XIV

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Ich schlafe schlecht und vor allem wenig. Ich sperre auch meine Schlafzimmertüre ab und bin am Morgen zuerst verwirrt, weil sie sich nicht öffnen lässt. Dann bricht Panik aus, ehe ich mich erinnere, dass ich ja abgeschlossen habe.

Mein Herz flattert ungesund und mit ihm meine Hände. Ich bin müde und muss nach der Hälfte der Strecke von meinem Rad steigen. Ich schiebe es nach Sankt Walborrow, weil ich keinen Unfall bauen will. Deshalb komme ich zu spät zu meiner Schicht und entschuldige mich bei meiner Chefin. Sie winkt ab und merkt an, dass ich vielleicht doch ein Smartphone kaufen soll.

Nagi hat heute frei und schläft sicher aus. Vielleicht trifft sie sich auch mit ihrem Buchklub, so genau weiß ich das nicht. So genau reden wir nicht über unser Privatleben.

Um drei sehe ich Julians Van vor dem Café halten. Er schüttelt seine Mütze draußen aus und kommt dann herein. Er bestellt einen Kaffee bei mir und setzt sich ins hintere Eck, um auf mich zu warten. Ich lächle ihm dankbar zu und er erwidert es.

Meine Chefin sieht Julian und lässt mich früher gehen. Ich lehne aber dankend ab. Je länger ich hier bin, desto kürzer bin ich zuhause und ich denke wieder über Julians Ratschlag nach. Das Haus für eine Weile verlassen. Aber ich kann nirgendwo hin.

Britty wünscht mir viel Spaß und zwinkert mir kokett zu. Ich lasse die Anspielung unkommentiert und sammle meine Sachen zusammen. Julian grüßt mich und hilft mir dabei, mein Fahrrad in seinen Van zu schieben. Auf der Autofahrt sprechen wir wenig. Julian fragt mich nach meinem Tag und ich bringe nur ein würgendes Lachen hervor. Ich frage nach seinem und er hebt die Schultern. Dann schweigen wir für die sechs Minuten. Es ist angenehm, in der warmen Fahrerkabine zu sitzen. Beinahe döse ich ein, aber dann sind wir auch schon da und ich rutsche wieder an meine Sesselkante.

Julian wirft mir einen Seitenblick zu. Er ist nicht ganz so bohrend wie jene, die ich von Nagi bekomme, aber ich erkenne auch so, was er denkt. Ich bin ein wenig verrückt, das kann ich nicht abstreiten.

Er hebt mein Rad aus dem Van und holt dann seine Werkzeugkiste hervor. Wir sprechen auch jetzt nicht viel. Julian fragt mich noch einmal, an welchen Türen ich die Schlösser haben will, und ich sage an allen.

»Auch im Badezimmer?«, fragt er dann und hebt eine Augenbraue.

»Und an sämtlichen Fenstern. Vielleicht auch am Postkasten.«

Julians Mund verzieht sich unter seinem dunklen, gestutzten Bart zu einem amüsierten Grinsen.

Oh, Kari. Du hast die Türe aufgemacht. Mein Lächeln erlischt und ich greife in die Jackentasche. »Vielleicht säge ich den Postkasten gleich um.«

Julian lacht in sich hinein und schiebt seine Mütze nach hinten. »Dann bekommst du Probleme mit den Behörden.«

Ich hebe die Schultern und weise ihm den Weg ins Haus. Während Julian arbeitet, koche ich Tee. Alles wird jetzt besser. Ich weiß es. Ich bringe ihm eine Tasse und schaue ihm eine Weile zu. Das sind gute Schlösser. Mein Haus hat zum Glück nur vier Fenster. Klopft es deswegen vier Mal? Nein. Ich trinke meinen Tee und ziehe Gerdas Zettel aus der Tasche.

Dann setze ich mich in die Küche und rufe an. Es läutet lange. Sehr lange. Ich schenke mir noch einen Tee ein und höre anschließend, dass die Mailbox anspringt. Demnach ist die Nummer zumindest noch in Gebrauch. Ich spreche meine Nachricht nach dem Signalton. Meine Telefonnummer zuerst, dann mein Anliegen. Ich bin erstaunlich ruhig dabei, zu schildern, was Gerda mir gesagt hat. Ich bitte um einen Rückruf. Dann lege ich auf.

»War das Gerdas Freund?« Julians Stimme klingt aus dem Flur, beim Hinterausgang. Er hat jetzt die Eingangstüre und die Fenster alle verstärkt.

»Ja. Aber es war nur die Mailbox.«

»Meinst du, er ruft zurück?«

Ich überlege still, bis Julian zu mir in die Wohnküche kommt. »Ich denke nicht. Wenn Gerda sagt, er hat damit abgeschlossen, dann wird er wohl nicht zurückkommen.«

Julian sagt nichts darauf und fragt stattdessen: »Wieso hast du dir erst jetzt das mit den Schlössern überlegt?«

Ich schlucke und reiche ihm wortlos den Brief von letztem Sonntag. Julian liest ihn und dreht dann wie ich das Blatt um. Seine Augenbrauen wandern in die Höhe und er nimmt einen langen Schluck von seinem Tee.

»Du hast aufgemacht?«

»Die Hintertüre, weil ein Marder meinen Schuppen durchwühlt hat.«

»Das war am Sonntag.«

Ich nicke.

»Klingt so, als wäre das jetzt ohnehin egal.«

»Besten Dank auch«, sage ich matt und reibe mir die müden Augen. Ich erzähle ihm, was mit Nagi vorgefallen ist. Dass ich sie durch den Spion nicht gesehen habe, durchs Fenster aber schon.

Auch jetzt sagt Julian nichts, sondern hört einfach zu. Gerade will er antworten, da schrillt mein Telefon an der Wand und ich zucke so heftig zusammen, dass ich meinen Tee verschütte. Ich fluche leise und springe zum Telefon hinüber. Hebe ab.

»Hallo?«, frage ich atemlos und stelle die Teetasse neben das Waschbecken.

»Hören Sie mir gut zu.« Ich halte die Luft an und wechsle einen Blick mit Julian, der mich nur entgeistert anstarrt. »Die Briefe wissen ganz genau, wer Sie sind. Sie wissen alles über Sie. Geben Sie sich nicht der Illusion hin, dass eine Alternative zu vorwärts existiert.«

»Also muss ich hinaus gehen?«

Kurz ist es still am anderen Ende der Leitung. Dann räuspert sich der Mann. »Gehen Sie wohin sie müssen. Sie können dem nicht davonlaufen. So viel steht fest.«

Mir wird eiskalt bei seinen Worten. Ich laufe nicht davon und trotzdem rührt dieses eine Wort wie ein Messer aus Eis in meiner Brust. »Wie haben Sie es denn bezwungen?«

Wieder herrscht Stille, dann knistert es und die Verbindung schwankt. »Dass es kein Entkommen gibt, verstehe ich erst seit kurzem«, liefert der Mann eine Erklärung, die zu dem Slushie in meiner Brust noch eine Prise bittere Galle hinzufügt.

»Dann werden Sie immer noch verfolgt?«

Julian wirft mir einen sorgenvollen Blick zu, den ich nicht erwidern kann. Stattdessen beobachte ich ihn, wie er den verschütteten Tee aufwischt. »Bekommen Sie immer noch welche? Briefe?«

»Ja«, antwortet Gerdas Freund und ich spüre, wie sich mein Hals zuschnürt. »Ich habe lange versucht, davonzulaufen. Aber die Briefe kommen immer wieder. Sie finden Sie. Sie können verschwinden, wenn Sie das Haus nervös macht.«

»Aber wohin?«, krächze ich und komme mir wieder so verloren vor, wie nachdem mein Vater gestorben ist. Geflüchtet.

»Keine Ahnung. Nehmen Sie sich ein Boot und lassen Sie sämtliche Adressen und Türen hinter sich. Verbrennen Sie Ihre Kalender und schwören Sie dem Christentum ab. Der Sonntag ist nur ein besonderer Tag, weil Sie ihn zu einem besonderen Tag machen. Oder verpflichten Sie Ihr Leben dem lieben Gott, wenn Ihnen das hilft. Nur Sie können entscheiden, wie es jetzt weiter geht. Bitte rufen Sie mich nicht noch einmal an. Ich brauche meine wenigen Minuten für wichtige Gespräche. Viel Glück.«

»Danke«, sage ich hohl und dann ertönt das Leersignal an meinem Ohr. Es rauscht unerträglich laut in meinem Kopf und ich hänge den Hörer zurück auf die Gabel.

Ich stehe stumm in meiner Wohnküche und starre auf den Brief zwischen Julian und mir. Ich will nicht weglaufen. Nicht schon wieder. Aber hier bleiben kann ich auch nicht. Ich bin unschlüssig und gelähmt, bis Julian sagt, dass er nach Hause fahren muss.

Ich nicke und erwähne das mit dem Boot scherzhalber. Julian lacht nicht, sondern runzelt nur die Stirn. So blöd klingt das nicht, auch, wenn es ziemlich blöd klingt.

Trotz des beunruhigenden Telefonats fühle ich mich mit den Balkenschlössern einigermaßen wohl. Ich verriegle sie alle und esse zu Abend. Ich möchte noch weiter sticken, aber die Müdigkeit frisst sich langsam durch meinen Verstand. Also gehe ich ins Bett und stelle sicher, dass meine Holzfälleraxt in Griffweite liegt.


[Novelle] Karis Brief 🗸Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt