Teppich

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Was wäre ein Wüstentrip ohne einen Teppich? - Ein Hallenbadbesuch ohne Wasser. Ein Teppich musste her, so oder so. Ja, es gibt auch Männer, die gerne shoppen - ich gebe es ja zu; schon gut. Auf der Fahrt über den Atlas, auf der Rückfahrt nach Marrakech, stoppt Hisham plötzlich vor einem unscheinbaren Gebäude. Es ist eine schmucklose Industriehalle, auf deren Parkplatz einige Teppiche über der Abschrankung hängen, lieblos, wie zum Trocknen nach dem Waschgang bei 30° Woll-Programm.

Wir steigen aus. Seltsamerweise sind Gabi und Michi bereits nervös - ich bin müde. Das ändert sich, als ich die Halle betrete. Berge von Teppichen! Höher, als ich blicken kann (was nicht so schwer ist, bei meiner Körpergröße). Zehntausende von geknüpften und gewobenen Kunststücken. Wolle, Seide, Baumwolle, Kaschmir, Kamelhaar ... wow.

Ich bin kurz etwas überfordert und möchte einfach nur stundenlang durch die Halle schlendern, an den Teppichen riechen, sie fühlen und vor allem jeden einzelnen betrachten - doch ich habe keine fünf Monate Zeit, denn so lange hätte ich bestimmt, bis die ganze Halle ausgeräumt und ausgebreitet wäre. Die zwei freundlichen Verkäufer stellen mir DIE wichtige Frage: "Welche Farben magst du?"

Violett, Dunkelblau, Weinrot. Das schränkt das Angebot ein - auf zirka dreihundert Exemplare; überschaubar. Einen nach dem andern werden die Teppiche vor mich hingelegt. Ich darf barfuß darüber gehen, sie spüren, anfassen und sehen. Ich entscheide mich, dass die Art (Knüpfen oder Weben) nicht wichtig ist, sondern das Muster. Für mich eine Entscheidung, für die Verkäufer wird es schwieriger.

An dieser Stelle muss ich eine Klammer aufmachen. Diese Klammer führt mich weit zurück, in eine Zeit, als ich noch keine dreißig Jahre alt war. Damals, in der Türkei, in einem Teppichgeschäft, im Hinterzimmer. Da kaufte ich bei Tee und Gesprächen auf Türkisch einen blau-weißen Teppich, geknüpft aus Wolle. Diesen Teppich hat meine spätere Lebensgefährtin nie gemocht und ich konnte ihn in unserer gemeinsamen Wohnung nicht mehr hinlegen, obwohl ich ihn liebte. Schweren Herzens brachte ich ihn mit etwa vierzig schließlich ins Brockenhaus, damit er wenigstens anderen Menschen eine Freude machen könne. Meine Lebenspartnerin ist weitergezogen. Der Teppich ist weg, wie sie auch. Die großen Fehler des Lebens bemerkt man meist erst hinterher. Klammer zu.

Ich stehe also da, mit dem Bild eines türkischen Teppichs im Kopf und muss mich für etwas ganz anderes entscheiden, mich auf etwas anderes einlassen. In solchen Momenten gebe ich die Verantwortung für mein Handeln ab. "Kopf - halt die Klappe! Herz - an die Arbeit!" Minuten später stehe ich auf einem dunkelrot, violetten Teppich, gewoben und nicht geknüpft. Nicht ich habe den Teppich ausgesucht - er hat mich gefunden. Dieser ist es. Die zehntausend anderen, die können noch warten. Ich komme ja wieder, irgendwann. Dann werde ich sehr viel Zeit mitnehmen, alles ansehen. Zudem konnte ich, weil mit dem Flugzeug unterwegs, keine drei oder vier Teppiche kaufen. Nächstes Mal werde ich im Wohnmobil herkommen; mit deutlich mehr Platz und keiner Gewichtslimite - na ja, fast keiner.

Mein Teppich ist nicht rechteckig, unregelmässig, schräg - er passt super zu mir ... Die Muster sind einfach und traditionell - und er ist mehr rot als violett. Die Weberin ist eine Nomadenfrau, welche nur wenige Teppiche im Jahr herstellen kann. Sie heißt Fatima und stammt aus einem kleinen Ort im Atlasgebirge. Die unscheinbare Halle ist eine Kooperative für unabhängige Weberinnen und Knüpferinnen. Der Gewinn geht an die Frauen, welche die Teppiche hergestellt haben. Einmal mehr bin ich an einem Ort gelandet, wo ich mit meinen Einkäufen direkt das einheimische Handwerk unterstützen kann. Das ist sehr schön.

Wie ich meinen Teppich in mein Fluggepäck kriegen werde, das weiß ich noch nicht. Das Erlebnis Teppich kaufen endet - wie immer - mit einem Tee und der Diskussion über den Preis. Der erstgenannte Preis ist immer für Touristen gedacht. Ich bin zwar ein solcher, aber ich bin auch nicht bereit, jeden Preis zu bezahlen. Ich überlege mir, was der Teppich mir wert ist und ich diskutiere mit den beiden Händlern, bis wir in der Region meiner Preisvorstellung angelangen. Das ist eine Zeremonie, eine verlorengegangene Kunst in Europa. Wir Europäer blicken aufs Preisschild und ärgern uns über die gedruckten Zahlen, anstatt dass wir über die Ware und ihren Wert nachdenken - und ich spreche nicht nur vom materiellen Wert, sondern vom ganzheitlichen Wert. Auf der Suche nach billigen Schnäppchen geht in Europa der Wert, wie er im Wort 'Wertschätzung' vorkommt, verloren. ich lerne wieder eine Lektion des Lebens und bin dankbar dafür. Geiz ist nicht geil.

Am liebsten wäre ich für den Rest der Reise nach Marrakech auf meinem Teppich hinter dem Luxustaxi von Hisham hinterhergeflogen, doch das funktionierte seltsamerweise nicht. Zuhause wird der Teppich dann entrollt und an seinen neuen Ort hingelegt, bei mir im Wohnzimmer, direkt vor dem Bild, das hier als Titelbild dient. Mein Wohnzimmer ist seither eine kleine Oase, die mich immer wieder an Marokko erinnert, mich in Gedanken wieder in die Wüste trägt. Damit ist bewiesen, dass Teppichflüge existieren.

 Damit ist bewiesen, dass Teppichflüge existieren

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Von Teppichen erschlagen; © Bruno Heter, 2024

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