worte. Dann setzten sie sich langsam in Bewegung. Das Pferd ging nur im Schritt, aber Viv klammerte sich dennoch fast panisch an Richard fest und warf immer wieder Blicke hinter sich, um zu sehen, ob Carlotta noch gefesselt war. Erst als sie außer Sicht war, wurde sie etwas ruhiger. Sie löste ihre verkrampften Finger, die sich in Richards Rock vergraben hatten, etwas und atmete tief durch. Die Luft war frisch und rein. Die Pferdehufe waren auf dem satten Gras nicht zu hören, irgendwo zwitscherten Vögel in den Bäumen.

„Warum helfen Sie mir?"

„Es liegt nicht an meinem grenzenlosen Wohlwollen Ihnen gegenüber und noch weniger an meiner Zuneigung", antwortete er trocken. „Doch wenn der Schatz fort ist, hat auch Carlotta keinen Grund mehr hier zu sein."

„Ich verstehe", murmelte Viv leise. „Was machen Sie mit ihr?"

„Das weiß ich jetzt noch nicht. Und es ist auch nicht Ihre Angelegenheit."

Richard lenkte das Pferd über die Rasenfläche, über die sie auf dem schnellsten Weg zum Wald kommen würden. Sie schwiegen. Viv war von dem Zusammentreffen mit Carlotta erschüttert und in der Stille, die sie in dem ruhigen Park umgab, begann sich ihr Gewissen zu regen. Ihr wurde klar, dass sie alle hintergangen hatte. Robin, Samantha und Richard, Philipp Latimer und seine Frau, fast alle Menschen in ihrer Umgebung, weil sie nur die Tilgung der Schulden vor Augen gehabt hatte. Sobald sie Mark los war, konnte sie ihr Leben leben, vielleicht mit Robin, wenn er sie noch wollte. Daran hatte sie fest geglaubt, als sie geplant hatte, das Museum zu bestehlen oder diesen Schatz mitgehen zu lassen. Doch mit mehr Abstand kamen ihr Zweifel, ob sie nicht zu weit gegangen war. Mark hatte versucht Robin umzubringen und sie hatte nichts getan, weil sie nur ihr Ziel vor Augen gehabt hatte. Doch jetzt fragte sie sich, ob es das wert war, ob es nicht auch eine andere Lösung gegeben hätte. Ihre Augen brannten und sie wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Ein Schluchzen stieg ihre Kehle hinauf und ihr Körper erbebte, als sie es zu unterdrücken versuchte.

Die Schatten von FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt