Detective Jeong - Lost Traces

Episode 10

Seit zwei Tagen drückte ich mich um das Gespräch mit meinem Vater, indem ich die Ausrede nutzte – vor allem für mich selbst – ich müsste dringend bei den Befragungen anwesend sein. Dass dies keiner infrage stellte, wunderte mich nicht. Sonst war ich immer derjenige, der Befragungen durchführte. Dennoch fühlte ich mich schuldig.
Hinter der verspiegelten Glaswand hatte ich mich positioniert und beobachtete, wie Yong Gi und Jae Min ihre Unterlagen studierten. Dann wurde Mae Jung Seok, einer von Seung Jae's Freunden, in den Verhörraum gebracht. Neben mir betätigte Hyun Jae den Knopf für die Videoaufnahme.
Beide begrüßten ihn höflich und baten ihn, sich zu setzen. Es folgten paar gängige Floskeln, bis sich Jae Min den Dokumenten widmete.
>> Sie waren mit ihm am Abend weggewesen? <<
Der junge Mann nickte. Auf mich wirkte er nervös. Vermutlich hatte er bisher noch nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt.
>> Könnten Sie diesen für uns, ganz grob, rekonstruieren? <<
Egal, wie nett Jae Min fragte, die Angst im Gesicht des jungen Mannes schwand nicht. Sogar Hyun Jae fiel dies auf, der mich darauf hinwies und fragte, ob ich dachte, er verheimlichte uns etwas. Doch ich schüttelte den Kopf. Zumindest noch.
>> Beom Soo hatte uns eingesammelt und wir sind gemeinsam nach Gangnam gefahren. Es war sehr dichter Verkehr, daran erinnere ich mich noch, weil er die ganze Zeit geflucht hatte. Dann waren wir in einem Restaurant essen und im Anschluss noch beim Karaoke. <<
Gott. Nun sah er aus, als wäre ihm übel. Mit Hyun Jae wechselte ich einen Blick.
>> Ist Ihnen an Seung Jae an diesem Abend etwas aufgefallen? <<
Er zuckte die Achseln.
>> Im Gegensatz zu Yeong Jun und mir ist er eher introvertiert. Also ist- war es eigentlich normal, dass er ruhig war und weniger gesprochen hatte. Aber er war sehr müde. Beim Karaoke hatte er kaum mitgemacht und normalerweise liebt- liebte er, es zu singen. <<
Jae Min nickte.
>> Noch was? <<, fragte dieser, >> Hatte er melancholisch gewirkt oder irgendwas gesagt? <<
>> Gehen Sie von einem Suizid aus? <<
>> Wir schließen momentan nichts aus. << Ungeduldig tippelte Yong Gi mit dem Stift. Ihm dauerte es zu lange. >> Denken Sie, dass er zu dem Zeitpunkt suizidgefährdet war? <<
Der junge Mann zuckte die Achseln. Neben mir stöhnte Hyun Jae auf, guckte mich genervt an. Dass es jedem zu langsam ging, hing wahrscheinlich mit CEO Kim zusammen. Gestern Abend kam er zu uns ins Büro und meinte, er will den Fall schnell erledigt sehen.
>> Er war- einsam <<, presste Jung Seok hervor. Eilig, als spürte er Yong Gis Ungeduld. >> Zwar hatte er mal eine Beziehung- <<
>> Was ist mit der Freundin? <<, würgte Jae Min ihn ab. Über die Schulter warf er einen Blick durch die Scheibe. Suchte nach Antworten, warum wir nicht gründlich genug recherchiert hatten.
Schließlich wandte er sich dem jungen Mann wieder zu, der die Augen weit aufriss. Rosa Schlieren zeichneten sich auf dessen Wangen ab.
>> Dieses- Gespräch- Gerät nicht an die Öffentlichkeit? <<, stammelte Jung Seok.
>> Himmel, nein <<, erwiderte Yong Gi, >> Jetzt sagen Sie schon, was war passiert? <<
Bereits jetzt krampfte sich mein Magen zusammen. Irgendwie hatte ich eine böse Vorahnung, worauf das hinauslief.
>> Er- Seung Jae- Mit vierzehn hatte er uns anvertraut, dass er an Männern interessiert ist << Kurz pausierte er, um ihre Reaktion zu testen. Als Stille eintrat, fuhr er fort. >> Wir hatten ihm gesagt, dass wir voll cool damit sind und er uns auch erzählen kann, wenn er irgendwie einen Crush auf jemanden hat. Was er dann auch vor ungefähr zwei Jahren getan hatte. Einen genauen Namen hatte er nicht genannt. Meinte nur, der Typ sei von der Agency. Sie hatten sich für eine Weile gedatet, bis sein Manager davon erfahren hatte und die ganze Story nachher beim CEO gelandet war. Dann hatte er mächtigen Anschiss bekommen, weil er eigentlich einem Dating Ban unterliegt. Er war richtig verzweifelt, weil er den Typen echt gern mochte. Beom Soo hatte ihm den wundervollen Tipp gegeben, ihn zu ghosten. Ich frag mich echt, wie es dem geht, da sie fast ein halbes Jahr zusammen waren. <<
Mir wurde übel, dass ich mich setzen musste. Nun zu hören, dass ich Seung Jae etwas bedeutet hatte, schmerzte. Sehr. Insbesondere, da ich ihm nicht einfach schreiben konnte, dass ich verstand, warum er so gehandelt hatte. Womöglich war er tot. In meinem Kopf schwirrte es. So sehr, dass mir schwindlig wurde. Zum Glück saß ich schon.
>> Min Woo? <<, vernahm ich Hyun Jaes Stimme fernab. >> Alles gut? <<
Obwohl es nicht stimmte, nickte ich. Quälte mich zu einem Lächeln und erfand eine Ausrede.
Im Verhörraum herrschte Stille. Lediglich Papierrascheln. Dann räusperte sich Yong Gi.
>> Hatten Sie noch weiteren Kontakt mit Seung Jae vor seinem Verschwinden? Übers Handy? <<
Der junge Mann nickte.
>> Ich hatte ihm Reels über Instagram geschickt und am Tag seines Abflugs hatte ich ihm einen guten Flug gewünscht. <<
>> Um wie viel Uhr? <<, fragte Jae Min. >> Wenn Sie es nicht mehr genau wissen, dürfen Sie an ihrem Handy kurz nachschauen. Wir brauchen die exakte Uhrzeit. <<
Aus der Hosentasche kramte er sein Smartphone. Wischte.
>> Ah, ja, genau <<, machte Jung Seok, >> um 22:30 Uhr, die Nachricht wurde ihm nicht zugestellt. Ich hatte ihn angerufen, aber mir wurde mitgeteilt, dass der Anrufer zurzeit nicht zu erreichen ist. Im ersten Moment hatte ich mir keine Sorgen gemacht, da es öfter vorkam, dass sein kein Akku leer war. <<
Etwas wie Schuld schlich sich in seinen Ausdruck. Aber Yong Gi kommentierte nichts, notierte bloß.
>> Danke <<, erwiderte Jae Min, >> Das wär's dann fürs Erste. Halten Sie sich trotzdem bitte zu unserer Verfügung, falls wir noch Rückfragen haben. <<

Während ich mir das Verhörprotokoll durchlas, stopfte ich Gummibärchen in mich hinein. Dazu begann mein Hirn, Storys zu produzieren, wie Seung Jae verzweifelt im Bett lag und sich überlegte, mit mir Schluss zu machen. Jeden Abschnitt begann ich erneut. Doch sobald ich die erste Silbe las, verlor ich an Konzentration. Meine Gedanken trifteten zu ihm. Ich musste an meine Schulzeit denken. Wie viel Zeit ich mit Seung Jae verbracht hatte. Eigentlich hätte ich ihn unterstützen sollen, stattdessen hatte er mein Schuljahr bereichert. Gott. Ich vermisste ihn. Sein Lachen, seine Stimme. Alles an ihm.
>> Min Woo?! <<
Vor Schmerzen johlte ich auf, weil ich mir auf die Zunge biss. Verständnislos musterte mich Seo Jun. Hinter ihm stand Jae Min, der mich mit demselben Blick bedachte.
>> Wo bist du mit deinen Gedanken? <<, sagte dieser.
Beim Fall. Bei Seung Jae. Überall, nur nicht im Büro.
>> Was ist? <<, fragte ich.
Für einen Moment schloss Jae Min die Lider. Schüttelte den Kopf, als müsste er sich daran erinnern, keinen Ärger anzufangen.
>> Was hältst du von der Idee, dass wir Park Seung Jaes Ex-Partner ausfindig machen, um ihn zu befragen? <<
Mein Herzschlag beschleunigte sich aufs Doppelte, dass ich diesen bis in den Hals verspürte. Krämpfe durchzogen meinen Magen. Gut zwei Minuten reagierte ich nicht, sondern starrte beide an. Schnell. Mir musste etwas einfallen, warum dies schwachsinnig war.
>> Ich denke nicht, dass sie noch in Kontakt stehen <<, erwiderte ich. War nicht gelogen. Den einzigen Kontakt zu ihm waren seine Rom-Coms gewesen. >> Ich denke, wir konnten genug über sein Wesen durch seine Freunde erfahren. Deren Aussagen haben vermutlich sowieso eine höhere Gewichtung. Sie kennen ihn seit er zehn ist oder so? Mit seinem Ex-Partner war er nur knapp sechs Monate zusammen. Vielleicht hatten sie gar kein so inniges Verhältnis, wie sein Ex gedacht hatte, weil Seung Jae ihm das Meiste verheimlicht- <<
>> Geht's dir gut? <<, unterbrach mich Seo Jun. Ehrliche Sorge schwang in seiner Stimme. >> Du wirkst- <<
>> Ja <<, erwiderte ich, >> Prima, perfekt. Mir ging es noch nie besser. <<
Vom Stuhl drückte ich mich hoch. Öffnete währenddessen die ersten drei Knöpfe meines Hemds, rauschte an ihnen vorbei. Weiter auf Toilette. Ans Waschbecken klammerte ich mich, musterte meinen Anblick im Spiegel. Ehe ich ein Urteil über dieses abgab, wusch ich mein Gesicht mit eiskaltem Wasser. Etwas klarer fühlte ich mich, dennoch nicht in der Verfassung, um Seo Jun und Jae Min gegenüber zu treten.
Obwohl mir Hyun Jae beim Verlassen des Bads entgegenkam, ignorierte ich seine Frage. Ich wollte zu Rosie. Sie verstand mich.
In rasender Geschwindigkeit hetzte ich durch die Gänge, bis ich den forensischen Trakt und schließlich Rosies Tür erreichte. Plötzlich verging mir der Mut zu klopfen. Dass sie mich als schwach und unprofessionell abstempelte, kitzelte meinen Hinterkopf. Ungern wollte ich meine kühle Fassade verlieren.
Eine Weile haderte ich mit mir, bevor ich die Faust zum Klopfen erhob. Im selben Augenblick, als Rosie die Tür aufriss. Bepackt mit Umhängetasche und To-Go-Pappbecher.
>> Min Woo? <<
Wie sanft und besorgt sie meinen Namen aussprach, war das letzte Tröpfchen, welches das Fass zum Überlaufen brachte. Wortwörtlich. Tränen quollen aus meinen Augen. Vor Schluchzern bebte mein gesamter Körper.
Am Unterarm packte mich Rosie und zerrte mich auf einen Stuhl im Untersuchungssaal. Durch die Finger schielte ich. Erkannte, dass sie eine Packung Taschentücher aus der Schreibtischschublade kramte. Kurz vor mir kam sie zum Stehen. Hielt mir diese hin.
Ich nickte zum Dank und trocknete Augen und Wangen. Ihren lehnenlosen Drehstuhl rollte Rosie neben mich. Setzte sich drauf.
>> Was ist? <<
Unbeholfen tätschelte sie meine Schulter. Dadurch, dass sie meinen jüngeren Bruder datete, waren wir uns automatisch nähergekommen, so dass man sagen konnte, wir wären Freunde. Dennoch spürte ich immer eine gewisse Distanz zwischen uns. Vermutlich dem geschuldet, dass Min Joo mich umbringen würde, wenn er erfuhr, wir umarmten uns.
Leer starrte ich hinunter zum zerknüllten Taschentuch. Unfähig, mich zu artikulieren.
>> Seung Jae <<, würgte ich hervor. >> Du weißt ja, dass wir- <<
Bevor ich es aussprach, nickte sie.
>> Ich hab Angst, ihn tot aufzufinden <<, sagte ich. Ehe ich mich versah, weinte ich abermals. >> Ich will nicht, dass er- << Ob Rosie mich verstand, zweifelte ich stark an. >> Gott, Rosie, ich mag ihn noch immer. <<
Heulend vergrub ich das Gesicht an ihrer Schulter, während sie meinen Rücken kraulte.