Kapitel 3.3

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~Seth


Die Adresse, die Phil mir geschickt hatte, lag mit der Bahn ungefähr eine halbe Stunde entfernt von Epsom, in einem Londoner Vorort namens Morden. Ich wusste immer noch nicht, warum ich dem ganzen Bandkram zugestimmt hatte, aber nun stand ich hier, vor diesem Gebäude und kämpfte gegen das Bedürfnis, einfach wieder umzudrehen und davonzufahren. Weit weg von London, der St Victoria Academy, Inferno und... diesem neuen Leben, das ich mir gerade irgendwie aufbaute.

Ich holte tief Luft, dann straffte ich die Schultern und wollte gerade die Klingel betätigen, als die Tür geöffnet wurde. Perplex starrte ich in ein braunes Augenpaar.

,,Hi. Ich dachte schon, du willst gar nicht mehr reinkommen", begrüßte Phil mich fröhlich.

,,Hey", erwiderte ich. Ich unterließ es zu Fragen, ob an der Tür eine Kamera installiert war, die aufgezeichnet hatte, wie ich minutenlang vor mich hingestarrt hatte.

,,Schön, dass es noch so spontan geklappt hat", sagte Phil, während er mir die Tür aufhielt.

,,John wird mir das nie verzeihen." Ich folgte ihm in ein Treppenhaus, in dem Phil auf die nach unten führende Treppe zusteuerte.

,,John?" Phil sah mich fragend an.

,,Meine Adoptivente", antwortete ich.

Er sah reichlich irritiert aus, hakte aber nicht weiter nach. ,,Die anderen freuen sich riesig, dass ich dich bequatscht habe, hier mitzumachen." Er ging die ersten Treppenstufen nach unten und ich folgte ihm.

,,Darin bist du wirklich gut", murmelte ich.

Er drehte den Kopf in meine Richtung und lächelte verlegen. Wir gingen die Treppe herunter und landeten in einem dunklen Flur, an dessen Wänden verschiedene Bandposter hingen. Mit schnellen Schritten ging Phil vor und mir fiel auf, dass er heute keinen Mantel trug. Innerhalb von Gebäuden schien ihm das doch zu warm zu sein. Angespannt ballte ich die Hände zu Fäusten, während Phil die Tür am Ende des Ganges öffnete und sie mir aufhielt. ,,Immer hinein, durch das Tor der Hölle", bemerkte er grinsend, während ich mich aufrichtete und durch die Tür ging. Was ich sah, kam meiner Vorstellung von dem Proberaum einer Metal - Band recht nahe. Die Wände waren schwarz gestrichen und mit Postern, Bildern und Stickern zugeklebt. Auf der Wand zu meiner linken hatte sich ein Künstler ausgetobt; sie war in Feueroptik gestrichen und mit schemenhaften, dämonischen Gestalten bemalt. Diverse Gitarren und Bässe standen teilweise im Raum und hingen an den Wänden, über den Boden zogen sich verschiedenste Kabel.

Mein Blick richtete sich von der Einrichtung auf die Menschen, die auf der rechten Seite des Raumes standen. Das erste, was mir auffiel, war, dass sie Phil erstaunlich ähnlich sahen. Zwei Kerle, einer von ihnen stand an einem Keyboard, der andere war etwas breiter und größer und hatte einen Bass umgehängt. Die Dritte im Bunde war eine Frau, die am Schlagzeug saß und mich ebenso neugierig musterte wie ihre beiden Kollegen. Ich schätzte sie alle ein paar Jahre älter als mich, vielleicht Mitte bis Ende zwanzig. Sie alle waren blass, tätowiert und hatten lange schwarze Haare. Vielleicht sahen sie deshalb aus wie Phils Klone.

Phil hatte sich hinter mich gestellt und schob mich an den Schultern in Richtung der Gruppe. ,,Das ist Seth", sagte er nicht ohne Stolz in der Stimme. ,,Seid lieb zu ihm, denn einen besseren werden wir nicht kriegen."

Ich wusste nicht, ob ich seine Worte als Kompliment nehmen sollte oder nicht, deshalb sah ich nur konzentriert auf einen Sticker, der an der Wand klebte. Keine Götter, keine Meister. Zumindest die Einstellung, die sie hier vertraten, fühlte sich irgendwie vertraut an.

,,Willkommen", kam es von der Drummerin. ,,Cooler Name. Künstlername oder der, der auf dem Pass steht?" Sie grinste mich an.

Mein Blick wanderte von dem Sticker zu ihr und ich runzelte die Stirn. Bevor ich etwas sagen konnte, erklärte Phil mir schnell: ,,Wir benutzen hier Künstlernamen. Irgendwelche Gottheiten, Engel oder Dämonen. Ich bin Azrael, das-", er deutete auf den Mann am Bass, der mich noch immer nur ansah, ,,ist Osiris. Der redet nicht viel und wenn, versteht ihn niemand, aber eigentlich ist er ein ganz netter Kerl. Der daneben ist Leviathan, Keyboarder, auch wenn wir ihn selten so nennen. Und sie - "

Inferno - Todessohn IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt