-22- Von Nebel und Licht I

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Draußen hatte die Dunkelheit die Herrschaft über dieses Land errungen. Nicht etwa, weil die Sonne untergegangen war, sondern durch die Rauchschwaden, die wie schwarze bedrohliche Wolken den Himmel einnahmen und als Nebel in der Luft um mich herum hingen. Beim Atmen stach er in der Nase, sogar ich konnte das fühlen, obwohl es nicht mein Körper war. Es roch nach einer Mischung aus Schwefel und Rauch.

Durch Asirs Augen sah ich, wie Arokin auf einem Ast landete. Er sah entspannt aus, das genaue Gegenteil von dem, was ich von Asir spürte. Er war gespannt wie eine Bogensehen kurz vor dem Abschuss. Bereit, den Pfeil loszulassen, auch wenn er nicht wusste, womit er schießen sollte. Seine Empfindung übertrug sich auf mich.

Stimmt es? Die Stimme füllte seinen ganzen Kopf und auch ich bekam noch Kopfschmerzen davon. Ich musste mich darauf konzentrieren, nicht wieder aus seinen Gedanken geworfen zu werden, so stark war der Schmerz, die Überraschung und die Übermacht, die von diesen Worten ausgingen. Ich klammerte mich an die Gedanken, die nicht meine waren, die ich mittlerweile ganz gut kannte. Fast ließ es mich an die Stimme denken, die ich in meiner Vision von dem Skelett gehört hatte, denn auch sie füllte alles in mir aus. Und doch klang sie anders. Du möchtest also meine Macht an dich reißen?

Ich konnte nicht sagen, woher die Stimme kam. Sie schien von überall widerzuhallen.

„Es ist nicht deine Macht!" Arokins Stimme war lediglich ein leises, heiseres Flüstern im Gegensatz zu der anderen, obwohl er laut und fest sprach.

Asir landete auf einem anderen Ast, ein paar Meter von seinem Bruder entfernt.

„Deine ist es aber auch nicht." Asir klang ruhig, sprach nur zu seinem Bruder. Aber ich spürte seine Unruhe. Ich weiß auch nicht, woher diese Stimme kommt. Auch, wenn ich weiß von wem sie ist, richtete er seine Gedanken an mich.

In diesem Moment sah ich es, sahen wir es. Ein riesiges bernsteinfarbenes Auge wurde durch den Nebel hindurch sichtbar. Zunächst war es weit entfernt, doch es kam näher und leuchtete durch den Nebel. Die Pupille war geschlitzt. Es kam näher. Und wurde wieder vom Nebel verschluckt. Nein, kein Nebel. Rauch. Leicht schwefeliger, dunkler Rauch.

Ihr seid Verräter, alle beide! Ich spürte den Zorn in der Stimme, die sich in unsere Köpfe brannte wie glühendes Eisen. Und dein Menschlein ist nicht besser!

Ich konnte Asirs Entsetzen spüren. Auch ich war erstaunt. Was meinte er damit, und warum wusste er von mir? Im selben Moment fiel mir die Antwort ein. Weil er ein Gott ist.

„Ich wüsste nicht, dass wir dich verraten haben." Asir legte den Kopf schief. „Klär mich doch auf."

Oh, das weißt du. Ein gewaltiger Kopf schob sich als dunkler Schatten durch den Rauch auf die Raben zu. Das, was ich erkennen konnte, sah aus wie der übergroße Kopf einer Echse. Inzwischen hatten sich viele hinter Arokin versammelt. Der Rest saß hinter Asir.

Er hat uns getäuscht, uns alle. Das Grollen brachte den Boden ein weiteres Mal zum Vibrieren. Der Rauch lichtete sich ein wenig, sank schwer zu Boden, sammelte sich dort in einer dicken Wolke. Und ihr habt ihm dabei auch noch geholfen.

Das Erste was ich sah, war ein riesiges bernsteinfarbenes Auge, das uns anstarrte. Umtanzt von dem Rauch, der sich um ihn ausbreitete. Ich erkannte die spitze Schnauze eines dunkelblauen, mit Schuppen besetzten Kopfes und spitze, gebleckte Zähne. Zwei schwarze, gedrehte Hörner ragten in die Höhe. Die Gestalt - der Gott - blickte uns von oben herab an und wandte sich uns zu. Sodass Asirs Blick genau auf das riesige Maul gerichtet war. Das mit spitzen Zähnen gespickt war, sich aber nicht bewegte, da er nur in Gedanken mit uns Kontakt aufnahm.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt