Wenn ich mir nicht zu viele Gedanken darüber mache, was Kunst genau ist, dann entdecke ich hier in Marokko jede Menge Kunst. Angefangen bei den vielen Mosaiken aus kleinsten Steinchen, welche Hausfassaden und Innenräume schmücken. Bis hin zu Bildern, Teppichen, Skulpturen und Kunst im Kreisverkehr.
Aber auch die Natur macht Kunst: Da sind beispielsweise die intensiven Farben der verschiedenen Blüten zu erwähnen. Oder die Spuren der Käfer im Sand; oder die Dünenlandschaft als Ganzes - alles Kunst der Natur.
Kunst am Bau und Kunst als Handwerk werde ich im Abschnitt über Marrakech näher erwähnen. In diesem Kapitel geht es mir um die Kunstausstellungen, die wir besucht haben.
Maison de la Photographie
Das ist ein kleines Museum in Marrakech. Es widmet sich, wie viele bestimmt vermutet haben, der Fotografie. Auf den drei Etagen des Altstadtgebäudes sind in jedem Raum Fotos ausgestellt, nach Themen geordnet. Es sind Fotos aus der Kolonialzeit, als die ersten Europäer in Marokko ankamen, die mich absolut faszinieren. Ein Fotograf hat die Entdeckungsreise, die er miterlebte, mit Bildern festgehalten. Und das zu einer Zeit, bevor Marokko französisch wurde. Das sind zwar kleine Bilder, meist etwas unscharf oder vergilbt, aber unglaublich spannend.
Ich wandle durch die Räume und Flure, streife bunte Fenster oder erhasche einen Blick auf die Straße. Gleichzeitig schwebe ich auf Zeitreise durch die Jahrhunderte; ich höre die Gassen ohne Motorräder, ich höre Marktfahrer rufen, Stimmengewirr und Eselkarren. Es riecht nach Gewürzen, Früchten, Tieren, Menschen und Hitze. Ein Besuch in diesem sehr sorgfältig gepflegten Museum ist empfehlenswert. (maisondelaphotographie.ma)
Atelier Bannour
Mohamed Bannour, der berühmte Künstler aus Zagora. Er ist ein großer Mann, der sanftmütige und intelligente Mohamed. Sein Erkennungszeichen: der Hut. Er begrüßt mich, als ob wir uns schon Jahre kennten; in seinem Atelier fühle ich mich sofort wohl. Es riecht nach Farbe, es riecht nach Leinwand und zwangsläufig muss ich an meine Schwester denken. Mohamed ist Maler und Schreiber; mit Kalligrafie verbindet er sehr viel; seine Schriftzeichen sind Bilder. Mit wachem Blick und Verstand erklärt er mir seine Arbeiten.
Der Raum ist eher schmal und länglich, auf zwei Etagen angelegt; zwei Trittstufen bilden den Niveauunterschied zwischen Ausstellungsraum und Arbeitsraum. Alles ist offen, der Raum sehr hoch, damit es nicht heiß wird. Obwohl hier gearbeitet wird, ist es aufgeräumt und irgendwie kunstvoll. Mohamed wusste nicht, dass wir kommen - er hat demzufolge nicht noch rasch aufgeräumt. Er arbeitet offensichtlich sehr geordnet.
Mohamed ist ein Visionär und ein Macher. Den hinteren Teil seines Hauses will er zu einem offenen Atelier ausbauen. Ihm schwebt eine Art internationaler Treffpunkt für Künstler vor, verbunden mit einem Förderprogramm für Jugendliche. Kunst verbindet, Kunst bildet und öffnet den Verstand. Überall stehen fertige und angefangene Bilder, in allen Größen. Mohamed malt mit Ölfarbe, mit natürlichen Rohstoffen wie Sand, Erde, Holz und Leder. Wir setzen uns und führen unsere Unterhaltung bei einem Tee fort. Eines der Bilder, es hat mich gefunden und nicht umgekehrt, findet später den Weg in die Schweiz - es ist das Titelbild dieses Buches, das nun bei mir im Wohnzimmer hängt und mich täglich an die Eindrücke in Zagora und an den Künstler erinnert. (atelierbannour.com)
Jardin ANIMA
André Heller ist ein österreichischer Autor, Lyriker, Sänger und Multimediakünstler. Sehr ähnlich wie der Giardino dei Tarocchi in der Toscana, erschaffen von Niki de Saint Phalle, hat Heller hier in Marokko einen Park erschaffen mit riesigen Sklupturen, Kunst aus Pflanzen und verschiedenen Materialien. Gewachsen ist eine Welt der Sinnlichkeit, des Staunens, der Freude, der Heilung und der Inspiration.
Die Anlage ist als Park angelegt, schmale Wege führen von einem großen Kunstwerk zum anderen. Es gibt keinen Rundgang, es gibt nur Entdeckung. Manche Sackgasse sieht auf dem Rückweg ganz anders aus, weil ich meinen Blickwinkel verändern muss. Hungrig nach Farben und Formen sauge ich die Eindrücke in mich ein; speichere Bilder mit Klängen und Gerüchen.
Während ich auf den schmalen Pfaden durch den Garten schlendere, entdecke ich überall Dinge, die geformt, gemalt und konstruiert wurden. Es ist ein überwältigendes Sammelsurium von Ideen, überquellende Fantasie. Mal sind es nur ganz kleine Dinge, mal monumentale Skulpturen oder gar Bauten. Ich wähne mich im Hunderwasserhaus in Wien, dann wieder im Schlosspark bei Meran. Viel zu schnell vergeht auch hier die Zeit; es gäbe noch so vieles zu entdecken. Auch hier kann ich einen Besuch nur empfehlen. Ich könnte sehr lange in diesem Garten sitzen und mir neue Geschichten ausdenken. (anima-garden.com)
Maison de la Photographie; © Bruno Heter, 2024
Im ANIMA-Garten; © Bruno Heter, 2024
Was für Maler gilt, zählt auch für uns Autorinnen und Autoren; © Michi Wohler, 2024
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Übersetzung: "Wenn du etwas von einem Artisten kaufst, dann kaufst du hunderte Stunden der Enttäuschung und Hoffnung. Du kaufst Monate der Frustration und Momente purer Freude. Du kaufst kein Objekt, doch ein Teil des Herzens; eine Prise der Seele und einen Moment des Lebens eines anderen Menschen."
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Sahara
AdventureEin Reisebericht mit allen Sinnen. Entfliehe der Hektik unseres westlichen Alltags und tauche in ein Meer aus Sand und Einfachheit. Erfahre dabei die reinigende Wirkung des Sandes. Das Buch ist aus einzelnen Bildern zusammengesetzt; ein Mosaik aus b...