Ecole des Nomades

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Was ist Schule? Macht es Sinn, sich vom Leben abzukoppeln, sich in einen Raum zu setzen und lustlos von einer wenig motivierten Person zu erfahren, was das Leben sei, während es draußen vorüberzieht? Wäre es nicht viel sinnvoller, das Leben zu erfahren und von den älteren Menschen Antworten auf offene Fragen zu bekommen? Gefährliche Frage für jemanden wie mich ...

Dazu stellt sich eine zweite Frage, nämlich jene nach dem Lerninhalt. Was soll ich in der Schule lernen? Muss ich echt alle Hauptstädte Europas aufzählen können, wenn ich mich anhand der Sterne orientieren kann? Muss ich den Satz des Pythagoras erklären können oder wissen, wie schnell meine Ziege unten aufschlägt, wenn sie über die Felskante stolpert? Oder reicht es vielleicht aus, zu wissen, wie ich Wasser finde und welche Pflanzen genießbar sind oder heilen können?

In unseren Breitengraden hat sich die Schule längst einen Platz in der Gesellschaft erobert; sie hat sich wichtig gemacht, ist nicht mehr wegzudenken. Dass die dabei bloß ein Rädchen der kapitalistischen Weltanschauung darstellt, wird oft vergessen. Auf der ganzen Welt habe ich Menschen kennengelernt, die nach anderen Grundlagen leben, als wir Kapitalisten es kennen. Immer habe ich ihnen mit großem Interesse zugehört, um mir aus allen Puzzlesteinen mein eigenes Mosaik zu legen.

Zuerst erahne ich im Sandsturm bloß einen kleinen, seltsam rechtwinklig geformten Umriss. Näher kommend erkenne ich, dass es sich um ein Gebäude, oder besser gesagt, um einen Gebäudekomplex handelt. Ein Schild weist darauf hin, dass die drei quaderförmigen Lehmhütten die Ecole des Nomades darstellen; eine Schule mitten in der Wüste.

Hierhin kommen jene Kinder, die gerade Zeit für Schule haben; meist sind es Knaben, sehr selten Mädchen. Doch im Moment sind die Knaben mit den Herden unterwegs und die Lehrer entweder krank oder auch unterwegs; somit ist die Schule geschlossen. Die Bänke und der Fußboden sind mit Sand belegt. Bevor hier wieder unterrichtet werden kann, wird jemand tüchtig wischen müssen.

Die Kinder kommen gerne zur Schule. Sie nehmen weite und beschwerliche Wege in Kauf, damit sie den Unterricht besuchen können. Die Kinder sind wissbegierig und wollen lernen, zeigen Freude an ihren Fortschritten. An dieser Stelle darf ich erwähnen, dass es auch anderswo sehr viele Kinder gibt, welche die Schule gerne besuchen - auch bei uns.

Während bei uns jede erdenkliche Technologie für einen digitalen und abwechslungsreichen Unterricht in sämtlichen Schulzimmern steht, gibt es hier nichts davon. Es sind einfache Tische, welche in den Räumen stehen; solche kenne ich aus der eigenen Studentenzeit an der Uni in Südfrankreich. Eine Wandtafel gibt es, das ist dann auch schon alles. Anhand der Zeichnungen an einer Tafel kann ich erkennen, dass diese Schüler offenbar erfahren haben, wie ein Baum das Wasser sucht und aufzieht. Ich würde sehr gerne etwas mehr über den Unterricht erfahren, vielleicht gar einmal hier sein, wenn die Kinder unterrichtet werden.

Von Baziz und Gabi lerne ich, dass es auch an anderen Stellen in der Sahara solche Schulen gibt. Unterricht findet jeweils dann statt, wenn Kinder in der Nähe sind. Nomaden ziehen weiter; sie haben keine Möglichkeit, einen geregelten Unterricht über Jahre hinweg zu besuchen. Also passt sich die Schule an und zieht irgendwie mit ihnen. Das finde ich einen hübschen Gedanken.

Kommen wir zurück zum Schulstoff. Was muss ich lernen, wenn ich in der modernen Welt bestehen will? Ich muss zuallererst lesen und schreiben können. Die Orientierung anhand der Sonne oder der Sterne ist eine Sache, doch sich anhand von Schildern und Schrifttafeln zurechtzufinden eine ganz andere. Die jungen Menschen müssen eine Sprache lernen, die man in den Städten verstehen kann; Berbersprache, Arabisch oder Französisch. Diese Schriftzeichen müssen sie ebenfalls lernen.

Weiter ist es hilfreich, wenn sie etwas elementare Mathematik verstehen und anwenden können. Sie sollten sich mit dem Zahlensystem auskennen und einfache Rechnungen ausführen können. Wenn Jugendliche sich eine andere Zukunft als das Nomadenleben wünschen, dann müssen sie regelmässig zur Schule gehen können. Es gibt keinen anderen Weg. Nur wer die Grundlagen von Allgemeinbildung kennt, hat die Möglichkeit eine Ausbildung und einen Abschluss zu machen.

Viele junge Nomaden arbeiten heute in der Stadt. Sie fahren Taxi, sie arbeiten im Gastgewerbe oder in der Hotellerie. In der Tourismusbranche können sie als Touristenführer oder in Reiseagenturen arbeiten. Sobald sie jedoch einen höheren Beruf erlernen möchten, brauchen sie Schulzeugnisse - und genau da wird die Ecole des Nomades wieder wichtig. Das Nomadengeschäft wird ständig weniger. Es bleibt den Kindern nur der Weg, über die Schule eine Ausbildung zu erlangen.

Zudem ist es auch für die Nomaden selbst von großem Nutzen, wenn sie gebildete Vertreter in Politik und Verwaltung haben, damit sie für die Erhaltung ihrer Kultur und für den Umweltschutz einstehen können. Die Sahara wächst. Um im Kampf gegen die fortschreitende Desertifikation eine Chance zu haben, brauchen die Länder der Sahara gut ausgebildete Menschen, die in der Region zuhause sind.

 Um im Kampf gegen die fortschreitende Desertifikation eine Chance zu haben, brauchen die Länder der Sahara gut ausgebildete Menschen, die in der Region zuhause sind

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Klassenzimmer in der Ecole des Nomades; © Bruno Heter, 2024

Klassenzimmer in der Ecole des Nomades; © Bruno Heter, 2024

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Eine Schule mitten in der Wüste; © Bruno Heter, 2024

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