Das erste, das ich nun bemerkte, war Nässe. Sie lief über mein Gesicht, ein wenig davon rann mir in den Mund. Es schmeckte salzig.
Ein brennender Schmerz durchfuhr meine linke Schläfe und darüber spannte sich die Haut.
Mit der rechten Seite lag ich auf etwas Hartem, das sich anfühlte wie Holz. Noch dazu schwankte der Boden.
Als ich mir mit meinen Händen das Wasser aus den Augen wischen wollte, begriff ich, dass meine Hände vor mir mit Ketten gefesselt waren. Sie scheuerten auf der Haut. Auch meine Füße waren aneinandergekettet.
Ich kniff die Augen zusammen, um das Wasser zu entfernen. Noch immer konnte ich nur unscharf sehen. Dazu war es dunkel. Nachdem ich noch ein paarmal geblinzelt hatte, erkannte ich direkt vor mir zwei Füße in abgenutzten Schuhen.
„Sie ist aufgewacht“, sagte eine dunkle Stimme. Meine Augen wanderten nach oben und ich erblickte den Mann, den ich als letztes gesehen hatte, bevor ich niedergeschlagen worden war. Ihm fehlte eine Hand. Der rechte Ärmel hing am Ende schlaff hinab. In der anderen Hand hielt er einen Metalleimer, den er nun langsam auf den Boden stellte. Dabei ließ er mich nicht aus den Augen.
„Sehr schön“, das war die Frau, die nun angelaufen kam. Sie trug ein rotes Halstuch, hatte dunkelblonde Haare und einen starken Akzent. Eigentlich war es generell interessant, dass wir die Sprache, die hier in Nuria gesprochen wurde, verstehen konnten. Oder war es doch unsere eigene? Ich konnte es nicht sagen. Aber warum sollte in einer anderen Welt die gleiche Sprache gesprochen werden wie bei uns?
Das Gesicht sah freundlich aus, auch wenn ich wusste, dass sie das nicht war. Über dem rechten Auge hatte sie eine alte Narbe. An ihrem Gürtel hing ein Dolch. Nein, nicht irgendeiner, meiner.„Dann kann sich Khori jetzt um euch kümmern.“ Sie ging in die Hocke, sodass sie neben mir saß. „Er wird gespannt sein, was wir ihm mitgebracht haben.“ Daraufhin zog sie mich mit erstaunlicher Kraft nach oben. Als ich stand, drohten meine Beine nachzugeben, aber die Frau hielt mich fest und stieß mich vorwärts.
Das Atmen fiel mir schwer, dennoch sog ich die Luft ein, als ich Sophie sah, die nur wenige Schritte von mir entfernt lag. Die Frau nickte dem Mann zu, der daraufhin auf sie zuging und ihr einen kräftigen Tritt verpasste. Sophie gab keinen Ton von sich.
Der Mann sah einen Augenblick in unsere Richtung, bevor er wissend den Blick zu Sophie abwandte. Die Frau ging weiter und zog mich mit sich. Mir blieb nichts anderes übrig, als in kleinen Schritten hinter ihr her zu stolpern. Ich wollte schreien, irgendetwas tun. Doch ich bekam kein Wort heraus. Um mich zu wehren fehlten mir die Kraft und die Möglichkeiten.
Hilfe! Ich betete, dass meine Gedanken erhört wurden. Aber da war nichts. Kein Kopfkribbeln oder eine Antwort. Stille.
Ich wurde durch eine Tür in grelles Licht geführt und wir erreichten das Deck. Wind wehte um meinen Kopf. Ich war also tatsächlich wieder auf einem Schiff gelandet. Ein weiteres Schiff fuhr neben uns, weitaus kleiner als das, auf dem ich mich befand. Die Havsropen, noch immer seetüchtig. Sie war also zumindest nicht versenkt worden. Wer auch immer diese Leute waren, hatten nicht nur uns, sondern auch unser Schiff entführt. Waren wir schon länger verfolgt worden? Hatten sie einfach den Moment abgepasst, in dem Sophie und ich allein waren? Oder war es ein unglücklicher Zufall gewesen, dass sie uns ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt erwischt hatten?
„Los jetzt. Weiter!“, zischte die Frau und ich spürte meinen Dolch im Rücken. Die Ketten scheuerten an meinen Handgelenken und ich konnte nur kleine Schritte machen. Bei jedem einzelnen klirrten sie. Die Menschen, die hier hin und herliefen, beachteten mich nicht.
Wir erreichten die Reling und nun konnte ich mir unser Schiff genauer anschauen. Auf der uns zugewandte Seite des Hecks war das dunkle Holz abgesplittert.
„Du sagst mir jetzt, wie dieses Schiff da fährt und wo ihr damit hinwolltet. Warum wart ihr nur zu zweit?“ Ich spürte ihren Atem an meinem Ohr entlangstreichen.
Ich blieb stumm. Es fühlte sich an, als würde das Meer mich davontreiben.
„Jetzt pass auf“, es war mehr ein Zischen denn ein Reden. „Du hast das Glück, dass ich überhaupt noch mit dir rede. Verspiele dein Glück nicht. Also?“ Mit dem letzten Wort bohrte sich der Dolch fester in meinen Rücken. Er verletzte mich zwar nicht, aber ich spürte ihn deutlich.
Ich holte tief Luft. Ich war nicht hier, um erstochen zu werden. Schon gar nicht von meiner eigenen Waffe. Es wäre auf eine gewissen Art Verrat; fühlte sich falsch an. Also erzählte ich das, was der Wahrheit am nächsten kam. „Der Antrieb…“, meine Stimme klang viel zu hoch, bevor sie versagte. Zwar hatten wir so viel trainiert, aber jetzt konnte ich nichts gegen die Situation unternehmen. Auch wenn ich in der Theorie wusste, wie ich mich zu verteidigen hatte, gelang es mir nicht, mich zu rühren. Daran würde sich vermutlich auch nichts ändern, wenn ich nicht gefesselt gewesen wäre. Ich war wie versteinert.
Ich meinte zu merken, dass der Dolch verhindern wollte, dass er mich verletzte.
„Es ist ein besonderer Antrieb, der… man braucht keine Segel oder Ruder, jedenfalls nicht immer. Deswegen reichen zwei.“ Ich stammelte, fand mich dabei selbst erbärmlich, auch wenn ich Angst hatte. Die Worte musste ich einzeln an meinen Lippen vorbeizwingen.
„Und wer hat ihn gebaut?“
„Ich kenne ihn nicht. Das Schiff war ein Geschenk.“ Meine Augen brannten.
Auf einmal wurden wir viel langsamer, bevor das Schiff schließlich zum Stehen kam. Die Frau drehte mich in die andere Richtung und sagte: „Wir sind da. Jetzt ist eure Schonfrist abgelaufen!“
Wir waren in einem Hafen angekommen. Wobei Hafen kaum das richtige Wort hierfür war. Es gab drei Anlegeplätze, die in einen Felsen geschlagen waren, der ins Meer reichte.
Ich bekam ein noch mulmigeres Gefühl, als ich nun Sophie sah, die von einem Mann an mir vorbeigetragen wurde. Dann wurde auch ich weiter vorwärtsgeschubst und wir verließen das Schiff.
Hilfe, dachte ich einmal mehr.
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Lihambra - Geheimnis der Raben
FantasySarah hat es in ihrem Leben nicht leicht. Nach dem Tod ihrer Schwester wird sie immer wieder von der Trauer eingeholt. Aber all das rückt in den Hintergrund, als wenige Tage vor ihrem Schulabschluss ein neuer Schüler in die Klasse kommt. Zeitgleich...