Temperaturschock

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Ja, das sind die Beatles. Aber sie gehen. Und das müssen wir nun auch. Leider. Den letzten Tag genießen wir nochmals so richtig. Wir schlendern durch Marrakech. Wir genießen die Hitze, wir genießen die Leichtigkeit und wir genießen das Sein.

Die ganze Reise hat nur zehn Tage gedauert. Für mich fühlt es sich wie ein halbes Leben an. So viele Eindrücke, so viele neue Dinge, so viel Leben. Keiner der zehn Tage war kalt oder langweilig. Immer konnte ich mich wohlfühlen; die kühlen Tage wiesen Temperaturen um die fünfundzwanzig Grad aus - Tage mit Pullover oder Jacke. Mein Klima.

Bei herrlich angenehmen 35° begeben wir uns am letzten Tag zum Flughafen. Dort werde ich Zeuge der menschlichen Arroganz und Ungeduld; des Verhaltens von "Besser-Menschen" gegenüber "Nieder-Menschen". Was sie alle vereint: Sie haben alle Easy-Jet gebucht; ich bin glücklich darüber, das nicht getan zu haben.

In rund zehn Minuten habe ich meinen Boarding-Pass (Edelweiss), das Gepäck ist aufgegeben und ich könnte entspannt in Richtung Zoll marschieren. Das Hafen-Kino, das sich mir an den orangen Schaltern bietet, hält mich auf - und auch der Umstand, dass ich auf unsere Reiseleiterin warten will. Unsere Freundin hat leider ein Ticket der Billig-Airline; und sie bereut es bitter.

Vor den etwa sieben offenen Easy-Jet Check-in Schaltern stauen sich hunderte Passagiere. Sie alle wollen die ersten sein. Jeder sieht einen Grund, an den anderen vorbeiziehen zu dürfen und als erster bedient zu werden. Viele Männer schieben ihre Frauen und vor allem ihre Kinder vor, verlangen bevorzugt behandelt zu werden. Kurzzeitig kommt es gar zur Prügelei und die Security muss eingreifen. Immer wieder drängen, vor allem junge, Passagiere vor und stellen sich in einer Selbstverständlichkeit vor die Schlange, was verständlicherweise bei den Wartenden Unverständnis und Wut auslöst. Je schicker und teurer die Kleidung der Drängler, desto arroganter ihr Verhalten. Wie gesagt: Hafenkino vom Feinsten - fehlt nur das Popcorn.

Nach geschlagenen neunzig Minuten (Italien hätte in dieser Zeit gegen die Schweiz 2:0 verloren) ist es endlich soweit: unsere Freundin hat ihren Boarding-Pass. Am Zoll dann folgt das gleiche Spiel wieder. Viele Passagiere der Orangen verpassen ihren Flug, was zusätzlichen Ärger auslöst. Eigentlich müsste man doch denken, dass die Menschen, die das Land verlassen wollen, schneller durch den Zoll seien, als jene, die einreisen - nicht so in Marokko. Da dauert alles sehr lange, wird geprüft und gegengeprüft. Ich werde gefragt, weshalb ich ausreisen will - ehrlich gesagt: ich weiß es nicht.

Dann ist der Moment da. Wir verabschieden uns von Gabi. Michi und ich besteigen die Edelweiss-Maschine nach Zürich, Gabi die orange nach Genf. Es war nicht nur eine Reise - es war ein Erlebnis, eine Reinigung, ein Wandel. Eines weiß ich sicher: Ich werde wieder nach Marokko zurückkommen. Ich muss mehr davon haben, ganz bestimmt. Zudem will ich das Land und die Wüste auch mit meinen Freunden erleben, die zu Beginn kurzfristig abgesagt haben.

Etwas wehmütig blicke ich auf die kleiner werdende Landschaft hinunter, als unsere Maschine an Höhe gewinnt. Dann folgt ein Flug, der halt auch ein Flug ist. Schon kurz nach dem Start hat unser Pilot sehr subtil, gefühlvoll, darauf hingewiesen, dass das Wetter in Zürich eventuell etwas weniger gut sein könnte, als hier in Marokko.

Regen und 5°C (in Worten: fünf!!!) - vereinzelt Schneefall! - Im Mai!

Innerlich schreie ich lauter als die zwei Pfaue im Safran-Paradies. Ich spiele kurzzeitig mit dem Gedanken, meinen Teppich zu nehmen und sofort umzukehren, auszusteigen und wieder zurückzufliegen. Die Schweiz zeigt sich einmal mehr von ihrer ehrlichsten Seite: Der feuchte Kühlschrank Europas!

Wenn ich eines gelernt habe, dann das: Ich wohne im falschen Land. Temperaturen unter zwanzig Grad sind nicht für mich erfunden worden. Bruno Heter wird mittel- oder langfristig an einem wärmeren Ort wohnen. Selbst heute, am 2. Juli, steigt das Thermometer nicht über 17°, der Himmel ist grau und weint immer mal wieder. Temperaturschock; denn in Zagora sind es momentan sonnige 44° - also herrlich warm.

In meinem Kopf und in meinem Körper trage ich die Wärme Marokkos mit mir. Es ist nicht nur die Temperatur, die nachwirkt. Es ist auch die menschliche Wärme, die ich erfahren und kennenlernen durfte. So viel Menschlichkeit, so viel Offenheit und so viel Einfachheit. Ich bin erschlagen von dem, was ich habe lernen dürfen. Gleichzeitig freue ich mich aber auch darauf, diese Erfahrungen mit meinen Schülerinnen und Schülern zu teilen - und mit euch, meine lieben Leserinnen und Leser.

Nun fehlt nur noch das Nachwort - ein Klick, und ihr seid da. Ganz ohne Temperaturschock.


Marrakech, 35°, sonnig; © Bruno Heter, 2024

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Marrakech, 35°, sonnig; © Bruno Heter, 2024

Zürich, 5° bei Schneefall; © Michi Wohler, 2024

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Zürich, 5° bei Schneefall; © Michi Wohler, 2024


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