-11- Vom Meer und einer Kiste I

25 7 21
                                    

Zu viert standen wir am Flussufer vor dem Schiff, das Saros für uns gebaut hatte. Schon nach kurzer Zeit, die ich an jenem Abend nachgedacht hatte, hatte ich den Gedanken daran, Arokin und Asir hätten es  selbst nur auf die Macht abgesehen, wieder verworfen. Wenn Asir es gewusst hätte, hätte er mir etwas gesagt. Und wenn er mich anlügen würde, würde ich das bemerken. Schließlich waren wir irgendwie miteinander verbunden, schon immer. Deswegen konnte ich seine Gedanken hören. Und ich spürte, dass er keine Macht haben wollte. Und bei Arokin konnte ich es mir nicht vorstellen. Beide wirkten bodenständig. Gesprochen hatte ich darüber mit niemandem. Wozu? Um unnötiges Misstrauen zu säen, wo wir doch jetzt endlich ein Team waren? Es wäre so, wie Unkraut in einem mühevoll gepflegten Blumenbeet auszubringen. Es würde uns allen schaden und das, was wir aufgebaut hatten, zerstören.

„Danke, dass du mich zu meiner Schwester gebracht hast. Woher kennst du sie?“ Noch eine Frage, von Neugier angetrieben, nicht von Misstrauen, die ich bisher nicht ausgesprochen hatte. Gerade hatte ich ihnen erzählt, dass Olivia offenbar gefangengehalten wurde.

Es war nun etwas über eine Woche her, seit ich hier angekommen war. Eine Woche, in der ich vollends in dieser neue Aufgabe und dem Training aufgegangen war. Eine Woche, in der wir viel trainiert hatten. In der ich nachdenken konnte. In der ich herausgefunden hatte, dass ich es immerhin merkte, wenn Asir nun meine Gedanken las. Es war ein Kribbeln in der Kopfhaut. Nun würden wir aufbrechen. Noch immer wusste ich nicht, wie Saros das Schiff so schnell hatte fertigstellen können.

„Ich habe sie selbst erst vor Kurzem das erste Mal getroffen. In einer Höhle, die du kennst, wenn ich mich nicht täusche.“

„Du wusstest davon? Weißt du, was da passiert ist?“ Ich war überrascht. Kurz darauf besann ich mich wieder auf das Thema. „Was war mit dem Brief?“

„Meine Freunde und ich haben dich beobachtet, wegen der Prophezeiung. Und dann habe ich Olivia in der Höhle gefunden. Sie hat einen Brief geschrieben und gesagt, ich solle ihn zu dir bringen. Und wie es der Zufall wollte, war ich sowieso auf dem Weg zu dir. Und da dachte ich, das wäre eine gute Gelegenheit…“

„…Um ihn mir zu bringen und mich hierherzulocken. Schon klar. Hast du eine Idee, wer Olivia gefangen hält? Wie wir sie befreien können?“ Mein Blick glitt an dem Schiff entlang. Es war nicht besonders groß, allerdings musste es das aufgrund der Besatzungsgröße auch nicht sein. Zwei bis vier Menschen und vier Pferde. So betrachtet kam mir das sehr leichtsinnig vor. Nur vier Menschen, von denen zwei keine Ahnung von Schiffen hatten, und zwei noch nicht einmal Menschen waren, sollten sich allein auf eine Reise über das Meer begeben?

„Nun, ich kenne mich mit Seelenzaubern nicht gut aus. Ich kann mich aber mal umhören, wenn du willst. Das Einzige was ich weiß ist, dass man dazu Macht benötigt, sehr viel Macht. Mir würde nur einer einfallen, der dazu im Stande wäre.“

„Ein Gott. Miron?“

„Es muss einen Grund für sein Handeln geben. Warum wir ihn nicht mehr erreichen. Vielleicht will er sich an die Macht klammern und sie nicht abgeben. Und als du in die Höhle geflogen bist, hat scheinbar jemand versucht, dich davon abzuhalten, den Brief zu lesen. Stattdessen bist du aber in seinen Kopf gekommen, das war erstaunlich.“

„Meinst du, Olivia ist die nächste Göttin?"

„Ich weiß es nicht. Es ist möglich, immerhin ist sie umgebracht worden, aber nicht richtig tot." Er sah nachdenklich aus.

„Aber wenn sie hier ist, warum nimmt sie sich dann nicht einfach die Macht? Oder warum gibt Lihambra ihr sie nicht?" Noch immer konnte ich mir nicht vorstellen, wie jenes Zentrum der Macht aussehen sollte.

„Vielleicht weiß Olivia nicht, wie es funktioniert. Oder sie kommt nicht nach Lihambra und sie kommt nur von dort an ihre Macht. Oder wir sind auf einer ganz falschen Spur." Kurz hielt er inne. „Ich werde sehen, was ich herausfinden kann." Mit diesen Worten veränderte er seine Gestalt und dort, wo noch vor ein paar Sekunden ein Mensch gestanden hatte, flog nun ein Rabe davon. Ich hatte mich in letzter Zeit daran gewöhnt.

Am Horizont zogen Wolken auf. Ich nahm meinen Beutel, in den ich ein paar Vorräte und Kleidung gepackt hatte, und ging auf das Schiff zu. Ihr könnt schon los, ich finde euch dann. Je schneller wir ankommen, desto besser.

Ich fand das Wetter erstaunlich. Immer wieder hatte es geschüttet oder Erdbeben gegeben. Und das alles sollten Sophie und ich aufhalten können? Meine Schwester war nicht mehr vorbeigekommen und ich hatte mir Sorgen gemacht, das ihr etwas zugestoßen sein könnte. Dann hatte ich Asir erzählt, dass ich sie gesehen hatte. Aber erst eben hatte ich ihm erzählt, dass Olivia gefangen gehalten wurde.

Sophie und Arokin warteten schon auf dem Schiff, der Havsropen. Sie war ebenfalls aus dunklem Holz gefertigt, funkelte aber nicht. Es reichte, wenn das Schiff fuhr, andere Spezialeffekte brauchten wir nicht.

Die Pferde standen unter Deck. Alle warteten auf uns, oder eher, auf mich. Gestern hatte es ein Fest zu unserem Aufbruch gegeben und Durijan hatte uns eine Mannschaft angeboten, doch Arokin hatte abgelehnt. Daraufhin blieb ihm nichts anderes übrig, als uns gutes Wetter zu wünschen. Auch sie würden bald wieder aufbrechen und nicht mehr nach Drosk zurückkehren. Denn die Erdbeben hatten sich verschlimmert und bald würde das Dorf vermutlich dem Erdboden gleichgemacht sein. Denn nun fingen auch einzelne Gebäude an auseinanderzufallen. Sie wussten noch nicht, wohin sie ziehen würden, aber alle waren sich einig, dass sie einen guten Platz zum Leben finden würden.

Die Feier war bis spät in die Nacht gegangen, nun war es früher Morgen. Niemand stand hier, um sich von uns zu verabschieden, das war schon gestern geschehen. Niemand, außer Saros. Der alte Mann mit dem langen grauen Bart, stand am Steg und als ich an ihm vorbeilief sagte er: „Passt auf mein Schätzchen auf, dort steckt meine ganze Liebe drin. Mögen Sophie und du ein neues Zeitalter einläuten, auf welche Art auch immer.“ Er verneigte sich und lief humpelnd davon. Wie Lys mir erzählt hatte, war Saros ein guter Krieger gewesen. Aber nachdem er sich in einem Kampf gegen Seeräuber, die über das Meer fuhren und Unruhe stifteten, eine schwerwiegende Beinverletzung zugezogen hatte, hatte er sich dem Schiffsbau verschrieben. Er hatte ein Talent dafür. Ein verborgenes Talent, das erst durch den Schicksalsschlag, den er erlitten hatte, sichtbar werden konnte.

Aber ich wollte nicht über Schwierigkeiten nachdenken. Nicht, bevor wir aufgebrochen waren.

Als hätten meine Gedanken sie heraufbeschworen, kam Lys angerannt. Ich war froh darüber, denn ich mochte sie. Wir hatten in der letzten Woche viel von unserer freien Zeit miteinander verbracht. Wenn sie nicht irgendetwas erledigen musste und ich eine Trainingspause hatte.

„Passt auf euch auf. Ich wünsche euch viel Glück für eure Reise!“ Mit der Umarmung, die nun folgte, überrumpelte sie mich. Doch schließlich erwiderte ich sie.

„Passt ihr auch auf euch auf“, sagte ich und trat einen Schritt zurück. Sie nickte und ich wandte mich von ihr ab. Ich hasste Abschiede, auch, wenn ich die Menschen hier noch nicht so gut kannte. Niemand von uns sagte Auf Wiedersehen, und darum war ich froh. Denn ich wusste nicht, ob es das gab, so wäre es eine leere Floskel gewesen. Eine, auf die ich verzichten konnte, die nur falsche Hoffnungen wecken würde. Und dennoch wünschte ich mir ein Wiedersehen.

Sophie und Arokin sahen mich an, als ich nun das Schiff betrat. „Wir können schon los. Asir versucht, etwas über meine Schwester herauszufinden.“  Die beiden wussten, dass ich Olivia gesehen hatte, nicht mehr.

„Gut, dann lasst uns keine Zeit mehr verlieren“, sagte Arokin und zog die Planke mit einem schleifenden Geräusch an Bord.

Ich wandte mich Richtung Heck, an dem eine kleine Leiter unter Deck führte. Die Pferde hatte Saros vor ein paar Stunden durch die Luke geführt, die er extra für sie gebaut hatte.

Hier unten war die Luft stickig, und in einer Ecke standen die Pferde, von einem kleinen Zaun umgeben. Sie taten mir leid, aber es war der einzige Weg, sie mitzunehmen.

Nachdem ich meinen Rucksack in eine Truhe gelegt hatte, spürte ich, wie sich das Schiff mit einem leichten Ruck in Bewegung setzte.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt