Kamelreiten - oder in unserem Fall Dromedarreiten - ist ein Abenteuer. Bevor mich nun alle auslachen, muss ich einige Dinge klarstellen. Ich bin kein Fahrradfahrer. Die jährlichen Kilometer auf einem Velosattel kann ich an einer Hand abzählen und brauche nicht alle Finger; wahrscheinlich ist Kilometer schon zu hoch gegriffen. Ich bin auch kein Cowboy; obwohl ich die Boots und den Stetson dazu habe, dann und wann im karierten Hemd rumrenne und dazu Jeans trage. Zweimal in meinem Leben habe ich bisher auf einem Pferd gesessen und fand es nicht überwältigend. Ich bin dafür ein sehr gut trainierter und professioneller Fernfahrer, der sich luftgefederte und teilweise gar gekühlte Fahrersitze gewohnt ist; tagelang. Das wollte ich nur gesagt haben.
Dromedare sind deutlich größer als Pferde. Ich sitze also höher und bin froh, schwindelfrei zu sein. In der Mitte des Rückens hat das Tier seinen Höcker. Ich muss mich also entscheiden: davor oder dahinter? Hier kommt der Sattel ins Spiel. Ein Dromedar-Sattel ist wie ein Hufeisen geformt. Er wird vom Hals her dem Tier um den Höcker herum gelegt; vorne geschlossen, hinten mit Gurten gesichert. Dazu kommt, wie beim Pferd, ein Bauchgurt und es gibt ebenfalls eine Art Zaumzeug. Der Sattel ist sehr weich gepolstert, damit das Tier sich nicht aufscheuert. Leider geschieht das bei den Spanngurten und einige Tier bluten jeweils abends.
Über den Sattel wird eine Matte gelegt, ähnlich wie die Liegematten aus den Zivilschutzkellern oder Notspitälern. Der Höcker ist danach vollständig zugedeckt. Nun folgen zuerst eine Decke dann die Tragkörbe mit dem Gepäck. Darüber werden wieder Decken gelegt, nachdem das Gepäck und die Körbe mit Seilen gesichert wurden. Auf die Decken obendrauf kommt dann der Teppich, der wiederum von einer weiteren Schicht Decken belegt wird. Das ist alles - dort werde ich sitzen. Vor dem Höcker und gleichzeitig über dem Höcker.
Meine Beine und Füsse werden links und rechts des Halses runterbaumeln; eine Decke schützt mich davor, die Beine an den Körben aufzukratzen. Fusshalter gibt es keine; doch ich könnte versuchen, meine Füsse in den Körben abzustützen. Damit ich nicht runterfalle, hat jeder Sattel einen Haltegriff aus Eisen, in T-Form. Daran kann ich mich festhalten, wenn das Dromedar beispielsweise eine Düne runtergeht oder auf eine Düne raufklettert. Soviel zum Reitbetrieb. Viel wichtiger als das, ist jedoch das Auf- und Absteigen.
Das darf man nie allein machen; einer bis zwei Nomaden müssen das liegende Tier halten; sie stehen ihm dazu sogar auf die Beine, fixieren es. Dann klettere ich rauf und setze mich hin, das Tier knurrt, ich bringe meine Beine in Stellung und halte mich am Sattel fest. Das Dromedar steht zuerst mit den Hinterbeinen auf - ich werde nach vorne geschleudert. Dann hebt das Tier den Kopf und steht mit den Vorderbeinen auf - ich werde nach hinten geschleudert. - Beim Absteigen gibt es gar drei Stufen. Zuerst geht das Tier vorne in die Knie. Dann sinkt es mit den Hinterbeinen komplett ab, während es vorne noch kniet. Zum Schluss legt es sich auch mit den Vorderbeinen ab - erst jetzt kann ich runterklettern.
Beim Reiten merke ich sehr schnell, weshalb Kamele und Dromedare den Übernamen "Wüstenschiff" tragen. Bedingt durch den Passgang schaukelt es enorm. Man muss versuchen, locker zu bleiben und nicht etwa die Bewegung mitmachen zu wollen. Erstens gelingt das nicht, weil sie nicht regelmäßig ist und zweitens wäre das auf Dauer zu anstrengend. Also fühle ich mich einfach wie in einem kleinen Ruderboot auf einem stürmischen See. Damit mir nicht schwindlig wird, fixiere ich den Horizont oder die Dinge in der Ferne; so wie eine Ballerina, wenn sie eine Drehung macht.
Mit der Zeit nimmt das Schaukeln ab. Ich habe mich daran gewöhnt. Ich kann das Reiten genießen, muss mich nicht mehr immer festhalten. Es ist schon erstaunlich, welche Gewichte ein Dromedar tragen kann. Wasserkanister, Gepäck, Essen und dann obendrauf noch einen Reiter. Der Sattel hat auch ein ziemliches Eigengewicht. Vergleicht man das mit den dünnen Beinchen eines Dromedars, dann grenzt es an ein Wunder. Ich habe großen Respekt vor diesen Tieren. Sie tragen die Last über den heißen Sand. Sie murren nicht, sie trinken nur bei den seltenen Brunnen und sie erklimmen mit der Last gar Dünen.
Das, was auf dem Weg wie verloren gegangene Datteln aussieht (Farbe, Form und Größe stimmen überein), ist Dromedar-Poop. Die Tiere lassen immer mal wieder viele von den Fake-Datteln fallen - alles während sie gemütlich gehen. Sieht lustig aus und riecht seltsamerweise überhaupt nicht.
Nach einem Tag Reiten - nach dem Absteigen - merke ich erst, dass der Sattel wohl doch nicht so bequem war, wie er auf den ersten Blick ausgesehen hat. Gehen schmerzt; unmöglich ist jedoch Sitzen. Liegen ist die einzige einigermaßen bequeme Position; doch liegend kann ich keinen Tee trinken. Also Schmerz aushalten, hinsetzen und so tun, als ob nichts wäre. Ich hätte wohl doch noch ein Sitzkissen oben auf den Sattel legen sollen. Ich habe etwas gelernt - einen Tag reiten, vier Tage leiden - ich wäre ein schlechter Krieger in des Sultans Armee.
Noch etwas fällt mir erst jetzt auf, wo ich wieder am Boden sitze: es schaukelt wieder! Jetzt, wo ich nicht mehr auf dem Dromedar bin, kann ich die Bewegung erneut wahrnehmen - wie nach einer Woche segeln: Wüstenschiff. Es ist eine tolle Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Entspannend, beinah mystisch - eine Art Yoga auf dem Rücken eines Dromedars. Meinem Tier gebe ich bei jeder Pause die Schale (und einige Schnitze) meiner Orange.
In den großen Dünen; © Bruno Heter, 2024
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Sahara
AventuraEin Reisebericht mit allen Sinnen. Entfliehe der Hektik unseres westlichen Alltags und tauche in ein Meer aus Sand und Einfachheit. Erfahre dabei die reinigende Wirkung des Sandes. Das Buch ist aus einzelnen Bildern zusammengesetzt; ein Mosaik aus b...