»Was um alles in der Welt-«
»Zander!«
»Julian, Zander ist nicht hier!«
»Das sehe ich. Such vor dem Haus, ich gehe den Wald ab.«
»Die Tür ist offen. Schon lange. Offen. Julian. Es hat geschneit!«
Durch die Sommerwärme dringen Stimmen von ganz fern und doch näher, als ich es erwartet habe. Ich bin stundenlang durch das Nichts marschiert und sollte längst auf einem anderen Planeten liegen. Aber ich höre Nagis Schritte und ihren hektischen, aufgewühlten Atem. Es knirscht und knistert unter ihren Stiefeln und das sanfte Zwitschern des Zaunkönigs löst sich in verzweifeltes Schluchzen auf.
Es rüttelte mich wach, schüttelt den warmen Stupor von mir und zieht mich mit einem Schrecken aus den Träumen. Nagi darf nicht weinen. Nicht meinetwegen, nicht schon wieder.
Ihre Schritte drehen nach links ab, ich weiß gar nicht, wo ich liege, aber in den süßen Pollenduft mischt sich harziger Schnee und leicht modriger, gefrorener Schlamm. Kaltes Metall, das meine Hände umgibt.
»Die Axt ist weg«, ertönt es von weit, weit her.
Ich nicke, zumindest in Gedanken, ich weiß nicht, ob sich mein Nacken bewegt. Natürlich ist die Axt weg, sie ist bei mir, zumindest ist sie es gewesen.
»Oh, Kari«, würgt Nagi zwischen dem Schilf hervor, schiebt und zerrt an den dicken Halmen und stolpert über ihre Füße. Mitten auf mich drauf.
Ich öffne durch den Schreck die Augen und stoße ein leises »Uff« aus.
»Oh mein gott, Kari!«
Ich sehe Nagis tränenüberströmtes Gesicht verschwommen aus den Augenwinkeln. Dann packt sie mich an der Schulter und dreht meinen zur Seite gestürzten Körper auf den Rücken. »Julian!«, brüllt sie aus Lungen, die auf einmal wieder kräftig und ungetrübt ihrer Tränen Luft pumpen. »Julian, Kari ist hier!«
Ich blinzle sie träge an. »Nagi.«
»Ja!«, schreit sie mich an, die Aufregung entreißt ihr die Kontrolle über ihre Stimme. »Ich bin hier, wir haben dich gefunden. Alles wird gut. Bist du bei mir? Bist du wach?«
Ich versuche zu nicken und dieses Mal klappt es.
Sie klopft energisch den frisch gefallenen Schnee von mir herunter und erblickt meine Hände. Ihr entkommt ein spitzer Schrei. Sie sind immer noch voller Blut, zerschnitten und aufgeschürft und bluten, bluten, bluten.
»Julian!«
»Der Krankenwagen ist unterwegs.«
Ich schlafe ein, obwohl Nagi mich anbrüllt, dass ich bei ihr bleiben soll. Aber es geht nicht. Wieder falle ich durch Schwerelosigkeit und dann zurück auf die Erde.
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[Novelle] Karis Brief 🗸
General Fiction»Wovor bist du dann davongelaufen?« Die Frage trifft mich mit sanftem Atem mitten ins Gesicht. Ich bin nicht davongelaufen, will ich sagen, kann es aber nicht. Ich denke an das leere Apartment meines Vaters, an die Stille und die Einsamkeit zwischen...