Atlas 1

56 10 34
                                    

Das Land empfängt mich mit Wärme und einer eigenartigen Mischung aus Exotik und Spannung. Das liegt jedoch wohl vor allem daran, dass ich tatsächlich auf afrikanischem Boden stehe - und das erst jetzt realisiere. In Wahrheit riecht es wie an jedem Flughafen: nach Kerosin und Bremsstaub.

Hicham erwartet uns, er fährt einen modernen und ziemlich neuen Minivan, schwarz. Privattaxi, wie ich vermute. Wir verladen unser Gepäck und düsen los. Das Ziel ist in zirka sechs Stunden Entfernung, jenseits des Atlasgebirges, im Südosten der Stadt. Sechs Stunden - in Europa eine Fahrt von Zürich nach Florenz; hier mal eben rasch über den Berg.

Sehr schnell begreife ich, wie der Verkehr hier funktioniert; meine Schwester bekäme Angstzustände und Schweißausbrüche; ich schmunzle. Überall hat es Motorroller, auf einer Fahrspur bewegen sich mal zwei, mal drei Fahrzeuge nebeneinander, blinken ist Glücksache, Abstand ist bei dem Gedränge undenkbar. Und es funktioniert doch, ohne Kratzer und ohne Hupe. Beeindruckend.

Die Luft ist heiss, trocken und mit Sand, Abgasen und Staub durchsetzt. Je weiter wir uns aus der Stadt bewegen, desto ruhiger wird es auf der Straße. Wir durchqueren Dörfer. Mitten auf der Straße stehen Menschen, Hunde und Esel - doch der Verkehr brettert beinah ungebremst durch.

Am Straßenrand sehe ich immer wieder bunte Läden, Gemüsestände, Teppichhändler, Handwerksbuden und Teestuben. Leben an der Lebensader - der Verbindungsstraße über die Berge ins Landesinnere.

Vor einem Jahr haben sie die Straße ausgebaut; begradigt und verbreitert. Die steilen oder unübersichtlichen Stellen sind mit Sicherheitslinien versehen. Viele Polizeikontrollen überwachen, dass niemand überholt, wo man es nicht tun darf. Unser Fahrer erklärt mir, dass die Polizei mit einigen Lastwagenfahrern zusammenarbeite. Die schweren Fuhrwerke fahren bei Kontrollstellen absichtlich langsam, um andere Verkehrsteilnehmer zu einem verbotenen Überholmanöver zu provozieren. Das tun sie den ganzen Tag lang, jeweils hin und zurück. Die so generierten Bußgelder teilen sich die Polizisten mit den Fahrern - Leben.

Hier im Osten sind die Gebirgshänge satt grün. Es hat viele Bäume, Palmen und Eukalyptus. Einzelne Wiesen können von Schafen und Ziegen beweidet werden. Die Hirten wandern mit ihren Herden; selten sieht man Hunde. Je höher wir steigen, desto mehr erinnert mich die Landschaft an die Bergwelt in der Schweiz. Im Winter habe es hier sogar Schnee, erklärt Hicham.

Nach der Passhöhe erwartet uns eine ganz andere Landschaft. Hier sind die Flüsse ausgetrocknet. Es hat links und rechts nur noch Steine; gelb, rot, schwarz und grau - eine Landschaft, die mich an den Mond denken lässt, obwohl ich noch nie dort oben war. Hicham berichtet etwas traurig, wehmütig davon, dass das Tal noch vor wenigen Jahren auch grün gewesen sei. Nun fehle jedoch der Regen und alles sei ausgetrocknet.

Am Straßenrand sehe ich riesige Palmenhaine, alles grau und dürr. Die Pflanzen kämpfen ums Überleben, einige stehen oder liegen bereits tot da. Palmen, die selbst mitten in der Wüste Wasser finden, trocknen hier aus; es fehlt nicht nur der Regen, sondern auch das Grundwasser. Das ist in der Tat ein trauriges Bild, denn auch hier gibt es Hirten, die mit ihren Herden nach Nahrung suchen.

Gegen Abend erreichen wir Aït-Ben-Haddou, die kleine Ortschaft mit der am besten erhaltenen Kasbah (Festung, Wohnung) aus der Berberzeit. Früher war sie ein wichtiger Stützpunkt im Karawanenverkehr zwischen Timbuktu und Marrakech; die letzte Station vor dem hohen Gebirge. Heute wird die alte Siedlung, die als Welt-Kulturerbe gilt, oft als Filmkulisse verwendet.

Viele von uns kennen die Kasbah aus 'Game of Thrones', aus '007 - Der Hauch des Todes' oder aus 'Gladiator'. Wir lassen uns durch die Gassen führen, trinken Tee und genießen die Gastfreundschaft. Als Übernachtungsmöglichkeit bleiben wir in einer kleinen, aber sehr gemütlichen Herberge mit Blick auf die Kasbah.

Da noch Ramadan ist, ruft der Muezzin mehrmals in der Nacht von seinem Minarett. Heute steigt er dazu nicht mehr hoch, seine Stimme erklingt blechern aus Lautsprechern, die oben am Minarett befestigt sind. Exotik, die mich fühlen lässt, dass ich in einem mir vollkommen unbekannten Land bin. Demut, Dankbarkeit, Neugier, Vorfreude - Tiefschlaf.

 Demut, Dankbarkeit, Neugier, Vorfreude - Tiefschlaf

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Kasbah von Aït-Ben-Haddou (© Bruno Heter, 2024)

SaharaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt