Kapitel 4.4

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Nur noch ein paar Schritte bis zum Podest, dann hätten sie das Schlimmste bald hinter sich. Tazeel erwartete sie dort, da er auch in der Halle den Ehrenplatz an N'Arahns Seite zugestanden bekam. Doch er würde keinen Zugriff auf Veidja erhalten.

Der Verführer hing mit einem breiten Grinsen quer in seinem Sessel, einen knieenden Adjutanten neben sich, der ihm ständig Köstlichkeiten reichte und sich von dem grünhäutigen Höllenfürsten über das kurze Haar streichen ließ. Der Ausdruck auf seinem Gesicht sprach von Hingabe zu seinem Meister, und es würde N'Arahn nicht einmal wundern, wenn das der Wahrheit entsprach. Tazeel konnte jeden Wunsch erkennen und erfüllen. Und dabei alles aus seinem Opfer herausholen. Andere Höllenfürsten waren in gewissem Maße davor geschützt, insbesondere in ihren eigenen Territorien, aber N'Arahn würde Tazeel nur äußerst ungern in dessen Festung aufsuchen.

Er nickte dem gefährlichen Dämon zu und drehte sich zu seinen Gästen herum. Dabei brachte er auch Veidja aus Tazeels direktem Einflussbereich und an die andere Seite seines Throns. Auf sein Zeichen betätigte einer seiner Diener eine schwere Kurbel und ein metallener Käfig senkte sich hinter dem Engel aus der Schwärze der hohen Decke herab.

Das quietschende Geräusch ließ den Engel aufschauen. Sofort versteifte sich Veidja. N'Arahn wandte sich ihr zu und zwang sich zu einem Grinsen. Sie hatte seinen Arm losgelassen, doch er griff nach ihrer Schulter, während er mit einem Wink die Käfigtür öffnete, sobald das Metall den Steinboden berührte.

„Ausstellungsstück oder Dämonenfutter?", fragte er leise und hoffte, dass Tazeel durch den lautstarken Trubel des Gelages nicht genügend hörte. Die Kriegerin funkelte ihn an, knurrte, ließ sich aber in den Käfig schieben. Anscheinend verstand sie, was auf dem Spiel stand.

Sorgfältig verschloss er die Gittertür, versiegelte das Schloss mit seinem Zeichen und schirmte den Käfig ab, bevor er ihn wieder einige Radumdrehungen in die Höhe ziehen ließ.

Ja, er musste sie auf diesem Fest dabeihaben. Aber er würde seine Beute keiner größeren Gefahr aussetzen als unbedingt nötig. Jetzt, wo der Engel sicher verwahrt war, würde er sich ruhiger wieder seinen Gästen zuwenden können.

„Interessante Wahl." Tazeel hatte sich zu ihm herübergebeugt, als er als Herr der Festung auf seinem Thron Platz nahm. Der rotäugige Blick des Höllenfürsten war beunruhigend wissend.


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Veidja hatte das Gefühl, dass sie sich noch einige Zeit von diesem höllischen Fest würde erholen müssen. Immerhin hatte ihr Kerkermeister ihr seitdem Raum gelassen; sie hatte die letzten Tage nicht einmal kämpfen müssen.

Die Kämpfe in der Arena bereiteten ihr keine Alpträume. Doch der Blick dieses grünhäutigen Dämons, der einen Ehrenplatz neben N'Arahn eingenommen hatte, war ihr bis in die Knochen gefahren. Es war nur ein kurzer Moment gewesen, doch er hatte gereicht, dass sie sich noch immer, hm, beschmutzt fühlte.

Aus irgendeinem Grund, war dieser Blick für sie schlimmer gewesen, als der mentale Zwang, unter den N'Arahn sie gestellt hatte. Trotzdem wurde sie noch immer wütend, als sie an sein gewalttätiges Eindringen in ihren Kopf dachte. Daran, wie mühelos er ihren Willen zur Seite wischte um sie zu einer gefügigen Puppe zu machen.

Wie sich seine Präsenz um sie gelegt hatte und sie vor den Eindrücken von außen abgeschirmte. Weich nach innen, Dornen außen. Auch der Käfig war so gewesen. Kaum hatte der Höllenfürst ein Siegel über dem Schloss gezeichnet, war alles außerhalb des Käfigs verschwommen. Weder Geräusche noch Bilder drangen klar zu ihr durch. Einzig N'Arahn hatte sie halbwegs erkennen können, alles andere war... neblig.

Sie konnte nicht behaupten, dass es nicht erleichternd gewesen war. Die Menge an hochrangigen Dämonen um sie herum, ihre realen und mentalen Ausdünstungen. Das alles hatte sie überwältigt. Für einen Moment war sie nur ein Staubkorn in dunklen Wassern gewesen. Feinde überall, kein Entkommen, aber auch kein Kampf möglich.

Dass sie diesen Eindrücken nicht mehr vollständig ausgeliefert war, hatte geholfen. Warum hatte er das für sie getan? Falsch. Nicht für dich. Für seinen Besitz. Vergiss das nicht.

Trotzdem beschäftigte es sie. Da war etwas gewesen...

Ein Geräusch an der Tür zu ihrer Kammer holte Veidja aus ihren Grübeleien. Es hatte keinen Kampf gegeben, warum sollte der Höllenfürst Mana an sie verschwenden?

Statt der erwarteten Eskorte stand N'Arahn selbst in der Tür, trat ein und verschloss den Durchgang hinter sich sofort. Die Kriegerin sprang vom Bett, auf dem sie ihren Gedanken nachgehangen hatte. Was wollte er hier?

Doch der Dämon blieb, wo er war, lehnte sich mit dem Rücken sogar an die Wand. Veidja blieb wachsam, bereit zu kämpfen. Warum war sie so alarmiert? Da war etwas in der Haltung des Höllenfürsten, in seinem Geruch. Und er schwieg, blickte sie nur an.

Das smaragdgrüne Funkeln schien ein Spiegel ihrer eigenen Wachsamkeit. Er war nicht entspannt, auch wenn er oberflächlich so aussah. Etwas war passiert. Oder würde passieren.

Veidja stellte fest, dass sie unbewusst eine Verteidigungshaltung eingenommen hatte. Sie versuchte, ein wenig Anspannung aus ihrer Muskulatur zu nehmen, damit sie nicht verkrampfte. N'Arahn beobachtete sie eindringlich, schien ihre Reaktion abzuschätzen. Noch immer hatte er keinen Ton von sich gegeben.

Plötzlich: „Gut. Du hast dich erholt." Seine Stimme war sachlich, fast kalt, als er sich von der Wand abstieß. Er kam nicht auf sie zu, doch sie konnte spüren, dass seine Präsenz sich ausweitete. Genauso gut hätte er direkt vor sie treten können. Der Engel stemmte sich dagegen; sie würde nicht zurückweichen.

„Dein Auftritt war ein Erfolg. Die anderen Höllenfürsten wollen mehr von dir sehen." Ein Schauder erfasste den Schlachtenengel. Mehr? Andere Höllenfürsten? Dieses eine Gelage war schon grauenvoll gewesen.

„Die nächsten Besuche werden in... privaterem Rahmen stattfinden." N'Arahn wandte sich zum Gehen. „Bereite dich darauf vor."

Damit war er verschwunden.

Eine kurze Weile war Veidja noch wie erstarrt, erwartete fast, dass der Höllenfürst zurückkehrte. Das war alles gewesen? Ihre Gedanken jagten. Warum hatte er ihr das mitgeteilt? Und wie sollte sie sich darauf vorbereiten? Auf was genau?

Der Puls des Engels raste, als habe sie eine Runde in der Arena hinter sich gebracht. Da muss mehr dahinter stecken.

In den nächsten Umläufen erhärtete sich ihr Verdacht. N'Arahn war auf eine Weise kühl, die sie nicht einordnen konnte. Er schwieg in ihrer Gegenwart, was untypisch für ihn war. Es gab nur einen Kampf, den er ausschließlich beobachtete. Fast hatte sie den Eindruck, dass er sie mied. Selbst ihr Mana drückte er ihr annähernd gewaltsam in die Hand, noch im Sand der Arena, schweigend und mit einer ungeduldigen Geste, dass sie es austrinken solle.

Er war abgelenkt und das irritierte sie. Sie hätte es für die beste Zeit gehalten, einen weiteren Fluchtversuch zu unternehmen, doch seine physische und geistige Abwesenheit wurde durch ein Meer an niederen Dämonen ausgeglichen, die sie ständig überwachten. Zudem verunsicherte es sie, auch wenn Veidja es nicht gerne vor sich selbst zugab. Was war an diesen Besuchen so besonders, dass sie den Herrn der Festung in diesem Maße beschäftigten? Oder war sie plötzlich unwichtig für ihn geworden, lästig? Und wenn ja, bot es ihr eine Chance oder barg es zusätzliche Gefahr?

Als einer der Hauptmänner N'Arahns ihr weiße Schlachtengewänder brachte, die sie bisher nur zu einer Gelegenheit hatte tragen sollen, war es fast eine Erleichterung. Dann war es jetzt also so weit. Was auch immer auf sie zukam, sie musste nicht länger warten. Und sie durfte auf einen Kampf hoffen.


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