49 - Abschied

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„Was wollte sie?", fragte Robin, als Samantha eilig aus dem Laden kam und die Tür hinter sich zuschlug. Sie drehte sich nicht um, aber sie wusste, als sie die Gasse entlangging, dass Lucky sie, halb verborgen hinter Traumfängern und Windspielen, durchs Schaufenster beobachtete.

„Was persönliches", antwortete Samantha ausweichend.

Sie war noch immer sauer. Auf Robin und Richards eigenmächtiges Handeln, aber auch auf Lucky, die ihre ganze Kindheit über in der Nähe gewesen war und Bescheid gewusst hatte, ohne irgendetwas zu unternehmen. Jetzt kam sie Jahre später, als sie längst ihren Frieden mit ihrer Vergangenheit gemacht hatte, daher, und erzählte es ihr. Je weiter sie gingen, umso mehr ärgerte sich Samantha darüber.

„Dämliche Wahrsagerin", murrte sie.

„Ist sie das tatsächlich?", fragte Lucy, die ihre Worte gehört hatte und zu ihr aufschloss, während Robin, ein bisschen beleidigt, hinterhertrottete.

„Ja, ist sie."

„Wow, was gibt es denn bitte noch alles? Als nächstes erzählst du mir von Hexen und Zauberern. Gibt es Werwölfe?"

Samantha warf Lucy einen Blick zu, als wollte sie fragen: Ernsthaft jetzt?

„Nicht, dass ich wüsste", antwortete sie stattdessen. „Die einzige Magie, mit der ich je zutun hatte, ist die der Mächte im Wald und die reicht mir vollkommen." Dann fasste sie sich ein Herz und erzählte Lucy, was ihr Lucky erzählt hatte. Über die Rolle, die ihr Sohn spielen würde, und die sie mit Stolz erfüllte, aber auch von dem, was Lucky all die Jahre gewusst und verschwiegen hatte.

„Sie hätte was tun können", schloss sie ihren Bericht.

Lucy dachte über den Vorwurf nach. „Ja, hätte sie. Aber ich glaube nicht, dass sie es böse meinte, indem sie nichts tat und den Dingen ihren Lauf ließ. Schließlich ist alles gut gegangen. Wir wären nie Freundinnen geworden und wer weiß, wie es deine Beziehung mit Richard beeinflusst hätte."

Das stimmte, sie konnte wirklich nicht wissen, wie alles gekommen wäre. Auf Samanthas Lippen stahl sich ein Lächeln. „Stimmt auch wieder."

Sie gingen weiter die Straße entlang. Bald ließen sie die Läden und Geschäften der Altstadt hinter sich. Der Weg führte an der Friedhofsmauer entlang und sie kamen an der Stelle vorbei, wo Richard Samantha begegnet war. Über ihren Köpf ragte der Kirchturm auf.

„Deine letzte Chance, nachzusehen", sagte Lucy, als Samantha an dem schmiedeeisernen Tor kurz stehenblieb.

Samantha warf einen Blick durch das Gitter, aber sie ging nicht hinein. Irgendwo im älteren Teil des Friedhofs befand sich vermutlich ein Grabstein mit ihrem und Richards Namen darauf, aber sie würde nicht nachsehen. „Nein, ich will es noch immer nicht wissen. Was mir Lucky über Arthur erzählt hat, genügt mir. Ich will nichts über meinen oder Richards Tod wissen."

Entschlossen ging sie weiter. Es wäre unerträglich, im Voraus zu wissen, wie viel Zeit ihnen noch blieb. Die Phase ihres Lebens, während der sie überzeugt gewesen war, alles würde im Jahr 1815 mit Richards Tod auf dem Schlachtfeld von Waterloo enden, war ihr noch zu gut im Gedächtnis, als dass sie nochmals mit einem solchen Wissen leben wollte.

Sie warf einen letzten Blick zurück durch das Tor. Dorthin, wo sich das Grab ihrer Pflegeeltern befand, und verabschiedete sich stumm von ihnen.

Sie ließen den Ort hinter sich und gingen sie den steilen Hügel nach Ferywood Manor hinauf. Die Auffahrt wirkte ruhig und friedlich. Samantha spürte, wie sie sich entspannte und sich die Unruhe, die sie nach Luckys Eröffnungen befallen hatte, etwas legte.

Sie umrundeten, ohne viel zu reden, das Haus und gingen durch den Park. Das Feldlager mit den Hobbysoldaten war bereits verschwunden, die Männer und Frauen abgereist und wieder in der Zukunft und ihren normalen Leben angelangt. Bis auf etwas platt getretenes Gras und die Überreste einiger Feuerstellen zeugte nichts mehr von ihrer Gegenwart.

Die Schatten von FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt