Die Nacht war viel zu kurz gewesen, aber Matthias war so vollgepumpt mit Adrenalin, dass er gar nicht müde war. Immerhin war heute sein letzter Arbeitstag bei der Caritas, für die er die letzten Jahre gearbeitet hatte. So richtig begreifen konnte er es nicht, wahrscheinlich wurde ihm erst so richtig bewusst, was das alles bedeutete, wenn er am Montag einfach zu Hause blieb, anstatt zur Arbeit zu fahren.
Gerade stieg er aus seinem Auto, das er auf seinem üblichen Parkplatz abgestellt hatte. Schon von Weitem erkannte er seine Chefin Franziska, die wie immer ein Kostüm trug. Allerdings hatte sie ihre Jacke ausgezogen und er erkannte eine pinkfarbene Bluse, die sie darunter trug. Auch wenn Franziska oft streng gewesen war, würde er sie vermissen.
Sie befestigte gerade einen Zettel an der Innenseite der Eingangstür, auf dem mit ziemlicher Sicherheit zu lesen war, dass diese Zweigstelle ab Montag geschlossen sein würde.
Matthias hob die Hand, als sie gerade zu ihm herübersah und zu seiner Überraschung erwiderte sie lächelnd den Gruß. Vermutlich war es auch für sie eine große Umstellung, immerhin war sie hier schon sehr viel länger beschäftigt als er selbst. Er ging die letzten Schritte bis zur Eingangstür, welche ihm von Franziska geöffnet wurde.
„Guten Morgen", begrüßte sie ihn. Er erwiderte den Gruß, bedankte sich mit einem Nicken für das Aufhalten der Tür und betrat das Gebäude. Abrupt blieb er stehen, denn anstatt dem üblichen, recht ausladenden und kargen Eingangsbereich fand er jede Menge Dekorationen und einen langen Tisch mit einem Frühstücksbuffet darauf. Er wandte sich zu Franziska um, die mit in die Hüften gestemmten Armen näher auf ihn zukam.
„Ich dachte mir, es gibt heute als Abschluss eine kleine Überraschung. Nicht nur für uns, sondern auch für die Betreuten", erklärte sie und machte eine ausladende Geste über den reichlich gedeckten Tisch. Allerlei Brötchen, Croissants, gekochte Eier, Aufschnitt und frisches Obst waren darauf angerichtet und obwohl Matthias erst vor einer halben Stunde gefrühstückt hatte, lief ihm das Wasser im Mund zusammen.
„Wow, das hast du ganz allein gemacht?", fragte er, doch genau in diesem Moment erschienen in seinem Augenwinkel zwei Gestalten, die hinter dem Tresen hervorkamen. Diana und Louisa grinsten sich an und ihm wurde klar, dass er der Einzige war, der nicht mitgeholfen hatte. Verlegen fasste er sich mit der Hand an den Hinterkopf und spürte das kleine Haargummi mit dem Einhorn daran, das sein Haar zusammenhielt, damit es ihm nicht ins Gesicht fiel.
„Wie üblich bist du zu spät, aber das macht nichts. Du kannst aufräumen", grinste Louisa, ein kleines, zierliches Mädchen mit blonden Locken. Sie und Diana waren inzwischen bei ihm und Franziska angelangt und betrachteten ziemlich zufrieden ihr Buffet.
„Abgemacht", sagte Matthias ohne zu zögern, denn komischerweise überkam ihn die Vorahnung, dass er heute Nachmittag gar nicht gehen wollen würde. Immerhin hatte er ziemlich viele Stunden seines Lebens verbracht und auch wenn es sicherlich nicht auf viele Menschen zutraf, ging er gern zur Arbeit.
„Wir sollten noch ein wenig die Akten sortieren, damit sie in die anderen Liegenschaften transportiert werden können und nicht in einem heillosen Durcheinander dort ankommen", sagte Franziska und auch wenn das eine mühsame Arbeit war, erschien ihm das sinnvoll.
Er salutierte, riss den Blick von den verlockend duftenden Croissants und ging in Richtung des Tresens. Die anderen folgten ihm und begaben sich an ihre angestammten Plätze. Matthias ließ seine Tasche unter dem Tisch verschwinden und ließ sich mit einem Seufzen auf dem Drehstuhl nieder. Er zog die Füße an und drehte sich von dem Schwung einmal um sich selbst, was Diana leise kichern ließ.
„Man mag es kaum glauben, aber ich werde unser kleines Grüppchen vermissen", sagte sie und Matthias hörte, wie Louisa ihr sofort beipflichtete.
„Was haltet ihr davon, wenn wir uns mal zum Essen treffen?", schlug Diana vor und als Matthias sie ansah, lächelte sie unsicher. In ihren Augen schwammen kleine Tränen, die ihn leise glucksen ließen.
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Slice of Life - L'Affaire
RandomJonas ist vollkommen gestresst von der Arbeit, worunter nicht nur er leidet, sondern auch sein langjähriger Freund Matthias und dessen Tochter Aaliyah. Bei all dem Stress kommt das bevorstehende Wochenende in Frankreich ganz recht. Ein alter Schulfr...