30. Kapitel

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Mavis

„Du hast mich beschatten lassen?", fragte ich entsetzt und sah Carter in seine ernste Miene. Ich wusste nicht genau, was es war, das mich daran so entsetzte: die Tatsache, dass er es getan hatte, oder aber, dass er wusste, dass ich bei der Arbeit letzte Nacht einen beinahe unverzeihlichen Fehler gemacht hatte.

In der vergangenen Nacht hielt ich mich etwas zu lange in einer der Bars auf, in die er mich geschickt hatte. Einer der Mitarbeiter bekam mit, dass ich mit einer unehrlichen Intention dort war, und meldete mich bei einem Kollegen, was ich rechtzeitig bemerkte. Dadurch hatte ich noch die Möglichkeit, schnell das Weite zu suchen, bevor er die Polizei rufen oder mich dort behalten konnte. Weil nichts passiert war, beschloss ich, die Sache für mich zu behalten. Als ich heute allerdings in den Club kam, stellte ich fest, dass er es bereits wusste.

„Das sollte dich nicht überraschen, wenn du bedenkst, wegen welcher Umstände du hier bist", entgegnete er. Es war mehr als deutlich, dass er wütend über diesen Fehler war. Ein Fehler, der, so vermutete ich, noch ein weiterer Grund war, warum er mich so wenig leiden konnte, wie er es tat.

„Das tut es aber. Wo ist das Vertrauen?", fragte ich. Meine Stimme verriet, dass ich, auch wenn ich es nicht wollte, etwas gekränkt war. Natürlich hatte ich die Umstände nicht vergessen, wegen denen ich hier war. Dennoch waren seitdem ein paar Wochen vergangen, in denen ich, so dachte ich, eine Arbeit gemacht hatte, die zeigte, dass ich etwas richtig machen konnte und etwas Vertrauen verdient hatte.

„Ich vertraue dir nicht. Und wie man sieht, aus gutem Grund", sagte er ernst. Es frustrierte mich, dass Carter offensichtlich eine festgefahrene Meinung von mir hatte. So festgefahren, dass ich sicher war, dass er diese auch nicht ändern würde, egal was ich alles richtig und gut machte. „Erklärst du mir jetzt, was das gestern für eine Scheiße war?", fragte er, nachdem er mich für einen Augenblick stumm angesehen hatte.

„Ich habe gearbeitet. So wie immer", antwortete ich schnippisch. Obwohl ich einen gewissen Respekt vor Carter hatte, spürte ich meine aufkommende Sturheit. Er wusste, was passiert war, aber er wollte es trotzdem aus meinem Mund hören. Als wäre ich ein Kind, das man erziehen musste, indem man es seine Fehler aussprechen ließ.

„Stell dich nicht dumm. Du warst unvorsichtig und wärst beinahe aufgeflogen", knurrte er nun noch wütender. Er ließ keinen Zweifel daran, wie verärgert er über meine Nachlässigkeit war. Ich wusste, dass er diesen Fehler nicht einfach so hinnehmen würde.

„Es ist nichts passiert", sagte ich daraufhin mit ruhiger Stimme, und dem Versuch, ihn etwas zu beschwichtigen.

„Das wäre es aber, wenn der Laden nicht so voll gewesen wäre. Hast du 'nen Schimmer, was das für Konsequenzen bedeutet hätte?", fragte er erneut. Als ich den Laden verlassen hatte und mir bewusst wurde, wie knapp die Situation war, fiel mir ein Stein vom Herzen. Nicht, weil ich die direkten Konsequenzen fürchtete, sondern weil ich größere Angst davor hatte, was Blake tat, wenn er davon Wind bekommen würde.

„Es ist nichts passiert", versuchte ich es ein weiteres Mal mit noch ruhigerer Stimme. Ich hatte aus dem Fehler gelernt und wusste, dass ich vorsichtiger sein musste – und das würde ich ab jetzt auch sein.

„Nur damit du es weißt, wenn du im Knast landest, holt Blake dich nicht raus", fügte er mit nun ebenfalls ruhigerer Stimme hinzu. Dabei nahm er ein Glas von der Bartheke, hinter der er stand, und füllte zwei Fingerbreit Vodka hinein. Eine Aussage, die mich augenblicklich schwer schlucken ließ.

„Bitte sag ihm das nicht", bat ich. Der flehende Ton in meiner Stimme war unüberhörbar. In diesem Moment fühlte ich mich schlagartig mit meiner Angst vor Blake konfrontiert, die ich verspürte, auch wenn ich es nicht wollte. Es war genau die Situation, die ich befürchtet und gehofft hatte, vermeiden zu können.

„Er weiß es schon", antwortete daraufhin eine mir bekannte, raue Stimme. Eine Stimme, die dafür sorgte, dass sich jedes einzelne Härchen meines Körpers aufstellte und ein gewaltiger Schauer durch mich hindurchzog. Carter löste seinen Blick von meinen Augen und richtete ihn hinter mich, was meinen Atem für einen kurzen Moment stocken ließ. Obwohl mir Blakes Stimme verriet, dass er in meiner unmittelbaren Nähe hinter mir stand, ließ ich ein paar stille Sekunden vergehen, bevor ich mich, fast wie in Zeitlupe, zu ihm umdrehte.

Mein nüchterner Magen drohte sich zu drehen, als mein Blick in sein ernstes Gesicht fiel. Seine Präsenz allein füllte den Raum mit einer fast unaushaltbar unangenehmen Spannung, und die Dunkelheit seiner Augen wirkte noch beängstigender als sonst. Seine versteinerte Miene ließ keinen Raum für Interpretation, sondern zeigte deutlich, dass er schlecht drauf war...

„Beweg dich in mein Büro", befahl er und lief mit festem Schritt auf die Tür seines Büros zu, um sie daraufhin zu öffnen. Statt allerdings hineinzugehen, blieb er davor, am Rand des Türrahmens stehen und sah mich erneut, diesmal auffordernd, an.

„Schon gut, ich kann es mit ihr regeln", sagte Carter plötzlich, weshalb ich meinen Kopf kurz in seine Richtung drehte. Für den Bruchteil einer Sekunde wanderte sein Blick von Blake rüber zu mir und wieder zurück, bevor er einen Schluck von seinem Drink nahm.

Auch wenn ich ein Gespräch mit Carter aufgrund seiner unhöflichen Direktheit vermeiden wollte, würde ich es in dieser Situation vorziehen und hoffte innerlich, dass Blake dies absegnen würde. Als seine dunklen Augen allerdings ohne Reaktion auf das Gesagte zu mir zurück schweiften und er sich nicht von der Stelle bewegte, wusste ich, dass er es nicht tun würde. Etwas, das offensichtlich auch Carter wusste, denn die Art, wie er mich nun ansah, wirkte ebenfalls auffordernd.

Mit stark pochendem Herzen löste ich mich zögerlich aus meiner Starre und machte daraufhin langsam ein paar Schritte auf ihn zu. Obwohl ich mit aller Kraft versuchte seinem durchdringenden Blick standzuhalten, schien seine Intensität mich förmlich zu erdrücken. Innerhalb von Sekunden fühlte ich mich gezwungen, meine Augen abzuwenden und den Blick auf den dunklen Fußboden zu senken. Über diesen trat ich an ihm vorbei, den Blick starr nach unten gerichtet, in sein Büro...

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