-32- Von Geschichten und Augen I

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Das Reisen durch die Welten fiel mir einfacher als zuvor und gleichzeitig war es schwieriger. Die Entfernung, die zwischen Lihambra und Nuria lag, war nicht mehr bloß ein Katzensprung. Es war ein riesiger Satz nötig, um von einer Welt zur anderen zu gelangen. Dabei hatten sie vor Kurzem noch so nah beieinander gelegen. Mein Weg führte mich durch eine lange Leere, deren Sog ich an mir spürte. Er war bei Weitem nicht so stark wie das Zerren der Macht, das ich gefühlt hatte, doch es war deutlich wahrnehmbar. Ein wenig so, als hielte ich einen Magnet in der Hand, dessen Gegenpol sich im Nichts befand.

Als ich an meinem Zielort ankam, erfüllte ein Klingeln meine Ohren und die Welt drehte sich für kurze Zeit. Wenn beides auch nach einem Blinzeln verschwand, machte es mir bewusst, wie ernst die Lage war. Wenn mich das Reisen schon so beanspruchte.

Geht es dir gut? Ich hatte Angst, die Frage zu stellen. Nur, weil ich noch mehr Angst vor einer beunruhigenden Antwort hatte.

Ja. Es ist schwer den Kurs zu halten, aber noch geht es. Asirs Stimme erreichte mich aus einer weit entfernten Welt. Nicht aus Lihambra. Wo genau er war, war egal. Er war nicht hier. Aber ihm ging es gut.

Ich beeile mich. Ein wenig beruhigter lief ich los.

Die Gegend um mich herum war mir vertraut, wenn sie auch anders aussah, als ich sie in Erinnerung hatte. Der Sand unter meinen Füßen war warm und weich, die Sonne schickte ihre Strahlen ungehindert Richtung der Welt, in der ich war. Wieder in Nuria, aber nicht in Drosk. Das hier war Karanth, die Wüste, durch die wir gereist waren.

Schnell ließ ich meinen Blick durch die Gegend schweifen. Ich sah und spürte niemanden. Der neue Teil meiner Seele hatte nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch neue Fähigkeiten mit sich gebracht. Ich spürte alle Lebewesen viel deutlicher als vorher. Fast war es überfordernd, doch ich kannte es bereits von früher. Ich musste mich nur wieder daran gewöhnen und noch waren sie nicht so laut, wie sie sein konnten. Vor allem das gespannte Ächzen der Fäden der Welten füllte meinen Geist aus.

Ich spürte den Verlust, den die Oika erlitten hatten. Unter normalen Umständen wären ihre Tümpel ganz in der Nähe gewesen, doch sie waren vergangen, ausgetrocknet, und mit ihnen das, was sie ausmachte. Das Meer konnte ich nun am Horizont erahnen und ich wusste, dass sie sich einem neuen Gewässer zugewandt hatten. Aber nicht dem Meer, es wäre zu groß für sie. Die Oika benötigten für ihr Wirken kleinere Seen oder Tümpel, deren Ufer sie ganz für sich einnehmen konnten.

Ich wusste, am Horizont befand sich das Meer, der Strand mit dem Sandsteinbogen. Und irgendwo dort im Wasser trieb die Asche der Havsropen, war auf den Grund gesunken, mit dem Strand verschmolzen.

All das wusste ich, ohne es tatsächlich zu sehen.

Vor mir ragte eine Felswand auf.

Was will Arokin hier, in dieser unscheinbaren Gegend?

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Ist Unscheinbarkeit nicht die perfekte Eigenschaft für ein Versteck? Schau dir die Felswand an. Erkennst du sie?

Ja. Ich erkannte sie nicht nur von außen, sondern auch den Geruch. Es roch schmuddelig, so, wie in einem alten, verlassenen Haus. Ich kannte diesen Geruch, genauso wie die Felsen vor mir. Das ist die Höhle, in der ich als Rabe war.

Wir waren bereits einmal so nahe an diesem Ort gewesen, als wir auf unserer Reise durch die Wüste in einer anderen Höhle übernachtet hatten. Nichts hatte ich gewusst. Nichts hatte ich erkannt.

Auch wenn sie hier in der Nähe, sogar direkt hinter der Felswand war, noch war ich nicht am Eingang angekommen. Er konnte nicht weit sein, vermutlich irgendwo hinter der Felswand versteckt. Ganz sicher. Meine Hände berührten die rauen, kantigen Felsen, die von der Sonne erwärmt wurden. Sonst nichts. Es war nichts Ungewöhnliches festzustellen.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt